Drama | USA 2024 | 134 Minuten

Regie: Alexander Payne

Anfang der 1970er-Jahre sind ein verbitterter Hochschullehrer und ein renitenter Schüler gezwungen, in ihrem US-amerikanischen Elitecollege gemeinsam Weihnachten zu verbringen. Gesellschaft erhalten sie dabei vom afroamerikanischen Dienstpersonal, bis sie gegen die Regeln verstoßen und nach Boston hinausfahren. Das dialoggewandte, tragikomische Feel-Good-Movie lässt den Ausbruch aus dem starren Reglement der Schule und der Sittlichkeit nur vorübergehend und symbolisch ausfallen und bestätigt letztlich den sozialen Status quo. Die Gegenwart als Ort möglicher Veränderungen verschwindet nicht nur bildhaft unter einer dicken Schneedecke. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE HOLDOVERS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
CAA Media/Miramax
Regie
Alexander Payne
Buch
David Hemingson
Kamera
Eigil Bryld
Musik
Mark Orton
Schnitt
Kevin Tent
Darsteller
Paul Giamatti (Paul Hunham) · Dominic Sessa (Angus) · Da'Vine Joy Randolph (Mary) · Carrie Preston (Lydia Crane) · Brady Hepner (Teddy Kountze)
Länge
134 Minuten
Kinostart
25.01.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie
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Tragikomisches Drama um einen verbitterten Hochschullehrer und einen renitenten Schüler, die Anfang der 1970er-Jahre an einem US-College zusammen Weihnachten verbringen müssen.

Diskussion

„The Holdovers“ von Alexander Payne wirkt wie ein Film aus einer anderen Zeit. Die zu Beginn gezeigten Logos des produzierenden Studios Universal sowie von Miramax erinnern an die 1970er-Jahre. Der Film spielt ebenfalls in dieser Zeit in einem College in North Carolina, und erinnert an die Tragikomödien von Hal Ashby. Man denkt außerdem an „Der Club der toten Dichter“ von Peter Weir, der Ende der 1950er-Jahre spielt. Wie bei Weir befindet man sich in einem College, und auch hier steht ein außergewöhnlicher Lehrer im Zentrum. Der strenge Pädagoge formt mit einem rebellischen Schüler ein ungleiches Paar: Erst reiben sie sich aneinander, dann stellen sie ihre profunde Ähnlichkeit fest – den geteilten Status von Außenseitern in einer repressiven, lieblosen Welt.

Dieser Typus des sympathischen Antihelden entspringt weniger dem Rebellen des Kinos der 1970er-Jahre als vielmehr einer abgemilderten, massentauglichen Variante, wie sie auch Ashbys Filme vorbereiteten. Aus ihm hat das amerikanische Indie- und Arthouse-Kino à la „Sundance“ ein kommerzielles Erfolgsmodell gemacht, an das ein Regisseur wie Alexander Payne nahtlos anknüpfen konnte.

Ein älterer Mann in der Krise

Da wäre der Geschichtsprofessor namens Paul, gespielt von Paul Giamatti. Paul ist überstreng, verbittert und einsam; ein Spaßverderber, ein arroganter Gebildeter und Zyniker, der alle hasst und von allen gehasst wird, gefangen in einem unglücklichen Körper, schielend und mit Mundgeruch. Der Mann schmeißt mit lateinischen Zitaten um sich und quält seine Schüler, die er für Idioten hält, mit schlechten Noten. In „Sideways“ bewegte sich Giamatti als Englischlehrer und Romanautor in einem ähnlichen intellektuellen Feld; in „Sideways“ spielte er einen Rotweintrinker; jetzt ist er ein Whiskytrinker. Das Getränk ändert sich, das Bedürfnis nach Alkohol zur Seelentröstung bleibt dasselbe. Wie in anderen Filmen des Regisseurs, etwa „About Schmidt“ oder „Nebraska“, ist der Protagonist in „Holdovers“ ein älterer Mann in der Krise, dem die Zeit davonläuft, um in seine graue Existenz noch etwas Farbe zubringen.

