Und morgen Mittag bin ich tot

Drama | Deutschland 2013 | 102 Minuten

Regie: Frederik Steiner

Eine junge Frau, die seit ihrer Kindheit an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leidet, entscheidet sich dazu, in der Schweiz mithilfe einer Sterbehilfe-Organisation aus dem Leben zu scheiden. Die Feier ihres letzten Geburtstags im Kreise der Familie wird zum Anstoß, ihren Entschluss noch einmal auf den Prüfstand zu stellen. Behutsam inszeniertes Drama mit einer herausragenden Hauptdarstellerin, das sich um eine ausgewogene Darstellung der Argumente für und gegen Sterbehilfe bemüht. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Peter Heilrath Filmprod./Goldkin Filmprod./ARRI/SWR/ARTE
Regie
Frederik Steiner
Buch
Barbara te Kock
Kamera
Florian Emmerich
Musik
Daniel Sus
Schnitt
Bernd Schlegel
Darsteller
Liv Lisa Fries (Lea) · Lena Stolze (Hannah) · Sophie Rogall (Rita) · Max Hegewald (Moritz) · Bibiana Beglau (Michaela Orff)
Länge
102 Minuten
Kinostart
13.02.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Behinderung, Krankheit und Sterben sind im deutschen Film seit einigen Jahren auf merkwürdige, gerne über Bande gespielte Weise en vogue: als mitunter entscheidender Impuls eines Bildungsromans der Nicht-so-Kranken oder Überlebenden. Als Scharnier fungiert dabei das Wort „Komödie“. Sprich: Weil die Menschen mit Behinderung oder die Totgeweihten selbst schon so krass drauf sind im Umgang mit ihrem Schicksal, sollen derbe Sprüche helfen, einem verstockten Normalo die Angst vor der Vervollkommnung seiner Persönlichkeit zu nehmen. Motto: Echt traurig, aber immer auch lustig! Filme wie „Ein Tick anders“ (fd 40 540), „Renn, wenn du kannst“ (fd 39 972) oder „Heiter bis wolkig“ (fd 41 243) versuchen auf dieser mittleren Tonlage, über ein „ernstes“ Thema nicht nur tränenreiches Betroffenheitskino zu machen. Daran kann man denken, wenn man in „Und morgen Mittag bin ich tot“ der 22-jährigen Lea zum ersten Mal begegnet. Ganz schön kess, denkt man, wenn sie herausfordernd auf die Fragen des Grenzers antwortet, was sie denn in der Schweiz wollte. Trainingslager? Wo sie doch trotz Beatmungsgerät mühsam um jeden Atemzug ringt wie ein Fisch an Land? Und dazu dieser Augenaufschlag von Liv Lisa Fries, ein dauernder Appell an elementare Hilfsbereitschaft. Bambi! Doch so konventionell und vor allem vorhersehbar auch manches hier ausgefallen sein mag, stellen Frederik Steiner (Regie) und Barbara Te Kock (Drehbuch) doch unmissverständlich klar, dass in ihrem Film die totkranke Lea als Zentrum des Diskurses fungiert und nicht als Katalysator für Dritte. Denn Lea ist in die Schweiz gefahren, um dort „betreut“ zu sterben. Sie ist ihre Mühsal leid – und sie hat ihren Bruder Benji an den Folgen einer Lungentransplantation sterben sehen. Benji litt wie Lea an der schweren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose – und die Option einer Spenderlunge hat Lea bewusst ausgeschlagen. Ihr Entschluss zu sterben steht also fest, aber sie möchte sich dabei professionell und nach Möglichkeit schmerzlos helfen lassen, gerne auch im Beisein ihrer Familie, die sie nach Zürich eingeladen hat. Jede der Figuren und auch jede der folgenden Szenen hat eine bestimmte Funktion, um die Themen „Krankheit“, „Selbstbestimmtes Sterben in Würde“ und „Sterbehilfe“ möglichst differenziert zu beleuchten. Im Zentrum steht dabei stets das Leid der schwerkranken Lea. Leas Vater hat die Familie mit den zwei kranken Kindern früh verlassen, weil er der Situation nicht gewachsen war. Man kann das kritisieren, aber man muss es nicht verurteilen, wie die Großmutter sagt. Leas Mutter Hannah hat als Alleinerziehende zwei kranke und ein gesundes Kind aufgezogen, hat stets gekämpft und dabei gelernt, dass dieser Kampf nur auszuhalten ist, wenn man sich an jeden Strohhalm klammert. Es ist schnell klar, dass Hannah die größten Schwierigkeiten haben wird, Leas Entscheidung zu akzeptieren. Leas Schwester Rita agiert weitaus pragmatischer und deshalb auch solidarischer. Bleibt die Frage, ob das Leben nicht trotz der schweren Krankheit immer Momente bietet, die es soweit lebenswert machen, dass der Tod seinen Reiz verliert. Hier führt der Film zwei Männer ins Feld: Mit dem Chirurgen Heiner hatte Lea wohl eine Beziehung, aber Heiner fungiert hier nur als Stellvertreter der Ratio (und bleibt leider, aber notwendigerweise etwas blass). Interessanter ist die Figur des jungen Moritz, der durch den Selbstmord seiner Mutter traumatisiert wurde und seither – schwer depressiv – auch sterben möchte. Sein Fall aber wurde von der Sterbehilfe-Organisation abgelehnt. Mit Moritz verbringt Lea ein paar Stunden, die es dem Film erlauben, zwischenzeitlich einen leichteren, etwas sarkastischeren Ton anzuschlagen. Zugleich aber dient Moritz auch dazu, die Seriosität der Arbeit der Sterbehilfe-Organisation zu betonen, deren Arbeit sonst nur durch den Auftritt eines Arztes und durch eine seltsame, stets gütig lächelnde „Todesengel“-Performance von Bibiana Beglau präsent ist. Ihm könnte noch zu helfen sein. So hält der Film trotz seiner dramaturgischen Konstruktion und einiger Längen im hinteren Drittel eine behutsam abwägende Balance, die jeder Figur ihr Recht (und ihre diskursive Funktion) zugesteht, aber stets die Mühsal und Leas längst in Erschöpfung umgeschlagene Verzweiflung derart in den Mittelpunkt rückt, dass die ethische Dimension der aktuellen Debatte um die Sterbehilfe vom Kopf auf die Füße gestellt wird. Wer Lea über 100 Minuten beim atemlosen Leben zugesehen hat, muss ihr das Recht einräumen, am Schluss in Würde über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Ihr Entschluss ist alles andere als eine Kurzschlusshandlung, sondern wohlbedacht und Resultat ihrer höchst individuellen Erfahrung von Krankheit.
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