Das filmische Werk der österreichischen Malerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig (1919-2014) war bislang schwer zugänglich. Eine Publikation des Filmmuseums Wien macht nun mit den körperlich-verspielten, wütenden und freien Filmen aus einer dezidiert weiblichen Perspektive vertraut. Eine beigefügte DVD enthält eine Auswahl ihrer restaurierten Filme, vornehmlich aus den später 1960er- und 1970er-Jahren.
„Das geschlossene Augengefühl, das Augendeckelgefühl, man spürt die Wangen reichen von einer Ecke des Zimmers zur anderen, das Kinn ist nicht da oder reicht bis zum Bauch hinunter, die Nase ist eine brennende Öffnung. Das Raumgefühl der Gesichtsteile verschiebt die Proportionen, was herauskommt ist ein Ungeheuer, das Ungeheuer in uns. Auch Engel haben Ungeheuer in sich - alle sind wir Ungeheuer.“
(aus den Film-Notizen von Maria Lassnig)
Seit einigen Jahren bemüht sich die „Maria Lassnig Stiftung“ um das nur selten aus den Kellern der Filmgeschichte hervorgeholte filmische Erbe der großen österreichischen Malerin (1919-2014). Nach Präsentationen ihrer Filme im New Yorker MoMA und dem Österreichischen Filmmuseum in Wien ist nun eine sorgfältige zweisprachige Publikation unter dem Titel „Maria Lassnig. Das filmische Werk“ erschienen, die neben zahlreichen Hintergrundinformationen auch eine DVD mit einer Auswahl der restaurierten Filme enthält. Es bleibt nicht viel anderes übrig, als allen Beteiligten für die Bergung dieser Schätze (verwahrt in einer Kiste in Lassnigs Wohnung) zu danken, denn Lassnigs Filme sind eine Offenbarung.
Hochindividuell
angesiedelt zwischen Maya Deren, Georges Méliès und Peter Tscherkassky entwickelte Lassnig unabhängig von ihrer Malerei und doch
eng damit verschränkt ein körperlich-verspieltes, wütendes, freies Kino des
dezidiert weiblichen und filmischen Ausdrucks. Dabei changiert sie zwischen
Selbstbetrachtungen und Porträts, Spiel und Ernst, Trickfilm und
dokumentarischem Impuls. Die Filme entstanden mit wenigen Ausnahmen in den
1970er-Jahren, als Lassnig in New York und im Umfeld der „Women/Artist/Filmmakers, Inc.“-Gruppe wirkte. Trotzdem
wurden viele der Filme in Österreich gedreht.

Die Kraft des Sehens und des Seins
Insbesondere
ihre unter dem Titel „Soul Sisters“ vereinten Kurzporträts von Frauen
sind eine große Wiederentdeckung, die bekannteren Arbeiten von Lassnig wie „Selfportrait“
in keiner Weise nachstehen. In „Soul Sister Hilde“ filmt Lassnig ihre enge
Freundin, die Weberin und Künstlerin Hildegard Absalon, auf ihren Streifzügen
zwischen Natur und Kunst. Aus den Bildern spricht ein großer Glaube an die Kraft
des Sehens, die hier auch eine Kraft des Seins ist. Offene Blicke in die
Gesichter ihrer Protagonistinnen, ein Interesse für alltägliche Handgriffe und
die unter den Oberflächen schlummernden Gefühle der verschiedenen Frauen sind
jederzeit greifbar.
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Dass man zurückhaltende, hochlebendige Filme über Seelenverwandte dreht, erinnert unter anderem auch an die schottische Poetin und Filmemacherin Margaret Tait. Was Tait und Lassnig eint, ist eine Lust am spielerischen Miteinander im filmischen Prozess und eine große Zärtlichkeit, die immerzu nach jenen Augenblicken sucht, die ein Leben ausmachen. Die Kamera filmt hier mal liebend-begehrend, mal schelmisch lächelnd.
