Hamlet (1996)

Drama | USA 1996 | 242 Minuten

Regie: Kenneth Branagh

Kenneth Branaghs Neuverfilmung der Shakespeare-Tragödie um den dänischen Prinzen, der vom Geist seines Vaters den Auftrag erhält, dessen Tod zu rächen, verlegt das Meisterwerk in eine opulente Hofkulisse im 19. Jahrhundert. Das mit gigantischem Aufwand in Szene gesetzte Opus findet trotz aller Kraftanstrengung des Regisseurs, einen "Hamlet" der Superlative zu schaffen, keinen einheitlichen inszenatorischen Stil. Neben unübersehbaren inszenatorischen Ungereimtheiten und Schwächen sind die ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen das Kapital des Films, durch das er trotz seiner Länge von fast vier Stunden nie langweilig wird. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HAMLET
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Castle Rock Entertainment
Regie
Kenneth Branagh
Buch
Kenneth Branagh
Kamera
Alex Thomson
Musik
Patrick Doyle
Schnitt
Neil Farrell
Darsteller
Kenneth Branagh (Hamlet) · Derek Jacobi (Claudius) · Julie Christie (Gertrud) · Richard Briers (Polonius) · Kate Winslet (Ophelia)
Länge
242 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Daß er immer wieder mit Laurence Olivier verglichen worden ist, hat den britischen Starschauspieler Kenneth Branagh nie gestört. Schon mit der Wahl seines ersten Shakespeare-Films "Henry V" (1989, fd 28 627) hat er den direkten Vergleich geradezu gesucht. Nach weiteren Begegnungen mit Shakespeare in der von ihm selbst inszenierten Sommerkomödie "Viel Lärm um nichts" (1993, fd 30 397) und dem von Oliver Parker inszenierten "Othello" (1995, fd 31 853), in dem er nicht die Titelrolle, sondern den Jago mimte, sowie einer Art Vorstudie zum "Hamlet" in "Ein Winternachtstraum" (1994, fd 31 686) hat er nun die Shakespeare-Welle im Kino um eine Neuverfilmung der größten aller Shakespeare-Tragödien bereichert. Dabei scheint er sich in den Kopf gesetzt zu haben, Olivier endgültig in den Schatten zu stellen und einen Hamlet der Superlative zu präsentieren, der alle Dimensionen sprengt: alles soll groß und überdimensional sein. Das von vielen als das größte Meisterwerk der Weltliteratur geschätzte Drama präsentiert er in einer 70mm-Breitwand-Fassung, und er spielt seinen Shakespeare bis zur letzten Zeile. Das bedeutet keineswegs, daß er Shakespeare näher kommt als alle Fassungen zuvor, denn der heute verbreitete Text ist eine Kompilation aus mehreren Fassungen und war zu Shakespeares Lebzeiten in dieser Form wohl nie zu sehen.

