Drama | Brasilien/Frankreich 2019 | 123 Minuten

Regie: Kleber Mendonça Filho

In einer nahen Zukunft sieht sich ein selbstorganisiertes Dorf im brasilianischen Hinterland mit einer äußeren Bedrohung konfrontiert. Schießwütige US-amerikanische Touristen wollen die Bewohner im Rahmen einer perversen Safari auslöschen. Eine mit Genremotiven versehene Allegorie auf ungleiche Machtverhältnisse und den unermüdlichen Widerstand vermeintlich Schwacher. In seinen satirischen Momenten ist der Film bisweilen zwar etwas holprig inszeniert und politisch zu vage. Dennoch gelingt das spannende Porträt einer Gemeinschaft, die mit allen Mitteln ihre Utopie verteidigt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BACURAU
Produktionsland
Brasilien/Frankreich
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
SBS Films/CinemaScópio Produções/Arte France Cinéma/Símio Filmes
Regie
Kleber Mendonça Filho · Juliano Dornelles
Buch
Kleber Mendonça Filho · Juliano Dornelles
Kamera
Pedro Sotero
Musik
Mateus Alves · Tomaz Alves Souza
Schnitt
Eduardo Serrano
Darsteller
Barbara Colen (Teresa) · Sonia Braga (Domingas) · Udo Kier (Michael) · Thomas Aquino (Pacote / Acácio) · Silvero Pereira (Lunga)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Western
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Die Geschichte eines brasilianischen Dorfes als Utopie einer besseren Gesellschaft auf dystopischem Terrain.

Diskussion

Eigentlich lebt Teresa (Bárbara Colen) in der Stadt, doch weil ihre Großmutter gestorben ist, kehrt sie in ihren Heimatort zurück. Bacurau besteht nur aus wenigen Steinhäusern, wirkt aber wie eine Miniaturstadt, in der es an nichts fehlt. Hier gibt es eine Schule und eine Kirche, einen Marktplatz und ein Museum, das sich der Dorfgeschichte widmet. Im ersten gemeinsamen Film von Juliano Dornelles und Kleber Mendonça Filho ist Teresa zwar diejenige, die an diesen Ort führt, aber keineswegs das Zentrum der Geschichte. Mit seinen zahlreichen Figuren und zerstreuten Alltagsbeobachtungen erweist sich „Bacurau“ vielmehr als Porträt einer ganzen Gemeinschaft.

Auffällig an dem fiktiven Dorf im brasilianischen Hinterland ist, wie frei sich das Leben hier von jenem normierenden Zwang entfaltet, den man der Provinz gerne zuschreibt. Huren gehören hier ebenso selbstverständlich dazu wie ein ehemaliger Auftragskiller, ein unermüdlich improvisierender Gitarrenspieler oder eine cholerische Schnapsdrossel. Dabei funktioniert diese solidarische Gemeinde wie eine selbstorganisierte Hippie-Kommune. Doch „Bacurau“ entwirft seine Idee einer besseren Gesellschaft auf dystopischem Terrain.

Schießwütige US-Touristen fallen ein

Denn bald zeichnet sich ab, dass der tiefe Gemeinschaftssinn auch als Schutzmechanismus gegen äußere Bedrohungen dient. Ein gelackter Politiker aus der Region hat den aufsässigen Dorfbewohnern das Wasser abgedreht – was diese jedoch nicht davon abhält, es sich mit einem Tanker selbst zu holen. Als aber auch noch das Mobilfunknetz zusammenbricht, das Dorf mysteriöserweise von Google Maps verschwindet und schließlich die ersten Leichen auftauchen, kündigt sich eine deutlich gravierendere Gefahr an: ein Haufen schießwütiger US-Touristen, die sich unter deutscher Führung (Udo Kier) auf eine perverse Safari begeben. Mit der Landbevölkerung als Freiwild.

„Bacurau“ greift damit auf eine Allegorie zurück, die im Horrorkino („Hostel“) ebenso beliebt ist wie in Science-Fiction-Filmen („Die Tribute von Panem“): Reale Machtverhältnisse spiegeln sich in einem makabren Freizeitspaß, den sich reiche Sadisten auf Kosten weniger privilegierter Menschen machen. Allerdings liegt der Schwerpunkt in „Bacurau“ weniger auf der Unterdrückung und Vernichtung als beim Widerstand. Der Film läuft auf ein blutiges Westernduell hinaus, bei dem auch der bedingungslose Zusammenhalt zur Waffe wird.

Genremotive & Gesellschaftskritik

In seinem Film „Aquarius“ erzählte Co-Regisseur Mendonça Filho eine ähnliche David-gegen-Goliath-Geschichte. Dort ist es eine ältere Mieterin, die sich gegen eine skrupellose Immobilienfirma auflehnt. „Bacurau“ entfernt sich mit seinen Genremotiven dagegen weiter von einer konkreten Realität und ist weitaus vager und vieldeutiger angelegt. Dass man den Film – je nach Interpretationswille – genauso als Kolonialismuskritik, Angriff auf das totalitäre Regime des rechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro oder allgemein als Aufstand der Schwachen verstehen kann, nimmt ihm auch ein wenig an Dringlichkeit.

Auch das Spiel mit Genremotiven ist nicht immer geglückt. Besonders die Szenen mit den bis zur Karikatur überzeichneten Ausländern wirken teilweise etwas schwerfällig inszeniert – unentschlossen, ob man nun das Genre ernst nehmen und Spannung entwickeln oder sich doch lieber auf die satirischen Momente konzentrieren soll.

Wird der Kampf je enden?

Als Geschichte einer Gemeinschaft, die ihre Utopie mit allen Mitteln verteidigt, entwickelt „Bacurau“ aber trotzdem reichlich Spannung. Das gelingt, weil die Inszenierung sich viel Zeit und Liebe für die Szenen mit den Dorfbewohnern nimmt, aber auch, weil der Film zwar als in sich geschlossene Erzählung funktioniert, dabei aber ständig darauf hinweist, wie sich die Vergangenheit wiederholt. Die Waffen nehmen die Bewohner einfach aus dem Museum, wo ein Zeitungsartikel über einen lange zurückliegenden Aufstand informiert. Als Udo Kier am Schluss der Gemeinde entgegenruft, dass das alles nur der Anfang gewesen sei, sieht man noch einmal Teresas Gesicht. Es wirkt ein bisschen ängstlich, weil sie weiß, dass er recht hat, aber doch auch entschlossen, den Kampf jederzeit wieder aufzunehmen.

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