Drama | Chile/Frankreich 2016 | 85 Minuten

Regie: Christopher Murray

Nachdem er in der Kindheit eine Gottesbegegnung zu haben glaubte, sieht sich ein junger Mann als Prophet, erntet aber in seinem Dorf jede Menge Spott. Als er erfährt, dass ein Freund aus Kindertagen verletzt wurde, zieht er zu einer Pilgerwanderung los, um ein Wunder zu wirken und den Freund zu heilen. Es wird eine Reise durch ein Land, in dem Vieles im Argen liegt; doch der Mann versucht, während er sich unterwegs mit Leidenden solidarisiert und in gleichnishaften Geschichten von seinem Glauben erzählt, an seinem Vertrauen in Gott festzuhalten. Eine chilenische Auseinandersetzung mit der Jesus-Figur, die weniger ein religiöser Film ist als ein Sich-Abarbeiten an der Heilsbedürftigkeit der Welt und der Sehnsucht nach einer Erlösungsperspektive. Dank einer konzentriert-reduzierten ästhetischen Umsetzung ein packendes spirituelles Drama. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL CRISTO CIEGO
Produktionsland
Chile/Frankreich
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Jirafa/Ciné-Sud
Regie
Christopher Murray
Buch
Christopher Murray
Kamera
Inti Briones
Musik
Alexander Zekke
Schnitt
Andrea Chignoli
Darsteller
Michael Silva · Pedro Godoy · Ana María Henríquez · Bastián Insotroza · Mauricio Pinto
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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IMDb | TMDB

Eine chilenische Auseinandersetzung mit der Jesus-Figur, angesiedelt in der Pampa del Tamarugal.

Diskussion

Schon die erste Sequenz geht einem durch Mark und Bein: Man sieht das schrundige, trockene Holz eines toten Baumstamms, dann eine Kinderhand - und einen Stein, der einen Nagel durch sie hindurch hämmert und die Hand am Holz festschlägt. Eine Kreuzigungsszene, angesiedelt in der Gegenwart und in der Wüste im Norden Chiles, in der Pampa del Tamarugal - eine Region, die als konkreter sozialer Hintergrund eine wichtige Rolle spielt (bis auf die Hauptfigur sind alle Figuren mit Laiendarstellern aus der Region besetzt). Zugleich dient die Wüste in diesem Film, mit dem der Chilene Christopher Murray, Jahrgang 1985, 2016 im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig reüssierte, als biblischer Topos, als Ort der Gottessuche und Gottesbegegnung. Den makabren Kreuzigungsakt erklärt eine Stimme aus dem Off als Selbst-Aufopferung eines Jungen, der sehnsüchtig auf ein Wunder, auf eine göttliche Offenbarung hofft und deswegen einen Freund gebeten hat, ihm den Nagel durch die Hand zu treiben.

Dieser Junge, aus dem nach einem Zeitsprung zu Beginn des Films ein junger Mann wird, ist die Hauptfigur von Murrays Drama: Michael, der "chilenische Christus", der tatsächlich der Überzeugung ist, damals als Junge eine Gottesbegegnung gehabt zu haben. Seine Lebensrealität ist allerdings trotzdem alles andere als göttlich verklärt: im Dorf erntet der "Prophet", der die Narbe von dem Nagel  immer noch auf dem Handrücken trägt, jede Menge Spott, und wenn ihn doch mal jemand um ein Wunder bittet, muss er erklären, dass er dazu nicht in der Lage ist. Nichtsdestotrotz macht Michael sich auf den Weg, um ein solches Wunder zu wirken, als er erfährt, dass sein alter Freund aus Kindertagen bei einem Unfall am Bein schwer verletzt wurde, und tritt barfuß eine Pilgerwanderung durch die Wüste zum Wohnort des Freundes an.

Der "chilenische Christus" begibt sich auf eine Reise

Während dieser Wanderung gerät Michael, wie das biblische Vorbild Jesus, mit religiösen Autoritäten aneinander, reibt sich an Formen der Heiligenverehrung, die er als abergläubisch ansieht, und findet mehr widerwillig als absichtlich ebenfalls Anhänger, die in ihm einen Heilsbringer sehen wollen. Er solidarisiert sich mit den Armen und Leidenden, erzählt in gleichnishaften Geschichten von seinem Glauben und hört sich seinerseits an, was die Menschen ihm zu erzählen haben.

Was sich dabei im Lauf des Films herauskristallisiert, ist keine "frohe Botschaft" wie in den Evangelien, sondern eher eine Art modernes chilenisches Pendant zu jener Reise, die weiland der Ritter in Ingmar Bergmans "Das siebente Siegel" hinlegte: Eine Reise durch eine von Leiden und Ungerechtigkeit gezeichnete Welt, in der selbst einen tiefgläubigen Menschen wie Michael angesichts der desolaten Zustände von allen Seiten der Zweifel anspringen muss. Michael hält dem lange Stand und reagiert mit hartnäckiger Menschenfreundlichkeit, bis ihm dann ausgerechnet am Ziel doch noch das Zutrauen, dass Gott in ihm ist, verloren zu gehen droht.

Über die Heilsbedürftigkeit der Welt

Murrays Film ist  trotz seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Jesus-Figur kein religiöser Film, aber einer, der sich klug und filmsprachlich versiert an der Heilsbedürftigkeit der Welt und der Sehnsucht nach einer Erlösungsperspektive abarbeitet - als urmenschliche Eigenschaft, die anfällig macht für religiöse Irrwege, die aber auch eine Kraftquelle für Veränderungen ist: Ohne seinen Glauben hätte sich Michael nie auf den Weg durch die Wüste gemacht, und auch wenn das große Wunder dabei letztlich ausbleibt, bleibt die Wanderung nicht ohne heilsame Wirkungen.

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