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Die Lust des Redens - Emmanuel Mouret

Ein Interview mit Emmanuel Mouret zu „Tagebuch einer Pariser Affäre“

Veröffentlicht am
07. Mai 2023
Diskussion

Der 1970 geborene französische Filmemacher Emmanuel Mouret hat sich einen Namen als Schöpfer eleganter Dialogkomödien gemacht, die geistreich und erfrischend Liebe und Beziehungen thematisieren. Sein neuer Film „Tagebuch einer Pariser Affäre“ (seit 23.3. in den Kinos) stellt ein von Sandrine Kiberlain und Vincent Macaigne gespieltes Paar in den Mittelpunkt, das sich auf eine unverbindliche Liaison einigt, aber die Tücken dieser Vereinbarung erfährt. Ein Gespräch über Szenen einer Nicht-Ehe, Drama durch die Wahl der Worte und die Kunst des Weglassens.


Zu Beginn Ihrer Karriere hat man Sie in Frankreich oft mit Filmemachern wie Woody Allen oder Nanni Moretti verglichen. Nun ist man als Filmemacher nicht unbedingt immer glücklich mit solchen Vergleichen. Was haben Ihnen Woody Allen und Nanni Moretti bedeutet?

Emmanuel Mouret: Diese Vergleiche hingen vor allem damit zusammen, dass ich damals in meinen Filmen selbst mitgespielt habe, genauso wie Allen und Moretti in ihren. Woody Allen war mir immer wichtig, wenn es um die Regie geht, aber auch um den Aufbau des Drehbuchs. Sein Werk hat mich bereichert. Mein Kameramann Laurent Desmet und ich haben uns genauer angeschaut, wie Woody Allen mit Gordon Willis – der ja auch der Director of Photography von Coppolas „Der Pate“ war – szenische Lösungen gefunden hat. Ich mache Filme, in denen die dramatischen Verwicklungen durch die Dialoge zwischen den Figuren transportiert werden, die sich austauschen, Fragen stellen, moralische Probleme haben. Und da waren die optischen Lösungen, die Gordon Willis in den Filmen von Woody Allen gefunden hat, schon inspirierend.

Könnten Sie etwas konkreter verdeutlichen, wie Sie zum Beispiel in Ihrem neuen Film „Tagebuch einer Pariser Affäre“ mit Laurent Desmet zusammengearbeitet haben?

Mouret: Das Drehbuch ist ja ein wenig wie ein Theaterstück aufgebaut. Es gibt viele Dialogszenen. Ich machte es mir zum Prinzip, dass die beiden Hauptfiguren nie sitzen und ständig in Bewegung sind. Damit wollte ich verhindern, dass man auf diese Schuss-Gegenschuss-Einstellungen zurückgreift, damit der Zuschauer wirklich Lust bekommt, diese Figuren zu sehen. Da man sie ständig sieht, wollte ich nicht redundant werden. Da sind ihre Dialoge, das, was sie sagen, und das, was sich auf ihren Gesichtern abspielt. Dieses Zusammenspiel, dieses Intime wollte ich mit Kinomitteln erzählen. Die Frage, die man sich dabei stellen kann, wäre: Wann zeige ich ihre Gesichter und warum? Was gesagt wird, hört man ja sehr gut, und Hörspiele im Radio funktionieren ja auch gut. (lacht) Was also ist für das Kino interessant? Wann will man die Figuren zeigen? Da kommen die Plansequenzen ins Spiel, die erlauben, dass sich die Figuren viel bewegen können. Manchmal sieht man sie von nah, dann wieder von fern, von vorne, von hinten, nur ihren Rücken, nur ihr Profil oder im Off. Dann besteht das Regieführen in erster Linie darin, was man im Bildrahmen sehen will, was im Bild erscheint und wie es erscheint.

