I Wish I Knew

Dokumentarfilm | China 2010 | 116 Minuten

Regie: Jia Zhangke

Ein Dokumentarfilm über die großen Umwälzungen der Metropole Shanghai im Lauf des letzten Jahrhunderts. Vor der Kamera äußert sich eine große Anzahl an Gesprächspartnern aus unterschiedlichen Berufsgruppen, auch einige „Expatriates“, die ihre individuellen Familiengeschichten in die filmische Stadtgeschichte einbringen und auch die Schattenseiten der politischen und ökonomischen Veränderungen erwähnen. Ergänzt werden die Interviews durch eindrucksvolle Bilder von den urbanen Veränderungen und Besonderheiten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HAI SHANG CHUAN QI
Produktionsland
China
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Bojie Media/NCU Group/Shanghai Film Group/Xingyi Shijie/Xstream Films/Yiming International Media Prod.
Regie
Jia Zhangke
Buch
Jia Zhangke
Kamera
Nelson Lik-wai Yu
Musik
Giong Lim
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Ein Dokumentarfilm von Jia Zhangke über die großen Umwälzungen der Metropole Shanghai im Lauf des letzten Jahrhunderts.

Diskussion

Großstadtsymphonien sind im Dokumentarfilm fast schon ein eigenes Genre. Aus zahlreichen Fragmenten wird versucht, ein großes Ganzes zu konstruieren. Auch wenn sich die Komplexität eines urbanen Gebildes nie vollständig abbilden lässt, kann man durch verschiedene Blickwinkel einer Stadt näherkommen und sie entdecken. Der chinesische Regisseur Jia Zhangke wagt sich mit dem Dokumentarfilm „I Wish I Knew“ an die Metropole Shanghai und erzählt ihre Geschichte seit dem letzten Jahrhundert.

Schon die ersten Einstellungen setzten das Hauptmotiv des Films: Ein Mann poliert eine Löwenstatue, während im Hintergrund Barrikaden, Baustellen und Autobahnen zu sehen sind. Shanghai ist eine Stadt des Wandels. Alte Holzdielen werden abtransportiert, und hinter dem grauen Smogschleier ragen die glatten Hochhausfassaden empor. Zhangke stellt das historische Shanghai der Modernität nicht nur auf visueller Ebene gegenüber. Die Interviewpartner:innen erzählen häufig von ihrer Vergangenheit und der ihrer Eltern und Großeltern.

Chinas Chronist

Der Angriff der Japaner im Zweiten Weltkrieg und die Kulturrevolution markieren die wohl wichtigsten Ereignisse, die sich durch alle hier versammelten Familiengeschichten ziehen. Ein älterer Mann berichtet beispielsweise, wie er das Attentat auf seinen Vater, einen Aktivisten, mitansehen musste. Eine Frau erzählt von der fadenscheinigen Verhaftung ihres Vaters (wegen eines ausgefallenen Stromgenerators!), dem Auspeitschen und der Todesstrafe, was die Mutter wiederum beinahe in den Selbstmord getrieben hätte.

Auf dieses Interview folgen die Propagandaaufnahmen von der Befreiung Shanghais mit Mao, jubelnden Menschen und vielen roten Flaggen. „I Wish I Knew“ kann man als kritische Reflexion auf die chinesische Geschichte begreifen. Jia Zhangke, der in Deutschland vor allem durch „A Touch of Sin“ und „Asche ist reines Weiß“ bekannt wurde, war schon immer Chronist eines extrem dynamischen Landes. In Geschichten über Gewalt und Verbrechertum erzählt er über die epische Breite von mehreren Jahrzehnten, wie die Menschen sich an die gnadenlosen Bedingungen des Staatskapitalismus ebenso gnadenlos angepasst haben.

Wandeln durch eine sich wandelnde Stadt

In „I Wish I Knew“ sind die dokumentarischen Elemente dagegen weniger auf Affekte ausgerichtet. Die Vielzahl an Interviewpartnern geben einerseits die Vielfalt an Berufsgruppen wieder (von einer Schauspielerin bis zum Aktienhändler), was andererseits gelegentlich ästhetisch ermüdend erscheint. Die Außenaufnahmen bieten dafür als Ausgleich beeindruckende Bilder. Das Driften der Kamera über den Fluss Suzhou zeigt architektonische Besonderheiten wie die europäisch-klassizistischen Brücken zwischen der hypermodernen Skyline. Eine namenlose, stumme Frau, die ziellos durch die Stadt wandelt, ist die Perspektivträgerin der mäandernden Großstadterkundung.

Zhangke ist bemüht, bei der Auswahl der Befragten nicht nur Alteingesessene, sondern auch Expatriates in Taiwan und Hongkong zu Wort kommen zu lassen. Als Interviewer ist der Regisseur sehr zurückgenommen, stellt kaum Fragen, sondern lässt den Gesprächspartnern Raum für sich selbst. Darunter befinden sich Regisseure wie Wang Toon, Hou Hsiao-Hsien und deren Kollegen, was ein kleiner Streifzug durch die chinesische und taiwanesische Filmgeschichte ist. Einmal spricht die Tochter des verstorbenen Regisseurs Fei Mu von einer offiziellen Befragung, warum sie mit der Familie Shanghai verlassen habe. Sie wusste es selbst nicht und ist darauf nach Hongkong zurückkehrt. Der Dokumentarfilm interessiert sich sehr für die Schattenseiten, die weit über Shanghai hinausreichen. Dabei ist der Film nicht wertend, vielmehr fragend – als Großstadtsymphonie ein offenes Kunstwerk.

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