Phoenix (2014)

Drama | Deutschland 2014 | 98 Minuten

Regie: Christian Petzold

Eine Frau kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg mit schweren Gesichtsverletzungen aus dem KZ nach Berlin zurück und sucht nach einer kosmetischen Operation ihren Ehemann. Der erkennt sie aber nicht und überredet die vermeintliche Fremde, in die Rolle seiner Frau zu schlüpfen, um an deren Erbe zu gelangen. Dichte Literaturverfilmung, die sich dem Umgang mit dem Holocaust im Nachkriegsdeutschland mit den Mitteln der (Kino-)Mythen nähert. Eine beklemmende Raumpoetik, eine Bildsprache im Sinne des Film noir sowie großartige Darsteller machen den Film zu intensivem Gefühls- und Spannungskino über Schuld und Verdrängung. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Schramm Film Koerner & Weber/BR/WDR/ARTE
Regie
Christian Petzold
Buch
Christian Petzold · Harun Farocki
Kamera
Hans Fromm
Musik
Stefan Will
Schnitt
Bettina Böhler
Darsteller
Nina Hoss (Nelly Lenz) · Ronald Zehrfeld (Johannes) · Nina Kunzendorf (Lene Winter) · Michael Maertens (Arzt) · Imogen Kogge (Elisabeth)
Länge
98 Minuten
Kinostart
25.09.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein 10-seitiges Booklet zum Film. BD und DVD enthalten eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
Piffl (16:9, 2.35:1 DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Piffl (16:9, 2.35:1 dts-HDMA dt.)
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Diskussion
Musik spielt in allen Filmen von Christian Petzold eine große Rolle. In „Phoenix“ wird „Speak Low“, ein Jazz-Song, den Kurt Weill zu den Versen von Ogden Nash schrieb, zum Schlüsselmotiv. „Speak low“, heißt es darin, „when you speak of love“, und: „Love is a spark lost in the dark too soon, too soon.“ Das Lied stammt aus dem Broadway-Musical „One Touch of Venus“; Venus adressiert es darin an einen sterblichen Mann, der die Göttin à la Pygmalion von einer Marmorstatue zu einem Wesen aus Fleisch und Blut erweckt hat. Das Musical wurde 1943 in New York uraufgeführt, also während des Zweiten Weltkriegs. Die Jüdin Nelly, eine der beiden Hauptfiguren in „Phoenix“, entging bis ins Jahr 1943 der Verfolgung durch die Nazis, weil ihr Mann Johnny ein Versteck für sie gefunden hatte. Doch dann flog das Versteck auf, Nelly wurde ins KZ deportiert. Nach Kriegsende bringt sie ihre Freundin Lene, die bei der Jewish Agency arbeitet, nach Berlin zurück. Damit beginnt der Film. Nellys Kopf ist in der ersten Szene komplett von einer Bandage umhüllt, sodass man ihr Gesicht nicht sehen kann. Im KZ wurde es so zugerichtet, dass ein ästhetischer Chirurg ans Werk muss. Er fragt Nelly, wie sie gerne aussehen würde; während der NS-Zeit seien Zarah Leander und Kristina Söderbaum sehr gefragt gewesen. Nelly besorgt ein Foto von sich selbst: Sie will wieder die werden, die sie vor dem KZ war. Noch mehr als den Chirurgen braucht sie dafür allerdings ihren Mann Johnny. Ihn will sie wiedersehen, von ihm will sie wieder geliebt werden, um an ihr altes Leben anschließen zu können. Doch als sie Johnny nach Operation und Genesung im zerbombten Berlin schließlich in der schummrigen „Phoenix“-Bar aufspürt, erkennt er sie nicht. Oder will sie nicht erkennen. Er hält Nelly für tot und sieht in der Heimgekehrten eine Fremde, die der Verschwundenen ähnlich sieht. Diese Fremde macht er zur Verbündeten eines schäbigen Plans: Sie soll sich dazu trimmen lassen, wie Nelly auszusehen und sich wie sie zu geben, um den Behörden eine Rückkehr der Toten vorzugaukeln und das Erbe von Nellys Familie einzustreichen. Nelly nimmt diese Rolle an. Die Frage, wie realistisch oder psychologisch stimmig es ist, dass ein Mann seine Frau so verkennen kann und sie das auch noch hinnimmt, spielt hier keine Rolle. Denn „Phoenix“ ist kein realistischer Film, sondern einer, der sich dem Holocaust mit den Mitteln der (Kino-)Mythen nähert. Nelly, die sich „Speak Low“ anhört und schließlich selbst singt, sucht in Johnny ihren Pygmalion, der die tote Materie, die das KZ aus ihr gemacht hat, wieder in ein lebendiges Wesen verwandeln soll; bei Johnnys Versuch, sie nach seinen Erinnerungen an die Vorkriegs-Nelly zu modeln, schwingt Hitchcocks „Vertigo“ (fd 7 835) mit. Und wie sich Nina Hoss in der Rolle der verstörten Nelly in der ersten Filmhälfte bewegt, so als wäre ihr ganzer Körper zerschlagen und falsch und steif wieder zusammengesetzt worden, erinnert an Boris Karloffs Monster in „Frankenstein“ (fd 5 747). Wie diese Kreatur ist Nelly im Nachkriegsdeutschland ein ins Dasein geworfenes, unpassendes, ungeheures Geschöpf; ein weiteres der petzoldschen „Gespenster“: Ohne große Worte erzählen Hoss und Petzold allein durch die Körpersprache der Schauspielerin eindringlich von der Befindlichkeit der KZ-Überlebenden. Zwischen Melodram à la Douglas Sirks „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“ (fd 7 314) und Film noir à la „Die schwarze Natter“ (fd 876) entfaltet sich „Phoenix“ als hochemotionales Kammerspiel zwischen zwei Personen, die eine untote Liebe verbindet und eine unausgesprochene Schuld trennt: Hat Johnny Nelly verraten, und wenn ja, nach welchem Druck von Seiten der Gestapo? Ein Großteil des Films spielt in einer Kellerwohnung und lässt die Zuschauer in der Enge dieses Raums hautnah das paradoxe Mit- und Gegeneinander der beiden mit durchleiden. Beide wollen Nelly wieder auferstehen lassen, doch braucht die Frau dafür die Wieder- und Anerkennung Johnnys als „seine“ Nelly; der jedoch will genau diese Nelly, zu der die KZ-Erfahrung gehört, totschweigen und durch das Abbild seiner Erinnerung ersetzen. Es liegt auf der Hand, dass das nicht gutgehen kann. Petzold inszeniert auf der Basis der Romanvorlage „Le retour des cendres“ von Hubert Monteilhet aus dieser psychischen Zerreißprobe mit den Mitteln des Gefühls- und Spannungskinos eine grandiose, erschütternde Parabel auf „Deutschland im Jahre Null“, auf den Versuch, den Holocaust durch Verschweigen und Vergessen gewissermaßen zu löschen. Als Nelly zu bedenken gibt, dass es doch völlig unglaubwürdig sei, wenn sie in der Rolle einer Auschwitz-Überlebenden so aussehe wie die Vorkriegs-Nelly, inklusive Pumps und rotem Kleid, wischt Johnny diese Bedenken harsch zur Seite. Sie müsse so aussehen, dass man sie wiedererkennt, sonst würde man sie gar nicht erst ansehen. Und die KZ-Erfahrung? Niemand werde danach fragen.

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