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Emmanuel Mouret (© IMAGO / Andia)
Emmanuel Mouret (© IMAGO / Andia)



Ihr Film hat mich entfernt an Bernardo Bertoluccis „Der letzte Tango in Paris“ erinnert, in dem ein Paar beschließt, nur Sex miteinander zu haben, sich niemals beim Namen zu nennen und Gefühle völlig außer Acht zu lassen. Und doch kommt es zu einer Tragödie. Ist Ihr Film eine Art Antithese zu Bertoluccis Film?

Mouret: Ich habe überhaupt nicht daran gedacht. Mich interessierte in meinem Film, wie die beiden Hauptfiguren darum besorgt sind, die Verpflichtung einzuhalten, sich nicht zu binden. Das sind beides sehr besorgte Menschen, die keine Grenzen überschreiten wollen. Ich fand es interessant und fast grausamer, Charaktere zu zeigen, die es gut machen wollen, was jedoch nicht verhindert, dass es kompliziert wird.

Sind Sie als Filmemacher etwas schamhaft oder sehr zurückhaltend, wenn es um Sex- oder Liebesszenen geht? In Ihren beiden letzten Filmen wird viel über Liebe und Sex geredet, aber man sieht nur sehr wenig …

Mouret: Schamhaft? Das weiß ich nicht. Aber es ist doch aufregender, sich Dinge vorzustellen. Erotik baut genau darauf auf. Man zeigt ein kleines bisschen, um sich den Rest dann auszumalen. In Sexszenen finden sich auch keine dramaturgischen Herausforderungen für die Geschichte. Es sei denn, man hat sie extra dafür geschrieben. In diesem Film haben die beiden Hauptfiguren aber keine Probleme beim Sex. Im Gegenteil: Sie sagen immer wieder, dass es in dieser Hinsicht zwischen beiden sehr gut läuft. Und wenn alles gut läuft, ist es doch besser, man stellt es sich vor, als es zu zeigen.

Das Liebespaar plant gemeinsame Unternehmungen (© Neue Visionen)
Das Liebespaar plant gemeinsame Unternehmungen (© Neue Visionen)

Was Sie jedoch gerne filmen, ist der Kuss. Einer Ihrer frühen Filme heißt nicht von ungefähr „Küss mich bitte“ …

Mouret: Zu Beginn eines Kusses liegt immer das gegenseitige Verlangen. Man bleibt ja auch nicht lange bei einem Kuss. Sie küssen sich, und ihre Lust wird dann im Anschluss ausgelebt. Und dabei lässt man sie als Filmemacher allein.

In Ihrem vorherigen Film „Leichter gesagt als getan“, der im Französischen „Les choses qu’on dit, les choses qu’on fait“ heißt, also „Die Dinge, die man sagt, und die Dinge, die man tut“, geht es um diese Dualität, die man auch in Ihrem neuen Film wiederfindet. Warum kommen Sie gerne darauf zurück?

Mouret: Nun, in „Tagebuch einer Pariser Affäre“ machen die Figuren ja das, was sie gesagt haben. Sie respektieren die Regeln, obwohl sie anders empfinden. Auch in „Leichter gesagt als getan“ kann man machen, was man sagt. Der Titel stellt eher die Frage: „Machen wir wirklich das, was wir sagen?“ Wenn man etwas sagt, geht man eine gewisse Verpflichtung damit ein. Das macht die Spannung aus. Darum sind die Worte für mich Handlungen. Es gibt viele Filme, in denen das Drama durch die Wahl der Worte entsteht. Darin kann eine enorme Spannung liegen. Ein Wort kann brutaler sein als ein Messer oder sanfter als eine Berührung. Ich halte nichts vom Widerspruch zwischen Wort und Tat.

