In den 1920er- und 1930er-Jahren blühte die jüdische Unterhaltungsmusik in Deutschland auf. Unter dem Dach des Jüdischen Kulturbundes war es den beiden Berliner Plattenlabeln „Semer“ und „Lukraphon“ sogar möglich, dieser Musik bis zur Pogromnacht am 9. November 1938 ein Refugium zu geben. Während das „Semer“-Schellackplattenlager bei den Brandanschlägen komplett zerstört wurde, gelang es Moritz Lewin, die Bestände von „Lukraphon“ rechtzeitig ins Ausland zu schaffen. Dort verloren sich aber ihre Spuren.
Es ist den Musikenthusiasten Erich Rainer Lotz und Alan Bern zu verdanken, dass diese verloren geglaubte Musik durch jahrelange Recherchearbeit teils wieder rekonstruiert werden konnte. Die Schellackplatten der beiden Labels sind eine Fundgrube der besonderen Art. Im politisch brisanten Berliner Klima der 1930er-Jahre offenbarten sie ohne Scheu die widersprüchlichen Seiten jüdischer Identität. Nach dem Verbot jüdischer Künstler im Jahr 1933 wurden die beiden Label zu einem Zufluchtsort für Musiker und Kabarettisten, denen die Auftrittsmöglichkeiten in Deutschland genommen wurden.
Die Lieder heißen „Die Welt ist klein geworden“, „Kaddish (Der jüdische Soldat)“, „Leybke furt Amerika“, „Sholem baith“, „Das Kind ligt in vigele“, „Vorbei“ oder wie der Titel des Films „Ich tanz’, aber mein Herz weint“. Die Songs erzählen von Tanz und Geselligkeit, von (verlorener) Liebe, Eifersucht und einer bangen Ahnung. Oder von jüdischen Männern, die in den Krieg ziehen. Und von deren Frauen, die zuhause mit ihren Kindern auf ihre Rückkehr oder zumindest eine Nachricht warten. Sie erzählen auch von der einstmals großen und weiten Welt, die plötzlich klein wie ein Fußball zu sein scheint, und von der USA als dem Auswanderungsziel, das vielleicht nicht erreicht wird.
Der souveräne Dokumentarfilm von Christoph Weinert macht sich auf die Suche nach den verschollenen Liedern und Arrangements und erinnert an das Schicksal ihrer wichtigsten Interpreten. – Sehenswert ab 14.