Komödie | Deutschland/Schweiz/Österreich 2013 | 94 Minuten

Regie: Benjamin Heisenberg

Ein Gelegenheitsgauner flieht vor Schuldeneintreibern an den Ammersee, wo er in der Villa eines greisen Psychiaters als eine Art Helfer in allen Lebenslagen unterkommt. Insgeheim hat es der Gauner auf die Bücher des Wissenschaftlers abgesehen, während dieser ihn als unfreiwilliges Studienobjekt betrachtet, das er sogleich zu therapieren beginnt. Eine enthemmte filmische Meditation über das Komische, in der zwei wunderbare Darsteller mit gelassener Lakonie den aberwitzigen Zumutungen des Drehbuchs folgen. Was im Detail wie blanke Anarchie erscheint, fügt sich auf einer abstrakteren Ebene wundersam gewitzt zur großen, sehr beweglichen Form. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Schweiz/Österreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Komplizen Film/Vega Film/Novotny & Novotny Filmprod.
Regie
Benjamin Heisenberg
Buch
Josef Lechner · Benjamin Heisenberg
Kamera
Reinhold Vorschneider
Musik
Lorenz Dangel
Schnitt
Stefan Kälin · Andreas Wodraschke
Darsteller
André Wilms (Curt Ledig) · Georg Friedrich (Nick Gutlicht) · Bettina Stucky (Rosa) · Susanne Wolff (Norah) · Elisabeth Orth (Frau Tischmann)
Länge
94 Minuten
Kinostart
08.05.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
In den Filmen von Benjamin Heisenberg gab es bislang wenig zu lachen. Im Presseheft zu „Über-Ich und Du“ aber ist zu lesen, dass er schon lange eine Komödie drehen wollte; selbst „Schläfer“ (fd 37 588) sei als Komödie gedacht gewesen, dann aber ein Paranoia-Thriller geworden. Auch der neue Film ist keine reine Komödie, eher eine filmische Meditation über das Komische und wie man es evoziert. Das riecht nicht nur nach High-Concept, das besticht zunächst auch durch eine gewisse narrative Bedenkenlosigkeit, die den Zuschauer umstandslos in ein Paralleluniversum versetzt, das durchaus bekannt ausschaut, auch wenn ganz andere Gesetze gelten. Da gibt es den Tunichtgut Nick Gutlicht, der sich als Buchdealer durchschlägt und nicht nur Schulden bei einer Gangsterbande gemacht hat, deren Chef auf den Namen „Mutter“ hört. Mutter hat Nick Prügel angedroht, weshalb er die Stadt verlässt und in einer Villa am Ammersee untertaucht. Deren Besitzer soll auf Reisen sein, doch just, als Nick in die Villa einbrechen will, bemerkt er, dass der alte Mann einem blasierten Fernsehteam gerade ein Interview gibt. Nick, äußerst geschmeidig, versteht sich auf die Kunst der Improvisation und ist kurz darauf als Housesitter akzeptiert. Er soll sich ums Anwesen und den sehr berühmten, aber mittlerweile mindestens auch etwas schrulligen Psychoanalytiker Curt Ledig kümmern. Dieser plant gerade einen sensationellen Vortrag über seine NS-Vergangenheit, der sicher wie eine Bombe einschlagen würde, wenn die Fakten nicht längst bekannt wären. Es geht folglich um Schuld und Schulden. Aus der zufällig entstandenen Housesitter-Konstellation entwickelt sich eine mehr als schräge Buddy-Komödie, in der das odd couple sich wechselseitig mit Spleens und Marotten infiziert. Während Nick sich vornehmlich an Curts kostbarer Bibliothek vergeht, betrachtet Curt seinen Helfer als interessantes Forschungsobjekt. Er beginnt Nick, der „diesem ganzen Psychoscheiß“ extrem reserviert gegenüber steht, gegen dessen Willen zu therapieren. Was zunächst nur zu einigen interessanten Übertragungen führt, wenn Nick unvermittelt einige Ticks und Phobien Curts übernimmt. Zusätzliche Bewegung kommt ins Spiel, als Nick den Psychiater in seine Scharmützel mit Mutter und ihren Schlägern hineinzieht, während Curt überraschend Besuch von seiner Familie aus Amerika bekommt, die dem wunderlichen Schauspiel nach Möglichkeit recht unbeteiligt folgt. Es ist äußerst erfrischend, die beiden wunderbaren Hauptdarsteller André Wilms und Georg Friedrich dabei zu beobachten, wie sie mit größter Lakonie und Gelassenheit den aberwitzigen Zumutungen des Drehbuchs Folge leisten und dabei tatsächlich zahlreichen Mechanismen des Komischen – vom Unterspielen bis hin zu körperlichem Slapstick – auf die Spur kommen. Von den sich bietenden unerhörten Freiheiten eines denkbar locker gehaltenen Konzepts inspiriert, nimmt sich Heisenberg spielerisch selbst die Freiheit, bestimmte Motive und Erzählfäden einfach „sein“ zu lassen und sich lieber um die Chemie in der Interaktion zu bekümmern. Man muss schon ein paar Größen der Filmgeschichte wie Buñuel, Herzog oder Resnais bemühen, um das, was „Über-Ich und Du“ an Dynamik anzubieten hat, angemessen zu würdigen. Was hier im Detail wie blanke Anarchie lässig leuchtet, fügt sich seltsamerweise auf abstrakter Ebene wundersam gewitzt zu großer, sehr beweglicher Form: Der Tagedieb, dem letztlich alles Gegenwart ist und der sich scheut, über Dinge, die etwas zurückliegen, auch nur nachzudenken („Schulden“), und der Psychologe am Rande der Demenz, der professionell weiß, dass alles aufgearbeitet werden muss, wenn er sich nur recht zu erinnern wüsste („Schuld“). Als Zuschauer ist man gut beraten, so früh wie möglich die Zügel schießen zu lassen und zu genießen, was an einem vorübertreibt: grandiose Einfälle, dumme Sprüche, matte Kalauer („Das ist der Ferrari unter den Platon-Übersetzungen!“), funktionierendes und nicht-funktionierendes Timing, große Gesten, schwergewichtige Gangster, „Deadpan“-Gesichtsausdrücke, Echos von Action, die zu zeigen sich der Film spart, und nicht zuletzt Darsteller, bei denen man immer den Eindruck hat, sie seien von den Zumutungen dieses Film selbst überrascht worden. Und zwar, als die Kamera bereits lief.
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