Vincent Macaigne und Sandrine Kiberlain in „Tagebuch einer Pariser Affäre“ (© Neue Visionen)
Vincent Macaigne und Sandrine Kiberlain in „Tagebuch einer Pariser Affäre“ (© Neue Visionen)

Ihr neuer Film handelt von einer Utopie mit der Frage: „Ist es vielleicht einfacher, eine dauerhafte und zufriedenstellende Liebesbeziehung zu führen, wenn man sich nicht bindet?“ Wie stehen Sie zu dieser Utopie?

Mouret: Man kann hier nicht von einer Utopie sprechen, weil diese Geschichte ja ein Ende findet. Sie dauert eine Weile an, aber auch nicht länger. Da ist der Film leider keine Utopie. Die Frage, die sich beide stellen, ist eher: „Kann eine Beziehung, die gut läuft und nur zum Ziel hat, beiden Spaß zu bereiten, anhalten, oder projiziert man doch mehr Wünsche in sie herein?“ Und in meinem Film halten die Figuren diese Prämisse auch nur eine Zeitlang ein.

Der Film behält – wie die meisten Ihrer Werke – eine gewisse Leichtigkeit bei. Es gibt eine schöne Szene, wenn die beiden Hauptfiguren Charlotte und Simon ins Kino gehen und dort „Szenen einer Ehe“ von Ingmar Bergman sehen, in dem sich das Paar nur anschreit. Das ist ein schöner Kontrast zu Ihren beiden Hauptfiguren. Ist Bergman ein Filmemacher, der Ihnen viel bedeutet?

Mouret: Er ist ein Filmemacher, der wichtig ist, aber er gehört nicht zu meinen Lieblingsregisseuren. Er ist einer der ganz bedeutenden Cineasten und hat sich in seinen Filmen auch viel mit Paarbeziehungen befasst. „Szenen einer Ehe“ ist auch ein sehr wichtiger Film, der ähnliche Fragen aufwirft wie „Tagebuch einer Pariser Affäre“. Mein Film hätte auch „Szenen einer Nicht-Ehe“ heißen können, darum habe ich auch ganz bewusst auf Bergmans Film angespielt, weil ich ihn sehr mag. Dennoch gibt es eine völlig andere Ausgangslage. Meine Filmfiguren würden sich niemals anschreien oder handgreiflich werden. Sie verinnerlichen ihre Konflikte, und das berührt mich als Filmemacher. Genau das interessierte mich dann beim Verweis auf Bergman. Die Themenverwandtschaft, aber auch der Kontrast.

Filmplakat zu „Tagebuch einer Pariser Affäre“ (© Neue Visionen)
Filmplakat zu „Tagebuch einer Pariser Affäre“ (© Neue Visionen)

Es ist der zweite Film hintereinander, den Sie mit Vincent Macaigne drehen, der optimal diesen Typ Mann verkörpert, der voller Ängste ist, sich permanent selbst hinterfragt und seine Neurosen pflegt. Macaigne spielt diese Männerfiguren so überzeugend, dass man sich immer fragt, ob er sich nicht auch selbst spielt. Arbeiten Sie deshalb gerne mit ihm, weil er das so gut kann, oder auch, weil Sie ein wenig mit seinem Image spielen?

Mouret: Eigentlich sind die Dinge ziemlich einfach. Alles steht im Drehbuch, und ich mag es, wie Vincent Macaigne das spielt. Ihn muss ich als Regisseur nicht führen. Wir verstehen uns, und er macht Vorschläge. Es ist eine Freude, mit ihm zu drehen. Er übertrifft dann meine Hoffnungen.

Und wie verlief die Zusammenarbeit mit Sandrine Kiberlain?

Mouret: Auch sehr einfach. Beide mochten einfach ihre Figuren. Man sagt mir manchmal nach, ich sei ein Regisseur, der Schauspieler gut führt. Ich erwidere dann immer: „Nein, ich suche nur Schauspieler und Schauspielerinnen aus, die sich so ideal mit ihren Figuren identifizieren, dass meine Arbeit nur noch darin besteht, Regie zu führen und mir gute Bildkompositionen auszudenken.“

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