Speer goes to Hollywood

Dokumentarfilm | Israel/Österreich 2020 | 103 Minuten

Regie: Vanessa Lapa

Der 20 Jahre lang in Berlin-Spandau inhaftierte NS-Rüstungsminister Albert Speer (1905-1981) gilt vielen noch immer als „guter Nazi“, was auch mit dem Erfolg seiner Memoiren zu tun hat. Selbst Hollywood plante Anfang der 1970er-Jahre einen Spielfilm über Speer und schickte den britischen Drehbuchautor Andrew Birkin zu ihm, der stundenlange Gespräche mit ihm führte. Dessen Mitschnitte sind Grundlage für eine fesselnde Dekonstruktion des Mythos Albert Speer, die im Verbund mit einer dichten Collage an historischen Aufnahmen seine Ausreden und Ausflüchte zerpflückt und sein gefährliches Verführungstalent offenlegt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Israel/Österreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Realworks/Yes Docu/ORF
Regie
Vanessa Lapa
Buch
Vanessa Lapa · Joelle Alexis
Musik
Frank Ilfman
Schnitt
Joelle Alexis
Länge
103 Minuten
Kinostart
11.11.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über den NS-Rüstungsminister Albert Speer, dessen Mythos als „guter Nazi“ durch die fesselnde Analyse von Tonbändern dekonstruiert wird, die Anfang der 1970er-Jahre bei Gesprächen des Drehbuchautor Andrew Birkin mit Speer entstanden.

Diskussion

Der Nationalsozialismus sei für ihn ein Abenteuer gewesen, sagt die Hauptfigur einmal, Hitler der neue Napoleon, und ihre Begegnung „Liebe auf den ersten Blick“. Im Zusammenhang mit der Person von Albert Speer (1905-1981) und seiner Selbstdarstellung stößt man immer wieder auf massive Ästhetisierungstendenzen. Der Dokumentarfilm „Spee Goes to Hollywood“ von Vanessa Lapa bricht diese manchmal, nützt sie aber auch, etwa wenn es um den Beginn von Speers nationalsozialistischem Engagement geht, der mit Ausschnitten aus „Faust“ von F.W. Murnau unterlegt wird. Hitler als Mephisto und die Deutschen als verführte Idealisten: So wollte es das deutsche Bürgertum gerne sehen, schon vor 1945 und erst recht danach.

Begegnung in der Villa in Heidelberg

Gegen sechs Uhr abends bietet der Hausherr dem Gast Andrew Birkin einen Sherry an. Ab und zu hört man Frau Speer rufen, dass das Essen fertig sei. Der Appetit ist den Gesprächspartnern nicht vergangen, auch wenn es zwischen den Mahlzeiten um Zwangsarbeiter geht, um die Vergeltungswaffe V2, um Buchenwald, Weltkrieg und die Deutschen. Und natürlich um Hitler.

Der Drehbuchautor Birkin, der Anfang der 1970er-Jahre im Auftrag von Paramount Pictures an einem Film über Speer arbeitete, verglich ihn einmal mit Marlon Brando. Birkin, selbst Spross einer schillernden Familie, Bruder des britischen Models Jane Birkin, sollte jenes sagenhafte Projekt recherchieren, von dem „Speer Goes to Hollywood“ erzählt. Keine Geringeren als Carol Reed und Stanley Kubrick hatten sich zusammengetan, um Speers Memoiren für einen Hollywood-Spielfilm passgerecht zuzubereiten. Birkin verbrachte ein halbes Jahr als Gast in Speers Heidelberger Villa und führte stundenlange Gespräche mit dem willigen Erzähler.

Albert Speer erzählt. Er erzählt gern; auf Englisch mit deutschem Akzent, im weichen Kurpfälzer-Dialekt, immer auskunftsfreudig und sehr medienbewusst. „Wie Malerei“ solle der geplante Film von Paramount sein, keine Fotografie, sagt er. Möglichst weit entfernt von einem Dokumentarfilm. Wenn den Machern ein Van-Gogh-Porträt gelänge, komme man der Wahrheit näher als mit einer Fotografie. Unter van Gogh ging es für Albert Speer anscheinend nicht.

Eine Art Star-Nazi

Er sei „eine zweifelhafte Persönlichkeit“, „a doubtful personality“, sagt Speer einmal über sich. Er wusste besser als die meisten Zuhörer um die Abgründe und die Infamie, aber auch um das Faszinosum dessen, was er tat. Tatsächlich kann man sich auch dieser Speer-Show nur schwer entziehen; was man sieht und hört, ist so erstaunlich wie faszinierend.

