© imago/Saul Young/News Sentinel (Cormac McCarthy und eine Olivetti-Schreibmaschine)

Zum Tod von Cormac McCarthy

Nachruf auf den US-amerikanischen Schriftsteller Cormac McCarthy (20.7.1933-13.6.2023)

Veröffentlicht am
19. Juli 2023
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Die bitteren Romane des US-amerikanischen Schriftsteller Cormac McCarthy galten lange Zeit als unverfilmbar. Zu roh und pessimistisch erschienen seine düsteren Visionen einer heillosen Welt, die keine Erlösung kennt. Erst ab der Jahrtausendwende setzte mit „All die schönen Pferde“ von Billy Bob Thornton vereinzelt eine Adaption seiner Werke ein. Im Alter von knapp 90 Jahren ist McCarthy jetzt in seiner Wahlheimat Santa Fe in New Mexico gestorben.


Sein 1985 erschienener Roman „Die Abendröte im Westen“ gilt als sein Meisterwerk. Angesiedelt in der Mitte des 19. Jahrhunderts erzählt Cormac McCarthy (20.7.1933-13.6.2023) darin die Geschichte eines Jungen, der in extrem brutale Auseinandersetzungen zwischen Mexikanern und Comanchen sowie Apachen verwickelt wird. McCarthy dekonstruierte den Mythos vom Wilden Westen mit einer Erzählung, in der sinnlose Gewalt so drastisch das Handeln der Figuren bestimmt wie selten in einem literarischen Werk zuvor. Die in die Literaturgeschichte eingegangene Figur des Richters Holden verkörpert das verstörende Böse auf ähnlich komplexe Weise wie Captain Ahab in „Moby Dick“. Mit seiner erstaunlich poetischen Sprache der Gewalt verfasste McCarthy damit ein zentrales Werk der US-amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts.


Unverfilmbare Werke

Schon früh wurde dem 1933 in Providence, Rhode Island, geborene McCarthy bescheinigt, dass seine Romane sich durch die Kraft der Bilder und den lakonischen Sprachstil gut fürs Kino eignen würden. Doch es dauerte fast fünfzig Jahre, bis McCarthy als der bedeutende Schriftsteller anerkannt wurde, als der er heute gilt. Und noch länger dauerte es, bis seine Romane für das Kino interessant wurden. Seine visionären sprachlichen Bilder und sein Blick auf die großen US-amerikanischen Mythen und Männlichkeitsfantasien waren so pessimistisch, dass es einen großen Respekt vor Verfilmungen gab.

Postapocalyptisch: "The Road" von John Hillcoat (Senator)
Postapokalyptisch: "The Road" von John Hillcoat (© Senator)

Obwohl viele „Die Abendröte im Westen“ für unverfilmbar hielten, gab es doch mehrere Versuche, den Stoff für die Leinwand zu adaptieren. 1995 wurde eine erste Drehbuchfassung angefertigt und Tommy Lee Jones erwarb die Filmrechte. Doch das Projekt scheiterte an den Gewaltdarstellungen im Roman, die man anscheinend nicht auf die Leinwand bringen konnte. Dies war auch der Grund für einen weiteren scheiternden Versuch, zu dem sich 2004 Ridley Scott und der Drehbuchautor William Monahan zusammenfanden. Auch James Franco nahm sich des Romans an, drehte 2011 auch 25 Minuten an Filmmaterial, doch das Projekt wurde ebenfalls abgebrochen. Aktuell heißt es, dass der australische Regisseur John Hillcoat eine Verfilmung anstrebe.


Eine Dystopie für das 21. Jahrhundert

Von Hillcoat stammt schon eine andere Adaption eines bedeutenden Cormac-McCarthy-Werkes, nämlich „The Road“ (2009). Der 2006 erschienene Roman „Die Straße“ ist eine der wesentlichsten Dystopien des 21. Jahrhunderts und erzählt die Geschichte eines Mannes, der mit seinem Sohn durch ein Amerika streift, das nach einer nicht näher bezeichneten Katastrophe zu einem Wasteland geworden ist. Wie in „Die Abendröte im Westen“ ist die Welt vom nahezu völligen Verlust moralischer Werte, ja einer Gottlosigkeit geprägt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Hillcoat gelang es, die düstere und lakonische Poesie der unbarmherzigen Brutalität, ähnlich wie in seinem Western „The Proposition“, in kongeniale filmische Bilder zu übersetzen.

Josh Brolin in "No Country for Old Men" (imago/United Archives)
Josh Brolin in "No Country for Old Men" (© imago/United Archives)

Auch Joel und Ethan Coen haben mit „No Country for Old Men“ einen weiteren späten Meilenstein in McCarthys Oeuvre adaptiert. Nach Richter Holden gelang mit Anton Chigurh ein weiterer verstörender Bote des Todes, ein Killer mit Bolzenschussgerät, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Die Story rankt sich um einen Mann, der Zeuge eines gescheiterten Deals unter Drogenhändlern wird und nach einer Schießerei, die für alle Beteiligten tödlich endet, das Geld der Männer an sich nimmt, was sich allerdings als fataler Fehler entpuppt und den Killer Chigurh auf den Plan ruft, der das Geld zurückholen soll. Unter der Regie der Coens verlieh Javier Bardem dem Killer eine faszinierend dämonische Gestalt.


Dreiteilige Border-Trilogie

In Deutschland setzte die Würdigung von Cormac McCarthy erst Anfang der 1990er-Jahre ein, als der erste Teil seiner vielgepriesenen Border-TrilogieAll die schönen Pferde“ erschien. Es war der erste McCarthy-Roman, der – von Billy Bob Thornton – verfilmt wurde. Die beiden anderen Teile des Neo-Western-Epos, das von jungen Cowboys an der Grenze der USA nach Mexiko erzählt, warten noch auf ihre Verfilmung. Cormac McCarthy starb am 13. Juni 2023 in Santa Fé, New Mexico, im Alter von knapp 90 Jahren.

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