Drama | Deutschland 2004 | 142 Minuten

Regie: Hans W. Geissendörfer

Nach dem Unfalltod ihres Mannes flüchtet eine verzweifelte Frau in die schneebedeckte Einöde Lapplands, um dort den Tod zu finden. Sie stößt auf den Nachlass einer alten Frau und vertieft sich in deren Lebensgeschichte, die von den schweren Kämpfen gegen einen brutalen Vater sowie der Liebe zu einem Hirten in den 1930er-Jahren erzählt. Dramatische Romanverfilmung um Liebe und Tod als schicksalhafte Triebkräfte des Lebens sowie das Erinnern und Erzählen als Mittel gegen die Vergänglichkeit. Zwar fügen sich anfänglich die Darsteller nicht so recht in die winterlich-archaische Landschaft, dann aber gewinnt die Geschichte zunehmend an Suggestivkraft und entfaltet bewegende Momente. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Geißendörfer Film- und Fernsehproduktion/WDR
Regie
Hans W. Geissendörfer
Buch
Hans W. Geissendörfer
Kamera
Hans-Günther Bücking
Musik
Irmin Schmidt
Schnitt
Peter Przygodda · Oliver Grothoff
Darsteller
Thomas Kretschmann (Aron) · Julia Jentsch (Ina) · Maria Schrader (Elisabeth) · Ulrich Mühe (Knövel) · Oliver Stokowski (Salomon)
Länge
142 Minuten
Kinostart
20.01.2005
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Kinowelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Es beginnt wie ein Wandeln auf dünnem Eis: Vorsichtig erkundigt sich die Schwägerin, wie es denn um die Ehe stehe, und der Schwager antwortet so behutsam, als traue er der Tragfähigkeit des hart erarbeiteten Glücks noch nicht. Am nächsten Morgen nimmt er den Frieden, den seine Familie gefunden hat, mit in den Unfalltod. Nach der Beerdigung gibt seine Witwe ihre drei Sprösslinge zur Tante und fährt in die schwedische Winterlandschaft hinaus. Sie stellt den Wagen am Wegrand ab und lässt beim Gehen die Türen offen. Zum Sterben entschlossen, stapft Elisabeth in die Schneewüste Lapplands, doch der Sturm treibt sie nicht ins eigene Grab, sondern an das einer alten Frau. Die Bäuerin ist auf ihrem einsamen Gehöft gestorben und hat der verzweifelten Schriftstellerin ihre Lebensgeschichte in alten Notizheften überlassen. Wie eine von der Welt vergessene Scheherazade erzählt sich Elisabeth das Leben der Verstorbenen. Ihren eigenen Tod schiebt sie für jedes Kapitel ein weiteres Mal hinaus. Zwölf Jahre hat die Emigration Hans W. Geißendörfers aus dem Kino angedauert, zwölf Jahre, in denen er sich ausschließlich seiner „Lindenstraße“ widmete. Für die Rückkehr auf die Leinwand hat er sich ein Thema ausgesucht, das vom zeitgenössischen Mikrokosmos der deutschen Nachbarschaft kaum weiter entfernt sein könnte. „Schneeland“ ist eine Geschichte von den letzten Dingen, die nach dem gleichnamigen Roman der schwedischen Autorin Elisabeth Rynell den Bogen von der Gegenwart zur Vormoderne einer bäuerlichen Archaik spannt. Es geht um Liebe und Tod als schicksalhafte Triebkräfte des Lebens, um verschwisterte Frauenseelen und um das Erinnern und Erzählen als Antidot gegen die Vergänglichkeit. Die eigentliche Fabel ist dabei alternierend in die Rahmenhandlung eingelassen und führt in die 1930er-Jahre zurück: Aron, ein unsteter Wanderer, rettet sich in einer rauen Winternacht in eine kleine Dorfgemeinschaft und findet in ihr Unterschlupf. Seinem verschlossenen Gesicht ist anzusehen, dass er schwer an einer seelischen Bürde trägt. Da Aron aber freundlich ist und sich auf den Umgang mit Pferden versteht, vertrauen ihm die Menschen ihre schweren Gäule an. Im Sommer zieht er mit einer kleinen Herde zur Weide auf eine abgeschiedene Ebene und bekommt dort Besuch von einer jungen Frau. Ina lebt mit ihrem Vater zusammen, der sie mit dem Knüppel erzogen hat und seit dem Tod ihrer Mutter sexuell missbraucht. Schon bevor Aron in ihre Nähe kam, setzte sich Ina gegen ihren Peiniger zur Wehr und hat sich so etwas wie eine friedliche Koexistenz geschaffen. Mit Aron an ihrer Seite ist es damit jedoch vorbei. Offensichtlich ist „Schneeland“ alles andere als ein kleinmütiges Comeback. Schon Geißendörfers Äußerungen zu seinem Film merkt man an, dass er es noch einmal wissen wollte. „Ich habe versucht, das menschliche Urgestein Sehnsucht, Liebe und Tod auf seine archaische Kraft zu reduzieren“, so Geißendörfer, „ich wollte diesmal nicht weggucken, wenn es weh tut.“ Tatsächlich schwelgt Hans Günther Bückings Kamera in der kargen Landschaft und lässt insbesondere bei Inas Ringen mit ihrem buckligen Vater kein hässliches Detail unbetrachtet vorüberziehen. Gleichwohl dauert es eine gute Stunde, bis man sich in diese in epischer Breite vorgeführte enge Welt hineingefunden hat. Das liegt vor allem daran, dass es Geißendörfer nicht recht gelingt, seine Schauspieler glaubwürdig im lokalen Kolorit zu färben. Zweifelsohne hat er ein vorzügliches Ensemble versammelt, und doch wirkt es auf der schwedischen Scholle lange wie ein Fremdkörper. So gut können die Schauspieler gar nicht sein, um dem urwüchsigen Zustand, den die unendlich weit entfernt scheinenden Figuren einfordern, gerecht zu werden. Die Bilder, die man von Thomas Kretschmann, Julia Jentsch oder Ulrich Mühe ins Kino mitgenommen hat, bekommt man jedenfalls einfach nicht aus dem Kopf. Letztlich arbeitet die Zeit dann aber doch für Geißendörfer. Hat man sich erst einmal an die deutsche Anmutung im Nordischen gewöhnt, entfaltet die Geschichte ihre bewegenden Momente. So ist „Schneeland“ zwar nicht die von seinem Schöpfer erhoffte große Rückkehr ins Kino geworden, aber doch mehr als eine bloße Bezeugung guten Willens. Am Ende wärmt sich auch das Publikum am Feuer der lebendig flackernden Erinnerung.
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