Drama | Frankreich 2017 | 104 Minuten

Regie: Cédric Kahn

Ein drogensüchtiger Mann Anfang 20 wird in eine katholische Gemeinschaft in den Bergen geschickt, wo er mit Arbeit und Gebet von seiner Abhängigkeit geheilt werden soll. Zuerst rebelliert er, zieht aber allmählich positive Effekte aus dem spartanischen Dasein und den christlichen Riten. Sorgfältig und unaufgeregt inszeniertes Drama, das von einem Neuanfang erzählt und das abgeschiedene Gemeinschaftsleben mit Neugier und Offenheit, aber auch mit Ambivalenzen zeichnet. Erzählung und Bildsprache beschreiten mit hoher formaler Geschlossenheit den Grat zwischen Glauben und Zweifel. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA PRIÈRE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Les Films du Worso/Arte France Cinéma/Versus Prod./Tropdebonheur Prod.
Regie
Cédric Kahn
Buch
Samuel Doux · Fanny Burdino · Cédric Kahn
Kamera
Yves Cape
Schnitt
Laure Gardette
Darsteller
Anthony Bajon (Thomas) · Louise Grinberg (Sybille) · Damien Chapelle (Pierre) · Alex Brendemühl (Marco) · Hanna Schygulla (Schwester Myriam)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Sorgfältig inszeniertes Drama um einen jungen Drogenabhängigen, der in einer katholischen Einrichtung in den Bergen seine Sucht bekämpfen will.

Diskussion

Thomas ist davongekommen, gerade noch einmal. Von dem, was der junge Franzose mit Anfang 20 schon alles durchgemacht hat, erfährt man in dem Drama „Auferstehen“ von Cédric Kahn zwar wenig Konkretes, doch seine harte Vorgeschichte steht ihm in sein zerschrammtes, apathisch wirkendes Gesicht geschrieben. Als Drogensüchtiger hat Thomas dem Tod ins Auge geblickt, und noch kann keine Entwarnung gegeben werden. Bei seiner Ankunft in der abgeschiedenen kirchlichen Einrichtung in den Bergen erfährt er die strengen Regeln für seinen Aufenthalt: Disziplin, feste Tagesabläufe mit Arbeit und Gebeten und eine Einbindung in eine Gemeinschaft von anderen jungen Männern mit ähnlichem Schicksal. Doch auch wenn die Wohn- und Schlafgebäude so hoch liegen, dass die Bewohner kaum Kontakte zu anderen Menschen haben und somit isoliert und ablenkungslos leben können, sind sie doch niemals allein. Vor allem Neuankömmlinge nicht, denen ein ständiger Begleiter zugeteilt wird, der im Ernstfall einschreiten kann, etwa bei Schwächeanfällen, Übelkeit und Krämpfen, wie sie Thomas in den ersten Tagen erlebt.

Die Patres setzen auf Selbstheilungskräfte

Die Ankunft an diesem Ort erinnert an die in einem Gefängnis, wenn Thomas’ gesamte (klägliche) Habe und seine Kleidung eingezogen werden. Doch Wärter im eigentlichen Sinn gibt es nicht, ebenso wenig wie Ärzte sich blicken lassen. Selbst die Patres halten sich als Betreuer zurück und setzen vor allem auf die Selbstheilungskräfte der jungen Drogenabhängigen. Für Thomas bedeutet das nicht nur ein Ringen mit den Entzugserscheinungen, sondern auch mit seiner psychischen Unsicherheit: Es sind vor allem Ungeduld und Ratlosigkeit, die seine erste Zeit in der mönchischen Gemeinschaft prägen. Ungeduld, wenn ihm selbst einfache Arbeiten nicht gelingen, bis ihm gezeigt wird, dass Wut dabei nicht zielführend ist; Ratlosigkeit, weil ihm die religiöse Ebene der Einrichtung und die selbstvergessene Beteiligung mancher Kameraden an Gebet und Gesang reichlich suspekt erscheinen. Am schwersten aber fällt ihm die offene Aussprache vor der gesamten Gruppe, zu der es zu festgelegten Stunden kommen soll. Seine Gefühle vor allen anderen auszubreiten, ist für Thomas die größte aller Zumutungen und löst seinen gewaltsamen Widerstand aus. Doch eine Flucht aus der Einsamkeit gelingt ihm nicht, denn dafür ist auch die Außenwelt für ihn viel zu unfassbar und der Mangel einer Zielvorstellung zu ausgeprägt.

Nachdem Thomas nach einer nächtlichen Irrwanderung durchs Gebirge auf einem Hof Zuflucht gefunden und sich mit der Tochter des Bergbauern angefreundet hat, kehrt er zu den Patres zurück; erst mit dem Ende des Films wird er das Haus und die Umgebung wieder verlassen.

