Das System - Alles verstehen heißt alles verzeihen

- | Deutschland 2010 | 92 Minuten

Regie: Marc Bauder

Ein junger Kleinkrimineller gerät an einen Geschäftsmann, der ihn ins "große Geschäft" einführt: in ein dubioses Netzwerk aus Wirtschaft, Politik und ehemaligen DDR-Geheimdienstlern, das seine Ränkespiele zum eigenen Vorteil betreibt. Dabei wird er auch mit Geheimnissen seiner eigenen Familiengeschichte konfrontiert. Der Debütfilm entwirft ein beeindruckendes, zunächst geschickt aufgebautes Spannungsszenario, engt den politischen Stoff um unlautere Seilschaften aber auf eine private Recherche ein. Die Analyse des "Systems" politisch-wirtschaftlicher Verstrickungen bleibt dadurch zu sehr im Vagen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Frisbeefilms/Bauderfilm
Regie
Marc Bauder
Buch
Dörte Franke · Khyana el Bitar
Kamera
Daniela Knapp
Darsteller
Jacob Matschenz (Mike Hiller) · Bernhard Schütz (Konrad Böhm) · Jenny Schily (Elke Hiller) · Franziska Wulf (Janine) · Heinz Hoenig (Herbert Tieschky)
Länge
92 Minuten
Kinostart
12.01.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Ein guter Polit-Thriller, so Dominik Graf, verleihe dem Zuschauer das wohlige Gefühl, „denen da oben“ werde gehörig auf die Finger geklopft. Grafs Vorbilder sind französische und italienische Filme der 1960er- bis 1980er-Jahre. Dort erlaubte man sich gelegentlich sogar den Luxus, denjenigen, der einer politischen Verschwörung auf die Schliche kommt, am Ende sterben zu lassen, etwa Lino Ventura in Francesco Rosis „Die Macht und ihr Preis“ (fd 19 828). Das Unbehagen der Ohnmachtserfahrung im Kino wirkt so produktiv über den Film hinaus ins Leben. Auch Marc Bauders „Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen“ wagt sich aufs holprige Terrain des Politthrillers. Darin geht es um undurchsichtige Geschäfte in Zusammenhang mit der Gas-Pipeline durch die Ostsee. Damit der Zuschauer nicht denkt, dass es sich um reine Fiktion handelt, erhält Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder einen Kurzauftritt im souverän eingespeisten Dokumentarmaterial. Im Kern aber dreht sich der Film um alte Stasi-Seilschaften, die in Mecklenburg-Vorpommern weiter aktiv sind; ihre Macht schöpfen sie daraus, dass sie 1989/90 wichtige Akten verschwinden ließen, die sie nun zur Erpressung nutzen. In dieses undurchsichtige Milieu gerät der junge Kleinkriminelle Mike. Bei einem missglückten Einbruch wird er von dem Ex-Devisenbeschaffer Konrad Böhm erkannt, der einst mit Mikes Vater zusammenarbeitete. Böhm macht aus dem Punk in Windeseile einen Anzugträger, der als sein Handlanger agieren soll; er selbst gibt souverän den Westentaschen-Agenten in der ostdeutschen Provinz. Mikes Mutter, eine trockene Alkoholikerin, sieht den neuen Umgang ihres Sohns nicht gern. Auch sie hat gute Gründe, die ebenfalls in der Vergangenheit liegen. Geschildert wird all dies aus der Perspektive Mikes, den es recht unvermittelt in eine Welt verschlägt, in der lukrative Geschäfte von älteren Männern in Hotelzimmern und auf Golfplätzen eingefädelt werden. Mike ist dabei, aber auch wieder nicht: Er wird manipuliert, durchschaut die Ränkespiele kaum. Der Film folgt ihm auch darin und stürzt sich lieber aufs Private: Mike beginnt, in seiner eigenen Familiengeschichte zu forschen, und kommt einer undurchsichtigen Verschwörung auf die Spur. Eigentlich ein tragfähiger Stoff. Lange hat man ja auch in der Barschel-Affäre auf die eine Stasi-Akte gehofft, die die mysteriösen Todesumstände des Politikers in Genf aufgeklärt hätte. Über die Verquickungen von Kapital und Politik, in der norddeutschen Tiefebene gerne als „väterliche Freundschaft“ camoufliert, ist man auf dem neuesten Stand. Doch „Das System“ löst seine viel versprechenden Vorgaben nicht ein. Schlimmer noch: Man kann buchstäblich dabei zusehen, wie der Debütfilm sein Potenzial verspielt, weil alles im Harmlos-Ungefähren verbleibt. Insbesondere die Beziehungen zwischen den Protagonisten bleiben psychologisch unbegründet. Die Bösen könnten böse sein, sind aber meist nur auf schmierige Weise jovial. Mike könnte sich durch Macht und Geld korrumpieren lassen, ist aber ein anständiger Kerl. „Big Crime“ wird auf dem Niveau eines Bauerntheaters nachgespielt, und selbst der mächtige Strippenzieher Tieschky ist bestenfalls ein etwas prolliger Provinzmogul. So wird mit viel Bohei ein durchaus beeindruckendes Szenario entworfen, um dann doch nur zu erzählen, dass die wichtigen Entscheidungen andernorts, gewissermaßen jenseits des Filmpersonals getroffen werden. Was als gefährlich-bedrohlich etabliert wird, erweist sich immer mehr als Schimäre, weshalb es auch nur konsequent ist, dass ein Einbruch ins schwer gesicherte Stasi-Archiv kinderleicht ist und überdies der Familienforschung dient. Die auf der Handlungsebene solcherart verdoppelte Ohnmachtserfahrung des Zuschauers verläppert in achselzuckender Gleichgültigkeit, wenn sich „die da oben“ lediglich als machtlose Gartenzwerge von vorvorgestern erweisen. Anders gesagt: Dieser Polit-Thriller tut nur so, als interessiere er sich für Politik, belässt es aber bei einem Schattenspiel des Politischen. So dürfen die „Erniedrigten und Beleidigten“ nur kurz an der Sphäre des Politischen schnuppern, um sich dann moralisch indigniert abzuwenden und nach dem Glück im Kleinen zu streben. Wohin der Film nicht gelangen kann, weil er es gar nicht will, deutet zumindest das Bild Gerhard Schröders an.
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