Lady Chatterley (2006)

Drama | Frankreich 2006 | 201 (TV)/167 (Kino), (DVD: 127 & 167) Minuten

Regie: Pascale Ferran

Eine junge Frau heiratet im England des Ersten Weltkriegs den gut situierten Clifford Chatterley. Als dieser querschnittsgelähmt und impotent von der Front zurückkehrt, ergibt sie sich in ihr Schicksal, pflegt den Invaliden und lebt ein eintöniges Leben. Doch in den Wäldern stößt sie auf den Jagdaufseher des Anwesens, und über Standes- und Sittengesetze hinweg entwickelt sich eine leidenschaftliche Beziehung. Die formal virtuose, von Naturalismus und ungezwungenen Charakteren beseelte Literaturadaption lässt Raum für reizvolle Interpretationsansätze, konterkariert seine ernsthaften Ambitionen jedoch phasenweise durch überzogen kitschige Szenen.
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Filmdaten

Originaltitel
LADY CHATTERLEY | LADY CHATTERLEY ET L'HOMME DES BOIS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Maia/Saga/arte/Titre et Structure/Les Films du Lendemain
Regie
Pascale Ferran
Buch
Pascale Ferran · Roger Bohbot
Kamera
Julien Hirsch
Musik
Béatrice Thiriet
Schnitt
Mathilde Muvard · Yann Dedet
Darsteller
Marina Hands (Lady Chatterley) · Jean-Louis Coulloc'h (Parkin) · Hippolyte Girardot (Clifford) · Hélène Alexandridis (Mrs. Bolton) · Hélène Fillières (Hilda)
Länge
201 (TV)
167 (Kino), (DVD: 127 & 167) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Special Edition überzeugt durch die Präsentation der französischen Kinoversion (167 Min.) sowie der Fernsehfassung (127 Min.) und zudem durch das ausführliche "Making Of" (52 Min.). Die Special Edition ist mit dem Silberling 2008 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Alamode (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz., DD2.0 dt.)
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Diskussion
Pascale Ferrans Ansatz, D.H. Lawrence’ Buch-Klassiker „Lady Chatterley“ weitgehend werkgetreu zu verfilmen, ist im Prinzip biederes Literaturkino: Eine junge Frau heiratet in England während des Ersten Weltkriegs in die gut situierte Familie der Chatterleys. Doch ihr geliebter Clifford, dem sie schon seit Jugendtagen zugetan ist, kehrt querschnittsgelähmt, impotent und für immer gezeichnet von der Front nach Hause zurück. Constance ergibt sich in ihr Schicksal, pflegt den Invaliden auf dem Schloss der Familie und lebt das eintönige Leben einer Lady. Als sie eines Tages in den Wäldern des Anwesens auf den Jagdaufseher Parkin stößt, bemächtigen sich verdrängte, für immer überwunden geglaubte Gefühle der Frau. Über Standes- und Sittengesetze hinweg entwickelt sich eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Selbst eine Schwangerschaft ist nicht ausgeschlossen; doch eine Scheidung kommt für Conny nicht in Frage. Pascale Ferran siedelt ihre Adaption am fraglichen Ort, zur fraglichen Zeit und mit einer Personenkonstellation an, die in ihrer Zeit fraglos für Aufsehen gesorgt hätte, wenn die Dreiecksbeziehung publik geworden wäre. Sexuelle Selbstbestimmung, die Trennung von Sexualität und Ehe, die Gleichberechtigung von Sex und Liebe, das Eingeständnis weiblicher Leidenschaft – all das war einmal aufregend, gehört aber heute längst der Vergangenheit an. Gleichwohl hat die biedere Umsetzung einer inzwischen biederen Geschichte ihre reizvollen Momente. Sie versagt sich der grundsätzlichen Überspitzung in Extreme, ist weder – wie im Theaterbetrieb üblich – grell-bunt und modernistisch noch – wie im Filmbetrieb üblich – episch ausladend, kostümüberfrachtet und betont literarisch. Pascale Ferrans „Lady Chatterley“ ist, neben allen anderen „Deutungsversuchen“ zwischen Pomp und Porno, um Natürlichkeit aus dem Naturalismus heraus bemüht. Man soll sich auf die Charaktere als Menschen und nicht als Kunstfiguren einlassen, soll spüren, was hier als Skandal nur angedeutet ist, und aus der ungebrochenen Geschichte selbst Schlüsse ziehen und nicht durch wilde Deutungsorgien des Regietheaters (fehl-)geleitet werden. Das ist beachtlich und mutig. Mutig nicht nur, wegen der unaufgeregten Form, sondern auch wegen der unaufgeregten Sexszenen, die gegen den aktuellen Trend des europäischen Kunstkinos laufen, das eine provozierende Freizügigkeit an den Tag legt. Pascale Ferran interpretiert die sexuelle Befreiung als Naturerfahrung. Der Zuschauer erlebt die „Erweckung“ der frustrierten und emotional eingeschränkten Conny über deren Umwelterfahrungen. Mit dem Augenblick der Initialisierung, als sie Parkin erstmals heimlich mit nacktem Oberkörper nahe des abgelegenen Waldhäuschens sieht, erwacht auch die Natur um das Schloss zum Leben. Dieser Vorgang und die sich daraus ergebenden Veränderungen sind die stärksten Momente des Films. Hier ist man allein mit Conny und ihren Empfindungen, die zum Glück nicht durch allzu explizite verbale Deutungen und dramaturgische Zuspitzungen überdeutlich werden. Die Figuren schweigen lange und verleihen dem Rest der erstaunlichen Tonspur sowie den eindrucksvollen Bildern dadurch zusätzliches Gewicht. Dieses formal-inhaltliche Element, das man ähnlich eindrücklich vielleicht nicht mehr seit Rivettes „Die schöne Querulantin“ (fd 29 330) gesehen und gehört hat, trägt den Film über lange Strecken. Umso härter wirken die inszenatorischen Übertreibungen: So „natürlich“ und unverkrampft die Kaminszene auch ist, in der die Liebenden ihre Geschlechtsteile mit Blumen schmücken, sie bleibt schwülstig und kitschig mit Hang zur Peinlichkeit; und so erfrischend sich der Sommerregen auf Waldlichtungen auch anlässt, den die darin umher springenden nackten Liebenden genießen, man assoziiert bestenfalls den Groschenroman, den „Lady Chatterley“ mit allen Mitteln vermeiden will. Es sind diese Brüche ohne Not, diese Übertreibungen, die einen bemerkenswerten Film vom Meisterwerk trennen. „Lady Chatterley“ hat eine langwierige, schwierige Finanzierungs- und Produktionsgeschichte. Was u.a. zur Folge hatte, dass der Hauptgeldgeber arte auf einen Fernseh-Zweiteiler (201 Min.) bestand, der sich signifikant von der Kinofassung unterscheidet. Der stille, mithin geheimnisvolle, in den Nebenfiguren mitunter oberflächliche Kinofilm (167 Min.), den Ferran als das „definitive Werk“ begreift, ist in der langen Fassung dialoglastiger, erklärender, eingängiger und daher auch weniger spannend. Gerade durch die längere Exposition – Parkin und Conny sehen sich schon vor der „Initialisierung“ – wirkt Connys sexuelle Erweckung ein wenig zu behauptet. Dafür ist die „Diskussion“ über einen Erben des Hauses Chatterley besser hergeleitet und das sexuelle Verlangen nicht explizit auf Parkin allein beschränkt.
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