Zeichentrick | USA 1998 | 88 Minuten

Regie: Barry Cook

Eine junge Frau bewährt sich im alten China in Männerkleidung in der Armee und schont dabei nicht nur ihren Vater vor dem Kriegseinsatz, sondern rettet die gesamte Nation. Ein abenteuerlicher, von chinesischer Kunst inspirierter Zeichentrickfilm von außergewöhnlicher visueller Geschlossenheit, der ebenso spannende wie amüsante Unterhaltung bietet. Ganz nebenbei entspinnt er einen auch für Erwachsene durchaus spannenden Diskurs über Geschlechterrollen und Männlichkeitsbilder. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
MULAN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Walt Disney Pictures
Regie
Barry Cook · Tony Bancroft
Buch
Rita Hsiao · Christopher Sanders · Philip LaZebnik · Raymond Singer · Eugenia Bostwick-Singer
Musik
Jerry Goldsmith · Matthew Wilder · David Zippel
Schnitt
Michael Kelly
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Zeichentrick
Externe Links
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Heimkino

Während die erste Auflage keine bemerkenswerten Extras aufweist, enthält die Special Edition (Doppel-DVD) einen Audiokommentar, ein Feature mit 7 im Film nicht verwendeten Szenen (20 Min.) sowie einen ausführlichen Storyboard/Film-Vergleich.

Verleih DVD
Buena Vista (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.), Doppel-DVD: Buena Vista (16:9, 1.66:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Die schönsten Blüten der Kirsche seien jene, die erst spät erblühen: So muntert ein Vater im alten China seine Tochter auf, einen Wildfang, dessen ungezwungene Manieren gerade den Bemühungen einer Heiratsvermittlerin ein jähes Ende bereitet haben. Man weiß nicht, ob man den großen Konfuzius auch für diese Weisheit anführen muß; eher schon wäre sie einem Charlie Chan zuzutrauen, jenem (Kino-)Detektiv, der im Hollywood der 30er und 40er Jahre seine Fälle mit verblüffender Gebrauchslyrik zu lösen verstand. Eines aber ist sicher: Disneys neuester Zeichentrickfilm „Mulan“ ist so eine späte Blüte. Mit den Qualitäten des Films konnte niemand rechnen, der die abendfüllenden Trickfilme der letzten Jahre mit immer geringerer Neugier verfolgte. Und vielleicht ist es ja wirklich so, daß die späten Blüten auch am längsten halten: Die flüchtigen Anachronismen, die „Aladdin“ (fd 30 525) oder „Hercules“ (fd 32 840) in ihrem parodistischen Charakter haben schnell altern lassen, fehlen in dieser Adaption eines rund 2000 Jahre alten chinesischen Volksmärchens, die schon auf Grund der in der Vorlage angelegten Geschlechterrolle erstaunlich modern anmutet. Mulan mag sich als schlechte Heiratskandidatin erweisen, umso beherzter zieht sie dafür an Stelle ihres Vaters in einen Krieg, den man gegen die in China eingefallenen Hunnen führt. Fast jeder in China kennt diesen Mythos, der auch in den vielen weiblichen Helden der Martial-Arts-Filme ein Nachleben fand. Disney stellt der als Mann verkleideten Freiwilligen noch zwei „Sidekicks“ an die Seite, hilfreiche Nebenfiguren, wie man sie aus früheren Filmen des Studios kennt: Kriki, eine Grille (wie schon in „Pinocchio“, fd 1 123), und Mushu, einen kleinen Drachen, der jedoch nach allgemeiner Einschätzung eher einer Eidechse ähnelt. Auch Mushu hat damit eine Bewährungsprobe bitter nötig – weniger allerdings bedarf die Hauptfigur solcher Verstärkung, die schon für sich genommen das interessante Charakterbild einer Jugendlichen bietet. Ihr Gesicht (die Figuren entwarf der aus Taiwan stammende Künstler Chen-Yi Chang) simplifiziert dabei ein asiatisches Schönheitsideal und läßt zugleich Raum für Unvollkommenheiten, die in der Animation immer wieder ausgespielt werden und für Differenzierungen sorgen. Anders als bei „Pocahontas“ (fd 31 616) setzte sich das Studio damit souverän über ethnische Klischees hinweg.

Zweimal muß sich die Heldin bewähren. Das erste Mal noch als vermeintlich männlicher Soldat, der um den Respekt seines Hauptmanns Shang bemüht ist: Durch eine geschickt plazierte Brandkugel versinkt schließlich ein ganzes Hunnenheer in einer Schneelawine. Bald nach ihrer Heldentat – die freilich die Gegner nicht dauerhaft zurückschlägt – wird Mulan in ihrer Weiblichkeit erkannt, muß fliehen und kann erst im letzten Augenblick ein weiteres Mal auf den Plan treten. Dann sind die überlebenden Hunnen bereits im Palast des Kaisers, wo sie von ihr erst kurz vor dem Attentat aufgespürt werden. Das Erstaunliche an dieser Geschichte ist, daß sie weitgehend ohne Romantik erzählt wird, vor allem aber die Heldin ihren Part ohne jede männliche Unterstützung spielen läßt. Umso witziger werden zuvor die Männlichkeitsrituale in der Armee ausgespielt, denen die verkleidete Mulan so gar nicht zu entsprechen scheint. Die erste Hälfte des Films ist somit ein Exkurs über männliche Rollenbilder, und die homoerotischen Codierungen, die schon in früheren Disney-Filmen deutlich wurden, haben ihr ein interessantes Spielfeld: Mulan agiert als femininer Mann, der um seine Anerkennung kämpft – was der Geschichte eine völlig neue Lesart bietet.

Das Erstaunlichste aber ist die visuelle Geschlossenheit des Films. Entstanden weitgehend abseits von Hollywood in Disneys neuem Studio in Florida, trat mit dem deutschen Designer Hans Bacher ein Künstler in den Vordergrund, dessen modernistische Ästhetik in früheren Filmen noch nicht voll zum Zuge gekommen war. Aus der Flächigkeit der chinesischen Kunst entwickelt er ein farblich wie plastisch behutsam reduziertes Design, das der Fantasie einen besonderen Spielraum einräumt und ein gutes Gegengewicht zur obligatorischen 3-D-Animation darstellt, die in den Massenszenen immer breiteren Raum einnimmt. So ist „Mulan“ auch in gestalterischer Hinsicht eine späte Blüte im Disney Studio – und der beste abendfüllende Zeichentrickfilm seit „Die Schöne und das Biest“ (fd 29 927).
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