Vor den Augen des Zuschauers entfaltet sich die vom Mittelalter in ein imaginäres Dänemark des 19. Jahrhunderts versetzte Geschichte des dänischen Prinzen Hamlet. Durch den Tod des Vaters ist Hamlets Welt aus den Fugen geraten, zudem schwelen politische Unruhen im Hintergrund durch einen Konflikt mit Norwegen. Hamlet erscheint des Nachts der Geist des Vaters, enthüllt ihm, daß sein Onkel Claudius sich durch einen feigen Mord den Thron und die Hand seiner Gattin Gertrud erkauft hat. Der Auftrag des Geistes, seinen Tod zu rächen, ist für Hamlet eine eindeutige Verpflichtung, aber dennoch zögert er die Ausführung des Auftrags hinaus. Mit gespiEltern Wahnsinn löst er am Hof Verwirrung aus, nicht nur bei Claudius und dessen Berater Polonius, sondern auch bei seiner Geliebten Ophelia, der Tochter des Polonius. Um einen unwiderlegbaren Beweis für die Schuld des Königs zu finden, inszeniert Hamlet mit Wanderschauspielern ein Stück, das die Ereignisse des Mordes nachstellt. Claudius reagiert schuldbewußt. Eine kurz darauf sich bietende Gelegenheit, Claudius beim Gebet zu töten, läßt Hamlet verstreichen, da er befürchtet, der im Zustand der Reue Getötete könne der Hölle entkommen. Der Versuch der Mutter, Hamlet umzustimmen, bleibt ohne Erfolg. Vielmehr spitzen sich die Ereignisse zu, als Hamlet in einem Wutanfall im Schlafgemach der Königin den hinter einem Vorhang lauschenden Polonius tötet. Claudius faßt nach dieser Tat den Entschluß, Hamlet zu beseitigen. Er schickt ihn nach England und ordnet in einem versiegelten Brief Hamlets Tötung bei dessen Ankunft an. Hamlet durchschaut jedoch die Intrige und entkommt dem Anschlag. Bei seiner Rückkehr nach Dänemark entdeckt Hamlet, daß Ophelia nach dem Tod des Vaters in Wahnsinn verfallen ist und sich schließlich selbst getötet hat. Der über Hamlets Rückkehr informierte Claudius heckt einen neuen Plan aus, um Hamlet in einem Degenduell mit dem nach Rache dürstenden Bruder Ophelias, Laertes, durch Gift an einer präparierten Degenspitze und im Weinbecher zu töten. Während dieses Duells, in dessen Verlauf nicht nur Hamlet und Laertes, sondern auch die Königin und Claudius den Tod finden, stürmen schon die Truppen des jungen Fortinbras aus Norwegen den Palast, um die Herrschaft zu übernehmen.

Immer wieder haben Shakespeare-Kenner darauf hingewiesen, daß ein Menschenleben nicht ausreichen würde, um all die verschiedenen Deutungen zu studieren, die das Stück und vor allem der Charakter der Titelfigur erfahren hat. Von C.S. Lewis stammt die Theorie, daß jeder Rezipient eigentlich in Hamlet sein eigenes Spiegelbild finde. Das mag auch für Branagh gelten, denn sein Hamlet ist nicht der von "des Gedankens Blässe angekränkelte" introvertierte Grübler und Melancholiker, sondern ein Intellektueller mit Witz und Zynismus, ein Schauspieler und Regisseur - eben ein Typ wie ... Branagh! Die verbalen Wortgefechte und Verstellungen kostet er förmlich aus, seine Monologe sind keine inneren Reden, sondern mit dem gehörigen Pathos und rhetorischem Schliff inszenierte Reden für ein Publikum. Das Schlußbild des ersten Teils - der Film plant eine Pause ein - unterstreicht dies überdeutlich: vor einer eisigen Schneelandschaft steht Hamlet, schwarzgekleidet mit ausgebreiteten Armen, während ameisenklein im Hintergrund die Truppen des Fortinbras vorbeiziehen, und er zelebriert seinen Monolog "Wie jeder Anlaß mich verklagt" - gerichtet an die ganze Welt, die seine Bühne ist.

Branagh sucht bewußt andere Bilder als die gewohnten. Zwar ist sein Held in den meisten Szenen traditionell schwarz gewandet, aber die Verlagerung der Handlung ins 19. Jahrhundert verleiht dem Film ein ganz neues Ambiente. Die zeitliche Verschiebung begründet Branagh mit dem Hinweis auf die europäische Geschichte, die für diese Epoche plausibel zu gestaltende Verbindung von privatem Konflikt im Königshaus und den nationalen Konsequenzen. Aber als weiteren Grund hat er in Interviews auch angeführt, daß die Szenerie des 19. Jahrhunderts einen "opulenten, eleganten und kraftvollen Look" ermöglicht habe. Dies wird sichtbar, wenn Claudius und Gertrud einen Empfang geben und die Großen des Landes in schmucken blütenweißen Uniformen in mehrfach gestaffelten Reihen den Thronsaal füllen. Der äußere Glanz, das Dekorative triumphiert, Dänemark erscheint wie ein Operettenstaat. Immerhin bietet die glänzende Fassade den passenden Kontrast zu der eigentlichen Geschichte um gar nicht so saubere Geschäfte wie Mord und Intrigenspiel.

