© dffb (Klaus Kreimeier - 8.11.1938-18.9.2024)

Zum Tode von Klaus Kreimeier

Nachruf auf den Filmpublizisten Klaus Kreimeier (8.11.1938-18.9.2024)

Veröffentlicht am
30. September 2024
Diskussion

Unter den deutschen Filmpublizisten nahm Klaus Kreimeier eine Sonderstellung ein. Mit Sachverstand und präzisem Blick verfasste er zahlreiche Monografien und Artikel über Regisseure von Murnau und Lang bis Tarkowski und Wenders. Er widmete sich der Geschichte des Ufa-Konzerns, dem Fernsehen und der Vielfalt des Dokumentarfilms. Auch als Medientheoretiker bewegte er sich auf der Höhe der Zeit, ohne darüber seine Qualitäten als Autor preiszugeben.


Klaus Kreimeier, der am 18. September 2024 gemeinsam mit seiner Frau Ute in Berlin gestorben ist, gehörte zu den wichtigsten Publizisten, die in Deutschland seit den späten 1960er-Jahren über Film schrieben. Kreimeier arbeitete als Kritiker für Tageszeitungen, Fachzeitschriften und das Fernsehen, insbesondere für die WDR-Filmredaktion. Als Wissenschaftler publizierte er das Standardwerk „Die Ufa-Story“ (1992) und unter dem Titel „Traum und Exzess“ (2011) eine äußerst lesenswerte „Kulturgeschichte des frühen Kinos“ – so der Untertitel. Kreimeier wurde 85 Jahre alt.

Was sich im Rückblick zu einer erfolgreichen Publikationsgeschichte fügt, war im Alltag den Institutionen und ihren Arbeitsbedingungen abgerungen. Kreimeier sagte über sich selbst einmal, dass er zu einer Zeit, als andere zum „Marsch in die Institutionen“ aufriefen, umgekehrt aus diesen herausgelaufen sei.

Nach einer theaterwissenschaftlichen Dissertation begann er als Programmreferent im Hessischen Rundfunk, als dort das Dritte Fernsehprogramm aufgebaut wurde. Später wechselte er zum Fernsehspiel. Aber dort hielt er es nicht lang aus, da er sich angesichts der in Bewegung geratenen Verhältnisse politisiert hatte. So nahm er 1969 das Angebot des „Spiegel“ an, der seine Redaktion verjüngen und wohl auch sein Feuilleton politisieren wollte, und wechselte als Film- und Fernsehkritiker nach Hamburg. Als es dort zu einem Aufstand der jungen, meist linken Redakteure kam, änderte der Herausgeber Rudolf Augstein den Kurs seines Blatts, der ihm dann doch zu revolutionär erschien. Für Kreimeier war das der Anlass, die nächste Institution zu verlassen. Er kündigte und ging mit seiner Frau Ute, die in Hamburg Schauspiel studiert hatte, nach Berlin.


Publikation im Umfeld der KPD/AO

Hier arbeitete er mehrere Jahre als Dozent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb). Zugleich engagierte er sich im Umfeld der KPD/AO – einer jener Organisationen der zerfallenden Studentenbewegung, die sich eng an das Vorbild der kommunistischen Partei in China anlehnte. Das Kürzel AO stand euphemistisch für „Aufbauorganisation“.

Joris Ivens - Ein Filmer an den Fronten der Weltrevolution (© Oberbaum Verlag)
Joris Ivens - Ein Filmer an den Fronten der Weltrevolution (© Oberbaum Verlag)

Leider sieht man dieses Engagement seiner detailreichen Studie „Kino und Filmindustrie in der BRD“ (1973) auch deutlich an. Denn diese Untersuchung, die sehr genau die ökonomischen Bedingungen des Films in der jungen Bundesrepublik nachzeichnet und beispielsweise sehr absurde Versuche einer frühen staatlichen Filmförderung schonungslos festhält, leidet unter der strikten Maßgabe des Autors, die bundesdeutschen Spielfilme der Jahre von 1945 bis 1972 nach richtigem und falschem Bewusstsein sortieren zu müssen.

