Drama | Frankreich/Mauretanien 2014 | 96 Minuten

Regie: Abderrahmane Sissako

Eine Gruppe islamistischer Rebellen besetzt die Oasenstadt Timbuktu in Mali und verhängt ein strenges fundamentalistisches Regelwerk. Anfangs nehmen die Einwohner die Dschihadisten nicht ernst, sondern führen ihr Leben wie gewohnt weiter, doch schon bald sehen sie sich mit der Scharia konfrontiert. Der lakonische Film fängt meisterhaft die wachsende Erschöpfung eines vormals toleranten und weltoffenen Gemeinwesens ein. Ausdrucksstarke Figuren tragen das bildmächtige tragische Geschehen, das die Frage nach der Rolle von Freiheit und Humanität stellt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TIMBUKTU
Produktionsland
Frankreich/Mauretanien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Les Films du Worso/Dune Vision/ARTE France Cinéma/Orange Studio
Regie
Abderrahmane Sissako
Buch
Abderrahmane Sissako · Kessen Tall
Kamera
Sofiane El Fani
Musik
Amine Bouhafa
Schnitt
Nadia Ben Rachid
Darsteller
Pino (Kidane) · Toulou Kiki (Satima) · Abel Jafri (Abdelkrim) · Fatoumata Diawara (Fatou) · Hichem Yacoubi (Djihadist)
Länge
96 Minuten
Kinostart
11.12.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Das Verhängnis bricht über die Einwohner der Oasenstadt Timbuktu in Gestalt islamistischer Dschihadisten ein. Ein Motorrad wühlt sich durch eine sandige Gasse. Vom Rücksitz hievt sich ein Mann. Er läuft, mit einem Megaphon bewaffnet, in eine andere Gasse hinein und verkündet die von nun an geltenden Benimm-Regeln: Keiner darf mehr rauchen oder musizieren; die Frauen haben in der Öffentlichkeit Strümpfe und Handschuhe anzulegen. Solche Sitten leuchten den Einwohnern aber nicht ein. Sie kümmern sich erst einmal nicht um die Verbote, sondern gehen ihren Gewohnheiten nach, bis sie immer mehr die drakonische Rechtssprechung der Scharia erleben müssen. Die Bewohner des Umlandes dagegen glauben, sich außerhalb der Schussweite der „Heiligen Krieger“ zu befinden. Doch eine Nomadenfamilie bekommt ebenfalls mit ihnen zu tun, als der Vater einen Konflikt mit der Pistole regelt. Obschon sich der mauretanische Regisseur Abderrahmane Sissako auf die Vorkommnisse in Mali bezieht, wo 2012 Islamisten den Norden des Landes besetzten und in Städten wie Timbuktu die Scharia einführten, ist sein tiefschürfender Film auch in Hinblick auf das aktuelle Geschehen in Syrien höchst aktuell und instruktiv. Denn Sissako nimmt das Vordringen dschihadistischer Kräfte zum Anlass, um virtuos von der Auflösung einer alten Kultur und von schuldhafter persönlicher Verstrickung zu erzählen. Deshalb entfaltet er die Tragödie parallel in zwei Handlungssträngen und lotet dabei den Handlungsspielraum eines Gemeinwesens in einem totalitären System aus, besieht sich aber auch die Entscheidungsfreiheit des Individuums etwas genauer. Die bildmächtige Kamera von Sofiane El Fani inszeniert das Geschehen zwischen Stadt, malerischen Wüstenformationen und einem idyllisch dargestellten Flusstal. Meisterhaft nutzt sie die traditionellen Lehmbauten und das Gassengeflecht, den Kontrast der farbenprächtigen Gewänder und schwarzen Umhänge, um die plötzliche einbrechende weltanschauliche Enge und Auflehnung dagegen sichtbar zu machen. Mit seiner fiktiven Filmstadt Timbuktu zeichnet Sissako das Bild einer lebendigen, bunten Oasenstadt, die naturgemäß vom Handel und Austausch lebt. Bislang hat sie unterschiedlichsten Traditionen Raum geboten, hat religiöse Toleranz und die Künste, allen voran die Musik, walten lassen. So existieren neben einer aufgeschlossenen, pazifistischen Richtung des Islams auch Reste von Naturreligionen wie etwa Voodoo oder Totemismus. Männer und Frauen treffen sich im privaten Raum, um zusammen zu musizieren und zu singen. Indem sich die Dschihadisten mit ruhiger Sachlichkeit an die Zerstörung dieses funktionierenden Gemeinwesens machen, es totalitär auf die einzige Deutung verpflichten, wird jede Individualität und Pluralität erstickt. Gleichwohl lässt der Regisseur die Täter keinesfalls als monolithischen Block eines lautlos agierenden Bösen auftreten. Vielmehr macht er die Ambivalenz in den Reihen der Kämpfer plastisch sichtbar, wenn sie die Doppelmoral ihrer Führer erkennen und trotzdem weiter gehorchen. Oder wenn sie auf ihre Weltläufigkeit in Sachen Sprachen abheben, sich aber dennoch der Herrschaft des Totalitären unterwerfen. Für den Nomaden Kidane wendet sich das persönliche Schicksal, als es seinem Hütejungen nicht gelingt, eine Kuh von den Netzen des Fischers fernzuhalten, der diese daraufhin absticht. Im Gegensatz zu den Einwohner Timbuktus, die von den neuen Machthabern durch brutale Strafen rigoros in ihrer Entscheidungsfreiheit beschnitten werden, besitzt der Familienvater einen Spielraum, wie er den Konflikt mit dem Fischer lösen will. An dieser Figur zeigt der Regisseur gleichsam, wie umfassend die Humanität von den Dschihadisten ausgelöscht wird. Sie unterbinden jedes Projekt einer moralischen Verbesserung, da sie den Menschen die Freiheit rauben, sich Kraft ihres Verstandes über ihre Affekte zu erheben und sich zwischen Gut und Böse zu entscheiden. Das macht den Menschen schließlich im Sinnbild des Filmes zu einem bis zur Erschöpfung gehetzten Tier.
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