Der Schauplatz - Blenheim Palace liefert die Außenansicht von Schloß Helsingör, aufwendige Innenbauten entstanden in den Shepperton Studios - ist ein Hauptdarsteller des Films. Die einheitliche Gestaltung des Dekors wird aber nicht ergänzt durch einen einheitlichen Stil der Inszenierung. Branagh will seinen Kino-"Hamlet" für das intellektuelle wie für das einfache Publikum attraktiv machen. So kommt die Geistererscheinung mit all den Requisiten des klassischen Horrorfilms daher. Wenn die Nebel wabern, der Boden aufreißt und der Geist als lebendig gewordenes gigantisches Standbild mit stechendem Blick Hamlet fixiert, wird die Tradition der Hammer-Horrorfilme beschworen. Und wie Hamlet im Finale den König zur Strecke bringt, hätte einen Abenteuerfilm mit Kevin Costner alle Ehre gemacht. Branagh kann sich auf Shakespeare berufen, der auch philosophische Texte für die Anspruchsvollen mit Magie und Action für die "Gründlinge" mischte, aber Branagh tut des Guten zuviel und bringt den Film an den erwähnten Stellen fast in die Zone des unfreiwillig Komischen.

Seltener gelingen Branagh überzeugende räumliche und visuelle Umsetzungen des Stücks wie in der Inszenierung des Monologs "Sein oder Nichtsein", den er in einem großen hellen Saal spielen läßt, dessen Wände mit Spiegeln verkleidet sind, die zugleich Geheimtüren sind. Den Monolog spricht Hamlet direkt in den Spiegel, der zur anderen Seite durchlässig ist und hinter dem sich Polonius und Claudius verborgen haben. So spricht Hamlet nicht nur mit seinem eigenen gespiegelten Ich, sondern inszeniert sich gleichzeitig für die beiden Spione im Versteck. Ähnlich plausible Umsetzungen hätte man sich häufiger gewünscht.

Zu den Schwachstellen der Inszenierung zählt aber vor allem der schwerwiegende Fehler, daß Branagh Shakespeare bis zur letzten Zeile spielt, aber dem Text nicht traut. So bebildert er den gesprochenen Text, und die nur erwähnten Figuren treten bei ihm auf, zum Teil überaus prominent besetzt: man sieht selbstverständlich den Mord an Hamlets Vater, man sieht den Spaßmacher Yorick und den pausbäckigen jungen Hamlet im Spiel, man sieht eine ganze Riege englischer Shakespeare-Darsteller in stummen Rollen (John Mills als Onkel des jungen Fortinbras, Judi Dench als Hecuba, John Gielgud als Priamus). Branagh macht daraus fast schon ein Spiel, wenn er bei der Schilderung von Ophelias Selbstmord die Rede nicht bebildert, aber den Schlußakzent der Szene mit einem Bild der toten Ophelia unter Wasser setzt. Die Doppelungen in Text und Bild machen letztlich keinen Sinn, und man ist froh, daß die großen Monologe Hamlets kaum erzählende Passagen haben, die Branagh bebildern könnte.

Die Mäßigung, die Hamlet den Schauspielern auferlegt, hätte auch dem Regisseur Branagh gut getan; weniger wäre in vieler Hinsicht mehr gewesen. Immerhin ist er als Regisseur so geschickt, daß er den Schauspielern ihren Raum läßt. Die darstellerischen Leistungen sind zweifellos sehenswert. Daß Branagh seinen Hamlet zu rezitieren versteht, überrascht nicht, aber seine Partner sind eine starke Konkurrenz. Derek Jacobi, selbst ein vorzüglicher Hamlet-Darsteller auf der Bühne, ist ein herausragender Claudius und fast sehenswerter als Branaghs Titelheld, Julie Christie ist in ihrer ersten Shakespeare-Rolle eine nicht minder überzeugende Gertrud. Auch die weiteren Rollen sind durch englische Schauspieler gut besetzt. Für die Amerikaner im Ensemble bleiben vorwiegend die komischen Paradestückchen (Jack Lemmon als Marcellus, Billy Crystal als Totengräber, Robin Williams als Osric). Sie tragen bei zu einem "Hamlet", der nicht die beste Filmversion dieses Meisterwerks ist, aber der das Publikum bei allen Schwächen und auch bei vier Stunden Länge nicht langweilt.
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