Ihm gegenüber steht einer seiner Schüler, Angus (Dominic Sessa), der ebenfalls einsam und von der Welt und seinen Mitschülern angewidert ist. Paul und Angus müssen gezwungenermaßen die Weihnachtsferien gemeinsam auf dem College verbringen. Die Gründe sind verschieden: Paul hat den Sohn eines wichtigen Sponsors durchfallen lassen und wird mit der Aufgabe bestraft, auf die während der Feiertage im College Zurückgelassenen aufzupassen; die Mutter von Angus hingegen will Weihnachten mit ihrem neuen Liebhaber verbringen und nicht mit ihrem Sohn. Erweitert wird das weiße Duo um zwei schwarze Personen: einen Hausmeister und eine Köchin, deren Sohn, der einzige Schwarze am College, unlängst in Vietnam gefallen ist, während die hier unterrichteten schnöseligen Söhne der weißen Oberschicht sich dem Wehrdienst entziehen konnten.

Paul und Angus gehen sich erst maximal auf die Nerven, bis sie sich annähern, gemeinsam die Regeln übertreten und aus dem Internat ausbrechen. Mit Bowling, Schlittschuhlaufen sowie Kino- und Museumsbesuchen gerät dieser Ausbruch nach Boston allerdings ziemlich brav. Wenn die Welt außerhalb des Colleges „in Flammen“ steht, wie einmal gesagt wird, sind unter der dicken Schneedecke, die den Film durchzieht, die sozialen, politischen, spirituellen und sexuellen Umbrüche der Epoche kaum zu erkennen. Und da die aktuelle Welt ihrerseits „in Flammen“ steht, ist es folglich die brennende Gegenwart, der damaligen Zeit wie der heutigen, die Payne ins Gefrierfach der Vergangenheit verbannt.

Es gibt nichts Neues

In dieser Hinsicht ist der Film äußerst „akademisch“, nicht nur im Sinne des College-Milieus, sondern auch des Einhaltens tradierter Regeln bei der Behandlung standardisierter Motive, wie in den Malerschulen des 19. Jahrhunderts. Wie für den Akademismus zählt für Paul nur die Vergangenheit. Es gibt nichts Neues, erklärt er Angus; die Antike hat längst alles erfunden, bis hin zur Pornografie auf den Vasen, die er seinem Zögling im Museum vorführt. Die Gegenwart erklärt sich nur aus der Vergangenheit und hat nichts weiter zu tun, als sich von ihr erklären zu lassen; jede Innovation, die aus dem Alten schöpfen würde, ist ihr fremd. Nicht umsonst wird dazu die Pornografie bemüht. In diesem prüden Film wird nichts entkleidet und (neu) entdeckt; sich anbahnende Liebesgeschichten oder erotische Gesten werden schnell wieder evakuiert. Denn die Gegenwart besteht in einer entkleideten Vergangenheit, die sich als statisch, unveränderlich und festgefroren erweist. Kein Grund, sich noch ausziehen zu müssen. Kein Grund, sich an ihr zu erwärmen.

Auch deswegen kann Paul nicht das Buch schreiben, das er schon lange plant – wozu auch, wenn alles Relevante längst geschrieben wurde! Er kann nicht einmal, wie die Köchin es formuliert, „einen ganzen Traum träumen.“ Ebenso wenig wie Alexander Payne. Und schon gar nicht den Traum der Bürgerrechtler, den Traum von Martin Luther King. Mit der Gegenwart überdeckt der Schnee die nur angedeuteten politischen Dimensionen von Klasse und Rasse. Auf den Ausbruch aus den Regeln, dem Regime der Eltern und der strikten Trennung zwischen weißer Dominanz und schwarzer Dienerschaft folgt die Rückkehr der Herrschaft, der Triumph über das Individuum und seine Sehnsüchte.

Aus ihrem Elend das Beste machen

Den Unterlegenen bleiben nur ein paar Trostpflaster: schöne Erinnerungen an eine vorübergehende Flucht, an Kabbeleien und Gelächter sowie die Zuflucht zum Alkohol. Die Revolte bleibt in dem dialoggewandten Feel-Good-Movie rein verbal, da Pauls distinguierte Sprache zunehmend vulgäre Züge entwickelt, was einen komischen Effekt erzielt. Doch gerade diese (rein symbolische) Befreiung der Sprache aus den Konventionen des guten Benehmens geht mit einer Unterwerfung unter die bestehenden Umstände einher.

Als akademischer Filmemacher ist Alexander Payne ein Apologet des Status quo. Sein Film ist Ausdruck der Weigerung, die Gegenwart ästhetisch oder politisch als Ort von Veränderung zu begreifen. Paynes Loser können aus ihrem grauen Leben nicht ausbrechen. Sie können nur versuchen, aus ihrem Elend das Beste zu machen.

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