Das Bild von Albert Speer ist für jeden ambivalent, der sich mit der schillernden Figur von „Hitlers Architekten“, seit 1942 auch Reichsrüstungsminister, beschäftigt. Nach seiner Entlassung aus dem alliierten Gefängnis in Berlin-Spandau im Jahr 1966, wo er 20 Jahre lang als Haupt-Kriegsverbrecher einsaß, wurde Albert Speer schnell zu einer Art Star-Nazi.

In zahlreichen Interviews bot er den Westdeutschen ein bisschen Zerknirschung und viele Ausreden; er nannte ein paar Dinge beim Namen und redete viel drumherum, keine Lügen, aber eine Menge Halbwahrheiten, alles wohldosiert und schlau, so dass es nur schwer angreifbar war. Auch dem Rest der westlichen Welt bot Speer das, was sie wollten, was opportun war: die zivilisierte Seite des Nazitums. Speer konnte das gut. Zwei Jahrzehnte lang hatte er Zeit, sich auf diese Rolle vorzubereiten.

Geglückte Generalprobe: Der Prozess in Nürnberg

Bereits die Generalprobe war ja geglückt: 1945/46 bei den Nürnberger Prozessen war Speer die ranghöchste unter den angeklagten Nazi-Größen, die nicht zum Tod verurteilt wurde. Das lag an Speers Prozesstaktik und noch mehr an seinem klugen Kalkül. Er erkannte, dass die Alliierten, gerade um harte Urteile fällen zu können, aber auch, um sich dem Vorwurf einer pauschalen „Siegerjustiz“ zu entziehen, zumindest einen Fall brauchten, in dem sie Gnade walten lassen konnten, indem sie überraschend differenziert und unerwartet mild urteilten. Albert Speer bot sich ihnen dafür an, als ein reuiger und in Maßen geständiger Nazi-Täter.

Die drei Jahre nach der Haftentlassung veröffentlichten „Erinnerungen“ (1969), dem ersten von drei Memoirenbänden, wurden ein internationaler Bestseller. Hier schien ein geläuterter Nazi zu sprechen, der ehrlich und schuldbewusst das eigene Versagen benannte, der mit sich haderte und ein schlechtes Gewissen zu haben schien.

Zugleich war Albert Speer für die Öffentlichkeit immer auch der „Gentleman-Nazi“: Kein brutaler Schlächter mit blutigen Wurstfingern, sondern ein Schöngeist, ein Verführter, allenfalls ein Schreibtischtäter und Opportunist, aber kein Bösewicht. Natürlich half dem Sohn aus einer großbürgerlichen Mannheimer Familie, dass er über Niveau und Manieren verfügte, fließend Englisch und Französisch sprach, gut angezogen war und blendend aussah.

Seine Ausflüchte und Ausreden verraten ihn

Die Tonbänder der Gespräche von Birkin mit Speer bilden die Grundlage für den fesselnden Dokumentarfilm der belgisch-israelischen Filmemacherin Vanessa Lapa. „Speer Goes to Hollywood“ fesselt nicht nur, weil hier Alltag und Abgrund, Abendbrot und Völkermord ähnlich nebeneinanderstehen wie auch im Dritten Reich, oder weil Speer mitunter überraschend offen ist und auch über Ängste und Taktiken redet. Sondern der Film schlägt in Bann, weil Speer auch dort, wo er nicht reden will, viel sagt. Weil seine Ausreden und Ausflüchte etwas verraten.

Die Montage spiegelt Speers Aussagen oft mit Ausschnitten aus dem Nürnberger Prozess. Negativ fällt allenfalls zu Buche, dass die Stimmen, die auf dem Originalband zu hören sind, für den Film von Schauspielern nachgesprochen wurden. Das hatte Qualitätsgründe, war technisch unvermeidlich, bringt aber ein Element des Unauthentischen in einen Film, der durch sein Sujet mit Authentizität und dem Wahrheitsanspruch des Dokumentarfilms ganz besonders sorgfältig umgehen muss. Zugleich ist die Arbeit dieser Sprecher aber die größte Leistung in diesem Film. Denn selbst für Tonexperten sind Original und Nachahmung auch dann kaum zu unterscheiden, wenn sie um den Unterschied wissen.

Auf der visuellen Ebene liegt ein besonderer Reiz dieses realgeschichtlichen Dramas über Geschichte, Schuld und Sühne in den selten zu sehenden Bildern.

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