Allerdings fand Kreimeier damals nur wenige Filme, die auf der politischen Linie der KPD/AO lagen. Vielleicht widmete er sich deshalb in seinem nächsten Filmbuch dem Werk eines Regisseurs, der sich selbst als Sympathisant linker Bewegungen begriff. Das Buch hieß: „Joris Ivens – Ein Filmer an den Fronten der Weltrevolution“. Als das kleinformatige Buch 1976 erschien, zeigten sich bereits erste Zerfallserscheinungen in der festgefügten Revolutionsideologie der KPD/AO. Die politischen Veränderungen in China nach Maos Tod wollten nicht mehr alle feiern. Zeichen für diesen Wandel im Selbstverständnis von Kreimeier und anderen war, dass sie die kulturpolitische Zeitschrift der Partei, die als „Sozialistische Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft“ firmierte, in „Spuren“ umbenannten.

Mit der Namensänderung ging nicht nur eine politische Öffnung einher – der neue Titel stammte ja von dem Philosophen Ernst Bloch, dessen erstes essayistisch angelegtes Buch so überschrieben war –, sondern auch eine Wiederentdeckung der Künste.

Wer damals die Artikel von Klaus Kreimeier in dieser Zeitschrift las, fand einen Autor, der sich von den marxistisch-leninistischen Denkschablonen befreit hatte und sich als ein sensibler Zuschauer von Filmen aller Art entpuppte. Zu dieser Zeit lebten Ute und Klaus Kreimeier in Köln. Hier wurde der WDR-Hörfunk zu einem der wichtigsten Arbeitgeber für den Publizisten, dessen Stimme man beispielsweise im der werktäglichen Kultursendung „Mosaik“ gerne hörte.

Parallel dazu habilitierte er sich in Osnabrück. Seine Versuche, als Hochschullehrer an eine Universität zu gehen, scheiterten mehrfach. Bei den Kölner Theaterwissenschaften verhinderte die Philosophische Fakultät eine Berufung; in Niedersachsen und Hessen waren es die Wissenschaftsminister, die ihm die Professur versagten. Der Grund waren politische Statements, die Kreimeier im Umfeld der KPD/AO abgegeben hatte, die er aber zur Zeit seiner Bewerbungen schon lange nicht mehr teilte.

Traum und Exzess (© Bundeszentrale für politische Bildung)
Traum und Exzess (© Bundeszentrale für politische Bildung)

In diesen Jahren reiste Kreimeier mehrfach durch Afrika und beschäftigte sich mit der afrikanischen Literatur, was sich in Radiosendungen für den Deutschlandfunk und in den Büchern „Geborstene Trommeln“ (1985) und „Nadine Gordimer“ (1991) niederschlug. Filmhistorisch widmete er sich in dieser Zeit so unterschiedlichen Regisseuren wie Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Rosa von Praunheim, Andrej Tarkowski, Andrzej Wajda und Wim Wenders. Während er den Essay zu Murnau in dem von ihm herausgegebenen Buch „Die Metaphysik des Dekors“ publizierte, erschienen seine Beiträge zu den anderen Regisseuren in den Monografien der „Reihe Film“, die Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Hanser-Verlag herausbrachten. Die Einstellung dieser Reihe hat die deutsche Filmpublizistik bis heute nicht verwunden.


Die Kreimeier-Wildenhahn-Debatte

Zugleich arbeitete Kreimeier in diesen Jahren in den Auswahlkommissionen der Kurzfilmtage Oberhausen und der Duisburger Filmwoche mit. 1979 provozierte sein Bericht über die Filmwoche den Dokumentarfilmer Klaus Wildenhahn zu einer 40 Seiten umfassenden Gegenrede, auf die wiederum andere reagierten. Diese Diskussion um die Methoden und Formen des Dokumentarfilms firmiert heute als „Kreimeier-Wildenhahn-Debatte“. In ihr plädierte Kreimeier für eine Vielfalt dokumentarischer Formen, während Wildenhahn vor allem das Ideal des „Direct Cinema“ beschwor.

Im Rückblick zeigt sich, dass die beiden Kontrahenten einen Streit ausfochten, der einst an der dffb begonnen hatte, als sie dort beide lehrten und unterschiedliche politische Standpunkte vertraten. Als Moderator der obligatorischen Filmgespräche in Duisburg, die als Protokolle alle zugänglich sind, erwies sich Kreimeier als Fürsprecher von Dokumentarfilmen, die der historischen Komplexität gerecht wurden und die ungewohnte Blicke auf die Welt wagten.