In „Mountain Woman“ begleitet Lassnig eine Bergbäuerin in Kärnten, und wie Tait entwirft sie dadurch Bilder eines möglichen Lebens. Ohne die harte Arbeit zu verklären, spürt man eine Sehnsucht nach dieser zurückgezogenen Welt. Die Filme entstehen im Spannungsfeld einer international agierenden Künstlerin, die um jeden Preis versucht, auf dem Boden zu bleiben. Es gibt wohl kaum ein vergleichbares Oeuvre, in dem man an Home-Movies erinnernde Selbstbetrachtungen findet und gleichermaßen Aufnahmen vom Set von Francis Ford Coppolas „Der Pate - Teil II“, Bilder von Hermann Nitsch, einen Film über Hunde, gezeichnete Animationsfilme, Tanzfilme, bearbeitete Found-Footage-Arbeiten und viele mehr.
Man spürt nicht nur einen großen Hunger auf den filmischen Ausdruck, sondern auch den Versuch, die mythologischen Grenzen der filmischen Repräsentation niederzureißen. Die Heldinnen bei Lassnig sind Transformationen des Blicks: alles, was man anders sehen kann, wenn man einen Film macht. „Lassnig beschrieb ihre Herangehensweise (…) als eine Aneinanderreihung von Metamorphosen, in der jede einzelne einen Wert habe, unabhängig davon, wo sie anfange und aufhöre“, merkt dazu Stefanie Prokosch-Weilguni in der jetzt vorliegenden Publikation an.

Bilder aus dem New York der späten 1960er-Jahre
Die filmischen Arbeiten legen auch Zeugnis von New York während der späten 1960er- und 1970er-Jahre ab. Immer wieder tauchen große Persönlichkeiten der Kunstszene auf, der Vietnamkrieg, die Mondlandung und vor allem die feministische Bewegung, von der sich Lassnig später im Leben distanzierte, spielen eine große Rolle. Aus ihren Aufzeichnungen lässt sich erkennen, dass sie von New York und der näheren Umgebung zum Filmemachen inspiriert wurde: „New York ist eine Filmstadt; selbstverständlich, dass man dort Filme macht.“
Mehr noch als ein Buch über die Filmarbeiten von Maria Lassnig beschreibt die neue Publikation von Synema und dem Österreichischen Filmmuseum die Arbeit, die in eine solche digitale Wiederentdeckung fließt. Das Buch liefert einige interessante Ansatzpunkte, um nostalgiebefreit über avantgardistisches Filmschaffen zu sprechen: Digitale Restaurierung, die Arbeit mit unfertigem Material und Fragmenten, kritische Ansätze zur männlich und US-amerikanisch geprägten Kanonbildung der Szene rund um die Anthology Film Archives und Persönlichkeiten wie P. Adams Sitney oder Jonas Mekas und vor allem durch Lassnig selbst allgemeinere Gedanken zur Animations- und Collagenkunst.
Auflösen und neu zusammensetzen
Die marginalisierte Arbeit von Filmkünstlerinnen wie Martha Edelheit, Silvianna Goldsmith oder Doris Chase harrt schon länger einer Wiederentdeckung, und man kann nur hoffen, dass das verstärkte Bemühen um Lassnigs Filme auch ihnen zugutekommt. In der zweiten Hälfte des Buches finden sich gescannte Aufzeichnungen von Lassnig. Sie enthalten allgemeinere Überlegungen zum Kino sowie zahlreiche Filmideen. Aus diesen Ideen lässt sich die rücksichtslose, körperbetonte Selbstanalyse erkennen, die für Lassnigs Schaffen so entscheidend ist. Man bekommt ein gutes Gefühl für das, was sie in den bewegten Bildern sah: eine Möglichkeit, die Welt und sich selbst aufzulösen und anders wieder zusammenzusetzen.
Literaturhinweis:
Maria Lassnig. Das filmische Werk. Hrsg. von Eszter Kondor, Michael Loebenstein, Peter Pakesch, Hans Werner Poschauko. FilmmuseumSynema Publikationen, Wien 2021, 192 S., zahlr. Abb., 24 Euro. Bezug: In jeder Buchhandlung oder hier.