J'ai toujours rêvé d'être un gangster

Gangsterfilm | Frankreich 2007 | 113 Minuten

Regie: Samuel Benchetrit

Ein entlegenes Café wird zum Anlaufpunkt für verschiedene mehr oder minder "kleine Leute", die alle davon träumen, Gangster zu sein. Unter stilistischen Rückgriffen auf Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" inszenierter Film, der den Gangster-Mythos freilich nicht wie Tarantino spielerisch zelebriert, sondern ihn mit eher an Jim Jarmusch erinnernder Lakonie auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Dabei beleuchtet der Film anstelle von zynischen Gewalt-Eskalationen humorvoll die Spannung zwischen Lebensträumen und Wirklichkeit seiner Figuren. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
J'AI TOUJOUR RÊVÉ D'ÊTRE UN GANGSTER
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Canal +/Fidélité/TPS/Wild Bunch
Regie
Samuel Benchetrit
Buch
Samuel Benchetrit
Kamera
Pierre Aïm
Schnitt
Sophie Reine
Darsteller
Anna Mouglalis (Bedienung) · Edouard Baer (Räuber) · Jean Rochefort (Jean) · Laurent Terzieff (Emile) · Jean-Pierre Kalfon (Max)
Länge
113 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Gangsterfilm | Drama
Externe Links
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Diskussion
Das entlegene Café mit dem riesigen Parkplatz könnte aus einem Film von Jim Jarmusch stammen. Oder von Quentin Tarantino: Spätestens als es sich zu einem Tummelplatz für Gangster und solche, die es gerne wären, entwickelt, weht ein Hauch „Pulp Fiction“ (fd 31 041) über den Tresen. Formal ruft schon die erste Szene Erinnerungen an Tarantinos Collagen-Kino wach. Weite Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen, wie ein Kleinwagen auf den Parkplatz vor dem Café fährt und ein maskierter Mann aussteigt. Die Perspektive wechselt dabei mehrfach um 180 Grad. Im klassischen Erzählstil sind solche Achsensprünge streng verboten, doch ähnlich wie bei Tarantino verstößt auch hier die Montage gezielt gegen derartige Konventionen, um so das Gefühl eines rebellischen, „schmutzigen“ Kinos zu vermitteln. Mit „unsauberen“ Schnitten, Rückblenden in Stummfilm-Manier und einem episodenhaften, achronologisch montierten Handlungsaufbau hebt sich der Film vom unauffälligen Einheitskino ab. Selbst der coole Gitarrensound und die oft langen, bizarr-banalen Dialoge wirken bisweilen „tarantinoesk“. Ganz anders aber als bei Tarantino geht die Handlung bei Samuel Benchetrit aber kaum einmal über solche Gespräche hinaus. In vier Episoden, die um das Café und seine geheimnisvolle, schöne Serviererin organisiert sind, wird von eigentlich recht gewöhnlichen Menschen erzählt, die schon immer davon geträumt haben, Gangster zu sein. Ein Traum, der weitgehend unerfüllt bleibt. Da ist der maskierte Kleinganove vom Anfang des Films. Weil er durch seine Maske kaum etwas sieht, läuft er gegen einen Laternenpfahl. Danach sperrt er sich aus seinem Auto aus. Und eine Pistole hat er sowieso nicht. Anstatt das Café zu überfallen, unterhält er sich lieber mit der Kellnerin, die selbst über reichlich kriminelle Energie verfügt. Zumindest in ihrer Fantasie. Wenig besser ergeht es den beiden gutherzigen Ganoven, die eine junge Frau entführen, um Geld von ihrem Vater zu erpressen. Am Ende sind sie es, die den depressiven Teenager davon abhalten müssen, sich das Leben zu nehmen. Immerhin: In der dritten Episode macht sich ein Song-Schreiber mit einer Tasche voller unveröffentlichter Lieder seines Kollegen davon, als dieser gerade auf der Toilette ist. Gespielt werden die beiden Sänger von den französischen Musikern Alain Bashung und Arno. Das ist aber auch schon der Höhepunkt des kriminellen Glamours. Überfälle, Schießereien, Psychopathen oder Folterszenen, die sich Tarantino stets genüsslich ausmalt, haben hier keinen Platz. Wenn es doch einmal zum gewalttätigen Übergriff kommt, wird dieser im Stil einer Slapstick-Komödie inszeniert und endet schlimmstenfalls mit Knochenbrüchen. Das Gangsterleben, scheint der Film sagen zu wollen, ist eben immer nur da heroisch, wo es nicht stattfindet. Zum Beispiel in unseren Vorstellungen, im Genrekino, bei Tarantino. Oder aber in den Erinnerungen der alten Männer und ehemaligen Bankräuber, die hier einen Schwur erfüllen wollen, indem sie einen der Ihren aus dem Krankenhaus „befreien“ und zum Sterben in ihr ehemaliges Räubernest bringen. Bloß stellt sich heraus, dass der vermeintlich Todkranke gerne noch ein bisschen länger leben möchte. Das Versteck im Wald ist längst dem Café gewichen, und dort sitzen die Alten, schwelgen in Erinnerungen und schmieden neue Pläne. Als sie die Bank von damals noch einmal überfallen wollen, müssen sie feststellen, dass da mittlerweile ein „McDonald’s“-Restaurant steht. Die guten alten Zeiten sind eben vorbei. Zumindest für die netten, „pensionierten“ Verbrecher. Gut möglich, dass der Film überdies als Hommage an ein unschuldiges Ganoven-Genre gedacht ist, auf das sich heutzutage fast nur noch ironisch Bezug nehmen lässt. Er erweist sich dabei keineswegs als simpler französischer „Pulp Fiction“-Aufguss, im Gegenteil: Nicht nur, weil er humorvoll bleibt, wo Tarantino zynisch wird, geht er grundsätzlich darüber hinaus, und während Tarantino lustvoll aus der Wirklichkeit abhebt und in opulent inszenierte Comic-, Groschenroman- und Exploitation-Welten eintaucht, erzählt Benchetrit lakonisch wie Jarmusch und holt den Traum vom Gangster-Dasein auf den Boden der Tatsachen zurück. Das Kinoplakat visualisiert die Sehnsucht des kleinen Mannes – und der kleinen Frau – nach einem abenteuerlichen Outlaw-Existenz im Bild einer stillenden Mutter mit Kanone, das im Film gar nicht vorkommt. Konsequent verbannt Benchetrit das Banditenparadies von der Leinwand. Zugleich verlagert er es in die Köpfe seiner wunderbar gespielten Protagonisten – angefangen von Anna Mouglalis bis in die Nebenrollen – und ins Off. Allenfalls im Schlussbild deutet sich so etwas wie eine mögliche Renaissance der „Bonnie and Clyde“-Romantik an; aber da hat das Paar, das nun gemeinsam davon träumt, Gangster zu sein, dem Publikum bereits den Rücken zugekehrt.
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