Ruhe! Hier stirbt Lothar

Tragikomödie | Deutschland 2020 | 89 Minuten

Regie: Hermine Huntgeburth

Der unfreundliche Besitzer eines Fliesengeschäftes erhält die Diagnose, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet, und trennt sich deshalb von all seinem Besitz. Als sich herausstellt, dass den Ärzten ein Irrtum unterlaufen ist, steht er völlig mittellos da und muss noch einmal von vorne beginnen. Eine lakonisch-skurrile Tragikomödie mit einem überragenden Hauptdarsteller, der die Facetten des Sonderlings mit Hingabe auskostet. Nachdem zunächst unsentimental und lakonisch der nahe Tod thematisiert wird, schwenkt der Film zur unverhofften Konfrontation eines Menschenfeindes, der sich der Schönheit des Lebens stellen muss. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Hager Moss Film
Regie
Hermine Huntgeburth
Buch
Ruth Toma
Kamera
Sebastian Edschmid
Musik
Julian Maas · Christoph M. Kaiser
Schnitt
Eva Schnare
Darsteller
Jens Harzer (Lothar) · Elisa Plüss (Mira) · Corinna Harfouch (Rosa) · Vedat Erincin (Manfred Mehnert) · Milena Dreißig (Elisabeth Fuhrmann)
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Lakonisch-skurrile Tragikomödie um einen Menschenfeind, der sich von seinem Besitz trennt, als bei ihm eine tödliche Krankheit diagnostiziert wird, nur um zu erfahren, dass die Ärzte sich geirrt haben.

Diskussion

So liebevoll und kenntnisreich, wie Lothar Kellermann über marokkanische Fliesen spricht, über die lebenden Muster, die den Blick nicht festhalten, über die Ruhe, die sie auf den Betrachter ausüben und die weichen Übergänge der Farben, überhaupt ihre Schönheit, ahnt man sogleich: Lothar (Jens Harzer), 49 Jahre alt, ist ein Schwärmer, der sich für Dinge mehr begeistert als für Menschen. Die Mitarbeiter seines Fliesengeschäftes, die Sekretärin Elisabeth und Fliesenleger Manfred, bekommen das zu spüren. Selten, dass er ein Wort an sie richtet.

Doch plötzlich erfährt Lothar, dass er an Lymphdrüsenkrebs erkrankt ist und bald sterben wird. Der verschrobene Einzelgänger ist eher verärgert denn entsetzt – diese vielen Umstände! –, macht dann aber eine Liste und arbeitet sie Punkt für Punkt ab: Haus verkaufen, Firma verkaufen, Hospiz finden, seinen geliebten Hund Bosco ins Tierheim geben, das gesamte Ersparte spenden, immerhin 870.000 Euro, der Einfachheit halber ebenfalls ans Tierheim.

Im Hospiz lernt er Rosa (Corinna Harfouch) kennen, die ihn mit ihrer humorvoll-abgeklärten Art zu interessieren beginnt. „Wollen wir Du sagen, Lothar? Ist ja nicht für lange.“ Vielleicht ist es gerade diese zeitliche Begrenztheit, die ihn veranlasst, sich auf Rosa zuzubewegen. Doch die Krebsdiagnose war ein Irrtum, Lothar wird nicht sterben. Unvermeidliche Folge davon ist, dass er das Hospiz verlassen muss. Plötzlich steht er ohne Wohnung, Arbeit und Geld da; sogar der Hund wurde zwischenzeitlich an jemanden anderen vermittelt. Lothar muss wohl oder übel ins Leben zurückfinden und auf andere Menschen zugehen. Darum schlüpft er zunächst bei seiner erwachsenen Tochter Mira (Elisa Plüss) unter, die er seit der Scheidung von seiner Frau nicht mehr sehen wollte.

Vergeblich auf den Tod gewartet

Den Mann, der in einem Hospiz ohne Hab und Gut vergeblich auf den Tod wartete, hat es wirklich gegeben. Produzentin Kirsten Hager fand die Geschichte in einer Wochenzeitung. Drehbuchautorin Ruth Toma und Regisseurin Hermine Huntgeburth machen daraus eine absurd-skurrile Tragikomödie, die ebenso unsentimental wie lakonisch den nahen Tod und die Bilanz eines ungelebten Lebens thematisiert. „Für ein paar Wochen können wir noch Vater und Tochter sein“, sagt Lothar zu Mira, und fast klingt da so etwas wie Erleichterung an, dass diese schwierige Beziehung nicht noch länger dauern muss.

Die Fehldiagnose – Lothar hat statt Krebs nur eine gutartige Hautkrankheit – ist dann auch eine „Riesenkatastrophe“. („Beschwer dich noch, dass du noch lebst“, sagt Rosa zu ihm.) Lothar versteht die eigentlich gute Nachricht nicht als Chance, sondern als Last. Dass das Leben auch Freude macht, vielleicht sogar schön ist, muss dieser Misanthrop erst noch lernen.

Drehbuch und Regie machen nicht den Fehler, der Titelfigur eine abrupte Charakterwandlung zuzugestehen. Lothar ist jemand, der aus seiner Haut nicht herauskann. Er wird der Mistkerl bleiben, der er immer war, doch er ist ein wenig aufmerksamer geworden gegenüber seinen Mitmenschen, ein wenig neugieriger auf das Leben. Wenn Lothar in einer Karaoke-Bar „One More Night“ singt, hat das etwas Verzagtes. Aber es ist ein erster Schritt.

Das Leben bleibt schwierig

Ein Happy End kann es darum nicht geben. Toma und Huntgeburth hatten schon zu Beginn das eigentlich traurige Geschehen distanziert und pragmatisch, in kurzen, beispielhaften Vignetten geschildert und rasch vorangetrieben. Jetzt entlassen sie den Zuschauer einfach aus dem Film, die Handlung könnte noch weitergehen. Das Leben bleibt schwierig, von jetzt an aber mit Glücksmomenten, die man nur erkennen und ergreifen muss.

Und dann ist da noch Jens Harzer, für viele der beste Bühnenschauspieler Deutschlands, der mit großer brauner Hornbrille und akkurat gezogenem Seitenscheitel die Facetten seines Sonderlings auch äußerlich auslotet. Mit seinem langen Mantel und dem vorgebeugten Gang erinnert er ein wenig an Jacques Tati, der auch so fasziniert war von den Dingen und so staunend auf das Leben der anderen blickte. Aber wahrscheinlich hinkt der Vergleich: Tati war zur Gemeinheit gar nicht fähig.

Kommentar verfassen

Kommentieren