Raum für religiöse Momente

Der französische Filmemacher Cédric Kahn zeigt sich an einer fast dokumentarischen, jedenfalls sehr eingehenden Abbildung des Alltags der Gemeinschaft interessiert. Viele Szenen sind mit starrer Kamera und beobachtendem, lang ausgehaltenem Blick gefilmt, wobei vor allem die religiös bestimmten Momente großen Raum einnehmen: Morgendliche Andachten, Gebete im Kreis nach der Arbeit oder in der Kapelle, bei denen nicht eifrige Teilnahme, wohl aber Respekt vor dem meditativen Akt erwartet wird. Dazu kommt viel Gesang der Hausbewohner – von munteren Gospel-Gesängen im Schlafsaal bis zum züchtigen Chorlied beim gemeinsamen Sommerfest mit den (sonst sorgsam abgeschirmten) jungen Frauen in der Einrichtung.

Während Thomas sich den Anforderungen mehr und mehr anpasst und sich an Gebeten, Gesang und Arbeit mit wachsender Überzeugung beteiligt, ja sogar mit dem Gefühl eines aufrichtigen Glaubens konfrontiert wird, ist die Haltung des Films mehrdeutiger. An den gesundheitlich-therapeutischen Erfolgen der kirchlichen Institution, für die es reale Vorbilder gibt, rüttelt Cédric Kahn nicht, doch finden sich auch Szenen, die Zweifel an Dauer und Konsistenz der Heilung wecken. Am meisten mit sich im Reinen scheinen diejenigen zu sein, die das Zufluchtslager in den Bergen nie verlassen oder aber wieder dorthin zurückgeflüchtet sind. Die Rückkehr in die Außenwelt bleibt der Bewährungstest, den nicht alle bestehen; die gefundene Gemeinschaft, der spartanische Lebensstil und der gelebte katholische Glauben ist ein Zustand, der durchaus auch als Ersatzsucht für die überwundene Drogenabhängigkeit interpretiert werden kann. Als ungebrochenen Werbefilm für die Heilkraft von Bergaufenthalten in mönchischen „Ora et Labora“-Orden kann man „Auferstehen“ deshalb definitiv nicht missverstehen.

Fragen von Glauben, Religion und Kirche

Kahn, der seine Filmkarriere einst als Praktikant im Montage-Team von Maurice Pialats Bernanos-Verfilmung „Unter der Sonne Satans“ (1987) begann, in seiner thematisch vielfältigen Karriere als Regisseur aber erst jetzt mit „Auferstehen“ dezidiert Fragen von Glauben, Religion und Kirche aufgreift, wählt einen ähnlichen Ansatz wie Pialat: aus respektvollem Abstand, zurückhaltend und aufmerksam in der Erzählweise, unaufgeregt und meist sehr dicht an den Figuren, authentisch durch das natürliche Licht und die Arbeit mit Laien in einigen Rollen.

Selbst für die Sphäre des Glaubens findet Kahn doppelt codierte Bilder, die der agnostischen Haltung entsprechen, zu der sich der Filmemacher selbst bekennt. So wie jeder Schritt auf Thomas’ Weg zu mehr Selbstsicherheit und mehr Verbundenheit mit den christlichen Riten als Zeugnis einer religiösen Erweckung, aber auch als Abfolge von (Selbst-)Täuschungen verstanden werden kann, lässt seine wohlwollende Umwelt immer wieder Zweifel an der Absolutheit seiner Absichten erkennen. Auch eine musikalische Setzung betont diese Mehrdeutigkeit, indem an entscheidenden Stellen die Barock-Arie „Bist du bei mir, geh ich mit Freuden“ von Gottfried Heinrich Stölzel zu hören ist, wobei offen bleibt, wessen Beistand hier beschworen wird: Ist es der von Gott? Der des Glaubens? Oder aber der weltliche Reiz, der nach seinem gescheiterten Ausbruch für Thomas mit der Bauerntochter Sybille verbunden bleibt?

Spuren der Zuversicht

Der noch jungenhafte, etwas bullige Darsteller Anthony Bajon setzt dabei vielschichtige Ausdrucksmittel für die widerstreitenden Emotionen und die Anfälle von Verlorenheit ein. In Thomas’ Wechsel zwischen Trotz und Begeisterungsfähigkeit gelangt „Auferstehen“ über die spezifischen Attribute von Ort und Milieu hinaus und mündet in eine letztlich universale Erzählung von einem Neuanfang. So wie die Bibel sich über das weitere Leben des auferstandenen Lazarus, auf den im Film eine Theateraufführung und sein deutscher Titel verweisen, ausschweigt, so offen lässt Cédric Kahn, was Thomas in seinem „zweiten Leben“ erwartet. Anders als zu Beginn zeigt sein Gesicht am Ende jedoch eine neue Schattierung. Es sieht nach Zuversicht aus.

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