Ab 1984 schrieb er für die Fachzeitschrift „epd Film“ monatlich eine Glosse, in der er sich dem alltäglichen Fernsehen widmete. Seine Texte waren keine klassischen Kritiken einzelner Sendungen, sondern Beobachtungen von Details, die normalerweise im steten und unendlich scheinenden Fluss der vorbeirauschenden Bilder und Töne untergegangen wären. Das konnte eine ungewöhnliche Kamerabewegung sein, eine nicht glückende Montage, ein bewusstloser Gebrauch von Bildern aus dem Archiv oder aber auch eine bizarre Einblendung.

So konnte das ZDF im Jahr 1984 eines Tages aus technischen Gründen die Ziehung der Lottozahlen nicht zeigen. Als die Zahlen endlich feststanden, kam jemand in der Senderegie auf die Idee, sie im laufenden Programm einzublenden. In diesem Moment lief als „Kleines Fernsehspiel“ der bewegende Filmessay „Vater und Sohn“ von Thomas Mitscherlich. Als die Zahlen eingeblendet wurden, sah man ein Stück menschlicher Kopfhaut im Bild. Das erklärte sich aus dem Ton, in dem Auszüge eines Briefs verlesen wurden, mit dem 1943 der Anatom August Hirt beim Reichsführer SS Himmler um die Übersendung von Köpfen „jüdisch-bolschewistischer Kommissare“ bat, die bei der Tötung möglichst am Kopf „nicht verletzt“ werden sollten. Diese zufällige Montage aus Lottozahlen und der bürokratischen Sprache eines Mörder-Regimes fiel Klaus Kreimeier auf. Er resümierte: „So banal funktioniert im Zeitalter der Television die Banalität des Bösen.“

Die UFA-Story (© S. Fischer Verlage)
Die UFA-Story (© S. Fischer Verlage)

Nachlesen kann man das in einer Auswahl dieser Glossen und ähnlicher Beiträge, die Kreimeier ab 1990 für das „Medientagebuch“ der damals neugegründeten Wochenzeitung „Freitag“ verfasste; sie erschien 1992 unter dem Titel „Notizen im Zwielicht“ als Buch. Damit aber nicht genug. Er systematisierte seine Beobachtungen und verband sie mit Strukturanalysen des Medienbetriebs wie mit aktuellen medientheoretischen Debatten zu einer allgemeinen Untersuchung des Fernsehens, die er 1995 unter dem vertrackten Titel „Lob des Fernsehens“ veröffentlichte.


Später Eintritt in den Wissenschaftsbetrieb

Danach kam der Betrieb der Film- und Medienwissenschaften nicht mehr an ihm vorbei. 1997 wurde er endlich auf eine Professur an der Universität Siegen berufen. Was er dort in Zusammenarbeit mit seinen Kolleginnen und Kollegen leistete, demonstrierte im Nachhinein, was der Wissenschaftsbetrieb verpasst hatte, als Kreimeier so lange außen vorgehalten wurde. So gab er zusammen mit Antje Ehmann und Jeanpaul Goergen den zweiten Band der dreiteiligen „Geschichte des dokumentarischen Films (1895-1945)“ heraus, in dem die Zeit der Weimarer Republik untersucht wurde und zu dem er selbst wichtige Artikel beisteuerte.

Aus einem Forschungsprojekt zum frühen Film, das er im Rahmen des Siegener Kollegs „Medienumbrüche“ initiiert hatte, entwickelte sich seine letzte große Publikation: „Traum und Exzess - Die Kulturgeschichte des frühen Kinos“, die 2011 erschien. Ein Text, der noch einmal die Qualitäten des Autors Kreimeier vorführte: Er ist medientheoretisch auf der Höhe der Zeit, ohne sich vom jeweils aktuellen Jargon ankränkeln zu lassen. Er beschreibt soziale Strukturen, technische Entwicklungen, ökonomische Bedingungen und jeweils aktuelle Rezeptionsformen, ohne darüber die besondere Qualität der Filmbilder zu vergessen; diese überträgt er präzise und nachvollziehbar in Sprache, ohne den Reiz zu unterschlagen, der ihnen innewohnt.

„Kreimeier lesen“ überschrieb Harun Farocki in der Zeitschrift „Filmkritik“ im März 1974 eine sehr kritische Rezension des Buches „Kino und Filmindustrie in der BRD“. Ein Satz, der heute nach so vielen anregenden Büchern des Autors mit einem Ausrufezeichen zu versehen ist: „Kreimeier lesen!“

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