Der „Goldene Bär“ der Berlinale 2024 geht an den Dokumentarfilm „Dahomey“, der mit experimentellen Ansätzen von der Rückgabe geraubter Kulturgüter aus der Kolonialzeit in ihr Ursprungsland Benin handelt. Eine unerwartete Wahl, mit der die Berlinale einmal mehr ihre politische Fahne flattern ließ. Aber auch die internationale Filmkunst wurde von der Jury gewürdigt, mit Preisen für die etablierten Filmemacher Hong Sang-soo und Bruno Dumont.
Das Thema ist von hoher Aktualität, viele Fragen drängen auf Klärung, und der künstlerische Ansatz der französisch-senegalischen Regisseurin Mati Diop ist ambitioniert und vielschichtig. Trotz alldem darf die Verleihung des „Goldenen Bären“ an den experimentell angehauchten Dokumentarfilm „Dahomey“ bei der 74. Berlinale als gelinde Überraschung gelten. Diop nimmt die Rückführung von 26 der in der Kolonialzeit geraubter Kunstschätze nach Benin zum Ausgangspunkt für eine Beobachtung des Transports, der Ausstellung im Präsidentenpalast und der kontroversen Meinungen innerhalb der vor allem jüngeren Bevölkerung in Benin. Hinzu kommt als Verfremdungseffekt die Stimme einer der Statuen, die ebenfalls ihre Unsicherheit angesichts der Vorgänge formuliert.
Mit der Prämierung von „Dahomey“ kann sich die Berlinale einmal mehr als Bühne politischer Botschaften feiern, die in den meisten anderen Wettbewerbsfilmen weniger im Vordergrund standen. So entfielen die Preise der Jury mit „A Traveler’s Needs“ und „L’Empire“ auf die neuen Filme der etablierten Regisseure Hong Sang-soo respektive Bruno Dumont, sodass auch die Filmkunst gewürdigt wurde. Zudem ging der Regiepreis an das innovative Debüt „Pepe“ von Nelson Carlos de Los Santos Arias über die Leiden eines für den Zoo des Drogenbarons Pablo Escobar entführten Nilpferds.
Neben diesen nachvollziehbaren Leistungen standen allerdings eine Reihe von Auslassungen und weniger stimmigen Entscheidungen. So heimste der deutsche Filmemacher Matthias Glasner für seinen inhaltlich überfrachteten Wettbewerbsbeitrag „Sterben“ den Drehbuchpreis ein. Beim Preis für die beste Hauptrolle blieben viele herausragende Darstellerinnen im Wettbewerb außen vor; geehrt wurde vielmehr Sebastian Stan, dessen Auftritt in „A Different Man“ vor allem von kongenialer Maskenarbeit zehrt.
Seine Rolle eines Mannes, der sich von einer krankheitsbedingten Gesichtsverformung befreit, um dies hernach zu bereuen, kämpft allerdings gegen ein ungenaues Drehbuch. Bedauerlich bleibt auch, dass einige der besten Arbeiten im Wettbewerb leer ausgingen, etwa die feinsinnigen Filme „Black Tea“ von Abderrahmane Sissako und „Shambhala“ von Min Bahadur Bham.
Immerhin zeichneten sowohl die FIPRESCI-Jury als auch die Ökumenische Jury den iranischen Beitrag „My Favourite Cake“ aus, einen ebenso amüsanten wie bei aller inszenatorischen Leichtigkeit hochpolitischen Film, der lange als Favorit für den „Goldenen Bären“ gegolten hatte.
Die wichtigsten Preise der 74.
Berlinale 2024
Goldener Bär
„Dahomey“ von Mati Diop
Großer Preis der Jury
„A Traveler’s Needs“ von Hong Sang-soo
Jury-Preis
„L'Empire“ von Bruno Dumont
Beste Regie
Nelson Carlo de Los Santos Arias für „Pepe“
Beste Leistung in einer Hauptrolle
Sebastian Stan in „A Different Man“
Beste Leistung in einer Nebenrolle
Emily Watson für „Small Things Like These“
Bestes Drehbuch
Matthias Glasner für „Sterben“
Preis für eine herausragende künstlerische Leistung
Martin Gschlacht für „Des Teufels Bad“
Bester Dokumentarfilm
„No Other Land“ von Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor
Bester Film Encounters
„Direct Action“ von Guillaume Cailleau, Ben Russell
Beste Regie Encounters
Juliana Rojas für „Cidade; Campo“
Spezialpreis Encounters (ex aequo)
„The Great Yawn of History“ von Aliyar Rasti
„Some Rain Must Fall“ von Qui Yang
Bester Erstlingsfilm
„Cu Li Never Cries“ von Phạm Ngọc Lân
Bester Kurzfilm
„Un movimiento extraño“ von Francisco Lezama
Goldener Bär für das Lebenswerk
Mitglieder der Internationalen Jury waren Lupita Nyong’o (Präsidentin), Brady Corbet, Ann Hui, Christian Petzold, Albert Serra, Jasmine Trinca, Oksana Zabuzhko.
Bester Film Generation 14 plus
„Last Swim“ von Sasha Nathwani
Bester Film Kplus
„It’s Okay!“ von Kim He-young
Preise der Ökumenischen Jury
„My Favourite Cake“ von Maryam Moghaddam, Behtash Sanaeeha
„Sex“ von Dag Johan Haugerud
„Maria’s Silence“ von Davis Simanis
Fipresci-Preise
„My Favourite Cake“ von Maryam Moghaddam & Behtash Sanaeeha
„Sleep with Your Eyes Open“ von Nele Wohlatz
„Faruk“ von Aslı Özge
Heiner-Carow-Preis
„Ivo“ von Eva Trobisch
Caligari-Preis
„Shahid“ von Narges Kalhor
Gilde-Filmpreis
„Sterben“ von Matthias Glasner
Friedensfilmpreis
„Favoriten“ von Ruth Beckermann
Amnesty International Filmpreis
„The Stranger’s Case“ von Brandt Andersen