Literaturverfilmung | USA 2020 | 114 Minuten

Regie: Paul Greengrass

Um 1870 tingelt ein US-Veteran der Konföderierten als Nachrichtenbote durch den von ideologischen Gräben des Bürgerkriegs gezeichneten Westen der USA. Als er in Texas auf ein zehnjähriges Mädchen stößt, das von Kiowas großgezogen wurde, will er die Kleine zu ihren Verwandten eskortieren. Während dieser gefahrvollen Reise nähern sich beide über die Sprachbarriere hinweg an. Im Gewand eines klassischen Westerns, jedoch angereichert mit aktuellen Bezügen zur innerlich zerrissenen US-Gegenwart, erzählt der Film eine Parabel über historische Verantwortung und die zentrale Rolle der Kommunikation für das Gelingen von Demokratie. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
NEWS OF THE WORLD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Perfect World Pic./Playtone/Pretty Pic./Universal Pic.
Regie
Paul Greengrass
Buch
Luke Davies · Paul Greengrass
Kamera
Dariusz Wolski
Musik
James Newton Howard
Schnitt
William Goldenberg
Darsteller
Tom Hanks (Captain Kidd) · Helena Zengel (Johanna) · Neil Sandilands (Wilhelm Leonberger) · Michael Angelo Covino (Almay) · Fred Hechinger (John Calley)
Länge
114 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Literaturverfilmung | Western
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Um 1870 will ein auf Versöhnung sinnender Veteran des US-Sezessionskrieges ein verwaistes, von Indianern erzogenes Mädchen zu dessen Verwandten bringen.

Diskussion

Einen waschechten Westerner stellt man sich anders vor: Jefferson Kidd (Tom Hanks) könnte auch ein in die Jahre gekommener Landstreicher sein, mit seinem grauen Vollbart, den zerschlissenen Kleidern und dem zerknautschten Hut. Doch er ist ein Captain und stellt sich überall auch so vor auf seiner ziellosen Reise mit dem Pferdewagen. Mit nur einem Packen Zeitungen im Gepäck tingelt er durch die Südstaaten, liest Abend für Abend den Siedlern und Farmern daraus vor und sorgt zugleich für Unterhaltung und Information. „Neues aus der Welt“ nennt er sein Programm, und so heißt auch der Film von Paul Greengrass, nach dem gleichnamigen Roman von Paulette Jiles. Nach Doku-Dramen wie „Captain Phillips“ und „22. Juli“ und Actionthrillern wie der „Bourne“-Reihe ist dies der erste Western des britischen Regisseurs.

Eine Art Gegenstück zu „Der schwarze Falke“

Der Film spielt um 1870, als die USA sich noch die Wunden des Bürgerkrieges leckten, innerlich tief gespalten und zerrüttet. Der Westen des Landes war tatsächlich noch wild, Auseinandersetzungen mit den Ureinwohnern an der Tagesordnung und die Gleichberechtigung der ehemaligen Sklaven ein eher theoretisches Unterfangen. In dieser Realität versucht der Veteran Kidd einen Platz zu finden. Der Film beginnt deshalb auch nicht zufällig mit einem Lynchmord. Kidd kommt an einem umgestoßenen Wagen vorbei, der schwarze Fahrer hängt aufgeknüpft am nächsten Baum. Hinter dem Wagen kauert ein blondes Mädchen im Ledergewand (Helena Zengel). Sie spricht Kiowa, die Sprache der Eingeborenen, und entpuppt sich als entführtes Mädchen aus einer Gruppe deutscher Einwanderer. Sie selbst nennt sich bei ihrem Stammesnamen Cicadia, ihre Papiere weisen sie aber als Johanna aus. Die Auslöschung der nahegelegenen Kiowa-Siedlung hat sie ein zweites Mal entwurzelt. Kidd beschließt, sie zu ihren Verwandten nahe San Antonio zu bringen – für beide eine Reise in die Vergangenheit, denn dort hatte Kidd seine Frau zurückgelassen, bevor er für die Konföderierten in den Krieg zog.

