Der Schmetterlingsjäger

Experimentalfilm | Deutschland/Schweiz 2012 | 135 Minuten

Regie: Harald Bergmann

Der russisch-amerikanische Schriftsteller Vladimir Nabokov (1899-1977) und seine Beschäftigung mit der Textur der Zeit bilden den Ausgangspunkt für ein anspruchsvolles filmisches Essay, in dem Episoden aus Nabokovs Leben und seinen Romanen, Dokumentarisches und Fiktives ineinanderfließen. Das Material des Films bildet Nabokovs Sprache selbst; an ihrer Textur bleibt man haften, nicht zuletzt durch die melodiöse, rollende Stimme Dmitri Nabokovs, der Originaltexte seines Vaters aus dem Off liest. Dies kann freilich einige Längen des Films nicht überspielen. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Harald Bergmann Filmprod./Maximage/3SAT/SRF
Regie
Harald Bergmann
Buch
Harald Bergmann
Kamera
Elfi Mikesch
Musik
Karim Sebastian Elias
Schnitt
Harald Bergmann
Darsteller
Heinz Wismann (Philosoph) · Klaus Wyborny (Regisseur) · Rainer Sellien (Editor) · Ronald Steckel (Van Veen) · Katerina Medvedeva (Ada Vinelander)
Länge
135 Minuten
Kinostart
17.07.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Experimentalfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
nfp
DVD kaufen

Diskussion
„Die Wiege schaukelt über einem Abgrund, und der platte Menschenverstand sagt uns, daß unser Leben nur ein kurzer Lichtspalt zwischen zwei Ewigkeiten des Dunkels ist“, schreibt Vladimir Nabokov in seinen autobiografischen Aufzeichnungen „Erinnerung, sprich“. Mit dem Wesen der Zeit hat sich Nabokov denkend und schreibend immer wieder befasst, wobei ihn die Zeit weniger als Kontinuum oder als Vergehen interessierte, sondern als pure Gegenwart jenseits von Anfang und Ende, als „Textur“. Harald Bergmann, der mit unkonventionellen Filmen über Texte von Hölderlin und Brinkmann auf sich aufmerksam gemacht hat, versucht in „Der Schmetterlingsjäger“. sich Nabokovs Zeitbegriff filmisch zu nähern. Der essayistische Film, in enger Zusammenarbeit mit dem inzwischen verstorbenen Sohn Dmitri Nabokov entstanden und programmatisch mit „37 Karteikarten zu Nabokov“ – ein Verweis auf die Produktionsmethode des Autors – untertitelt, schmiegt sich ganz seinem Gegenstand an, indem er die Form des Puzzles, des losen Arrangements, der diskontinuierlichen Erzählung wählt. Das unvermeidliche Scheitern dieses Unterfangens – schließlich ist Film immer auch ein Dokument des Verstreichens von Zeit – hat Bergmann in Form einer zwar ironisch gebrochenen, aber dennoch etwas gestelzt wirkenden „Making of“-Ebene mit eingebaut. Immer wieder sieht man einen Regisseur (den Experimentalfilmer Klaus Wyborny) und den Philosophiehistoriker Heinz Wismann am Schneidetisch, wie sie Material sichten, über Nabokovs Zeitbe-griff sprechen und über die Unmöglichkeit reflektieren, dem Gegenstand kinematographisch gerecht zu werden. „Das blöde Fleisch, der Mittelteil“ sei die Schwierigkeit beim Filmemachen, nicht Anfang und Ende, meint Wyborny an einer Stelle. Paradoxerweise ordnen und sortieren Regisseur und Historiker unaufhörlich im gepflegten Gespräch, was an anderer Stelle als Puzzle und Unordnung vorgestellt wird. Bergmann synthetisiert verschiedene Zeit- und Wirklichkeitsebenen: Fragmente aus dem Leben des Schriftstellers vermischen sich mit Fragmenten aus dem Leben der Romanfiguren, vor allem aus „Ada oder Das Verlangen“ und dem Kapitel „Die Textur der Zeit“. Alles existiert gleichberechtigt nebeneinander: der junge Nabokov mit einem Schmetterlingsnetz, auf dem Dachboden, mit seiner ersten Liebe, Van Veen, die Hauptfigur aus „Ada“, bei Autofahrten durch die einsamen Schweizer Alpen, Nabokov im Interview mit einem Journalisten, ein Home Movie, ein Exkurs zur Kunst des Kinderwagenschiebens, alte Fotos, fiktive Szenen in der Manier eines Doku-Dramas, dann wieder frei Assoziatives – die Grenzen zwischen den Stilen und Genres sind fließend. Das Material des Films bildet Nabokovs Sprache selbst; an ihrer Textur bleibt man haften, nicht zuletzt durch die melodiöse, rollende Stimme Dmitri Nabokovs, der die Originaltexte seines Vaters aus dem Off liest und zwischen Russisch, Englisch, Französisch und Deutsch hin- und herwechselt. Seltsam unkörperlich ist jedoch die visuelle Ebene des Films, auch wenn die Kamera Sinnlichkeit geradezu ausstellt. Doch die Bilder rauschen vorbei, sie lassen sich nicht greifen – vielleicht soll das aber gerade in seiner Flüchtigkeit „nabokovesk“ erscheinen. Einmal schlägt der Regisseur dem Philosophen vor, die Rolle des Schriftstellers als Schmetterlingsjäger zu übernehmen, was dieser dann auch prompt tut. Es gibt auch ein schönes Interview mit einem Schmetterlingsforscher, über dessen Daseinsberechtigung im Film anschließend diskutiert wird. Mitunter aber macht es sich Bergmann mit diesen selbst- und mediumsreflexiven Kniffen doch zu einfach, wenn Redundanzen und zähes Auf-der-Stelle-treten beispielsweise dadurch legitimiert werden, dass die beiden Herren einvernehmlich einräumen, der Film hänge gerade ganz schön durch. Solche Tautologien sind eigentlich nie ein gutes Argument.
Kommentar verfassen

Kommentieren