Mit dieser Ausgangssituation bedient Greengrass klassische Western-Tropen. Kidd ist einer jener Loner, die etwa in den Filmen von John Ford versuchen, in ihr altes Leben zurückzufinden und die sich auf die Suche nach ihrer Familie begaben – allen voran John Wayne, der in „Der schwarze Falke“ (1956) als Ethan Edwards seine von Comanchen entführten Nichten retten will. „Neues aus der Welt“ ist in gewisser Weise ein Gegenstück zu Fords Film, der im Original „The Searchers“ heißt – für Kidd und Johanna ist diese Suche eine nach Zugehörigkeit und Heilung. Wo Ethan Edwards noch auf Rache sann, will Tom Hanks als Captain Kidd versöhnen. Die Grobschlächtigkeit und der sture Mumm seiner Vorgänger sind passé; er nähert sich seinen Zuhörern mit zurückhaltender Würde.

Vorreiter der sozialen Medien

Dabei helfen die väterliche Autorität und die Aura von Rechtschaffenheit, die Tom Hanks sich in den letzten Jahrzehnten erspielt hat. Dass Captain Kidd im Krieg auf der Seite der Südstaaten, also der Sklavenhalter, gekämpft hat, erwähnt er nur kurz und es wird auch nicht näher verhandelt; die Figurenzeichnung legt indes nahe, dass er keineswegs der Verfechter einer „White Supremacy“ ist, sondern das Gegenteil. Eine Szene macht das deutlich, in der ein zwielichtiger County-Sherriff alle Nicht-Weißen aus der Gegend vertreiben will. Er verlangt von Kidd, aus seiner selbst publizierten rassistischen Propaganda-Zeitung zu lesen. Dieser gibt seine Haltung aus Wissen, Anstand und Menschlichkeit jedoch nicht so einfach auf. Seine Waffe ist nicht der Revolver; er hätte auch nur eine Jagdflinte mit Vogelschrot bei sich; Kidd nutzt lieber seine Auftritte als Vorleser, um die weit im Land verstreuten Menschen durch Geschichten wieder miteinander in Kontakt zu bringen. Die Verantwortung der Auswahl, welche Berichte er aus den Zeitungen vorliest, nimmt er dabei mehr als ernst – als Entertainer und Lehrer in Personalunion.

Der Berufsstand, den Hanks vertritt und der unterschiedlichste Nachrichten und Geschichten sammelt und unters Volk bringt, fungiert hier als eine Art Vorreiter der sozialen Medien mit all ihren Vor- und Nachteilen. Der Grat zwischen hausierendem Prediger, Quacksalber und seriösem Bildungsbeauftragten ist schmal, und es hängt vom Gewissen des Einzelnen ab, ob es „Fake News“ und Hasstiraden oder horizonterweiternde Informationen sind, die verbreitet werden.

Parabel über die zentrale Rolle der Kommunikation

Das Mädchen Johanna wird auf der gemeinsamen Reise zu Kidds moralischem Kompass und hilft ihm, seine Überzeugungen durchzusetzen. Helena Zengel spielt dieses traumatisierte Kind unsentimental und doch mit zweckmäßiger Zartheit. Man müsse zurückschauen, um nach vorne blicken zu können, antwortet sie ihm einmal auf Kiowa – ihm, der es nicht wagt, zurück nach Hause zu fahren, weil ihn dort eine Wahrheit erwartet, die er nicht ertragen zu können glaubt. Über die Sprachbarriere hinweg finden die beiden durch das Geschichtenerzählen eine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren, und lernen so, ihre jeweilige Realität anzunehmen.

Johanna erdet diese Geschichte mit den reglos vorgetragenen Weisheiten ihres Stammes, der das Leben nicht als gerade Linie betrachtet, sondern als Kreislauf, wie sie Kidd einmal gestikulierend erläutert. Dessen naive Vorstellung, mit der Macht des Geschichtenerzählens parteipolitische Schützengräben zu überbrücken, wird erst durch ihre Neujustierung seiner Weltsicht von einem frommen Wunsch zum Versuch, kleingeistige Ideologien zu überwinden. Auch wenn „Neues aus der Welt“ auf den ersten Blick im vermeintlich weichgespülten Western-Gewand daherkommt, machen diese diskursiven Verschiebungen den Film zu einer überzeitlichen Parabel über historische Verantwortung und die zentrale Rolle der Kommunikation für das Gelingen von Demokratie – idealistisch vielleicht, aber keinesfalls sentimental oder gar unbedarft.

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