Der US-Autor, der am 22. August 1920 geboren wurde, verhalf dem Science-Fiction- und Horrorgenre zu literarischen Ehren; eine kindliche Freude an Monstern, Technik-Fantasien und fremden Welten paarte sich bei ihm mit einem avancierten Schreibstil und gesellschaftskritischem Scharfsinn. Bradbury liebte das Kino – und diese Liebe wurde erwidert: Zahlreiche seiner Stoffe fanden ihren Weg ins Medium Film. Auch dort erzählten seine Aliens, Ungeheuer und Maschinen vor allem etwas über die Menschen.
Der Feuerwehrmann Guy (Oskar Werner) liest heimlich Bücher. Das wäre eigentlich nicht der Rede wert, würde er nicht in einem totalitären Land der Zukunft leben, das sämtliche Literatur verboten hat. Lesen, so besagt es die Staatspropaganda, mache den Menschen nur unglücklich. Tatsächlich beginnt Guy durch Bücher, sein eintöniges und obrigkeithöriges Leben in Frage zu stellen. Weil er den oberflächlichen Tratsch seiner Gattin (Julie Christie) und ihrer Freundinnen nicht mehr erträgt, liest er ihnen etwas vor. Es folgen irritierte Blicke und Tränen.
Literatur
besitzt in François Truffauts „Fahrenheit 451“ (1966)
revolutionäres Potenzial und ist die letzte Rettung vor der Barbarei. Dieser
Gedanke ist ein Leitmotiv im Werk von Ray Bradbury, der die
Vorlage für den Film geschrieben hat. In Interviews wurde der vor hundert
Jahren geborene US-amerikanische Autor nicht müde, auf die unschätzbare
Bedeutung von Büchern für die menschliche Zivilisation und Demokratie
hinzuweisen.
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Bradbury
selbst hinterließ der Welt bis zu seinem Tod im Jahr 2012 27 Romane und mehr
als 600 Kurzgeschichten, die überwiegend aus den Bereichen Horror und
Science-Fiction stammen und mehr als hundertmal verfilmt wurden. Und obwohl es
in „Fahrenheit 451“ einen scharfen Kontrast zwischen den Klassikern der Weltliteratur
gibt, die den Geist eines Menschen herausfordern, und einem lähmend stupiden
Staatsfernsehen, das seine Zuschauer nur von der Wirklichkeit ablenkt, war
Bradbury alles andere als ein Gralshüter der Hochkultur.
Neben den Büchern von H.G. Wells, Jules Verne und Edgar Allen Poe verschlang er als Jugendlicher massenhaft Comics. Auch dem Kino war er schon früh zugetan und erzählte gerne, wie er bereits mit drei Jahren „Das Phantom der Oper“ (1925) gesehen habe. Spätere begeisterte er sich für Laurel und Hardy, „King Kong und die weiße Frau“ (1933), „Der Dieb von Bagdad“ (1940) oder Disneys „Fantasia“ (1940). Und auch in seinem literarischen Werk traf man auf fantastische Welten und Kreaturen, auf schleichendes Unbehagen und subtilen Witz.
Nachdem
die Familie Bradbury zunächst zwischen Illinois und Arizona pendelte, zog sie
1934 nach Los Angeles, wo der 14-jährige Ray seine Liebe zu Hollywood noch
ungehemmter ausleben konnte. Häufig schlich er sich ins Fox Uptown Theatre, das
nur ein paar Straßen von seinem Zuhause entfernt war. Außerdem düste er mit
seinen Rollschuhen gerne durch die Stadt, um Autogramme seiner Idole zu
ergattern.
„Gefahr aus dem Weltall“ öffnet den Weg auf die Leinwand
Bradbury wird oft dafür gerühmt, dass er aus Science-Fiction ein respektables und damit mainstreamkompatibles Genre gemacht habe. Er lieferte mit seinem poetischen Schreibstil und seinem gesellschaftlichen Scharfsinn den nötigen Anspruch, konnte sich aber auch wie ein Kind für Monster, virtuelle Realitäten oder fremde Planeten begeistern. Ironischerweise war es dann auch das in „Fahrenheit 451“ karikierte Fernsehen, das ihm den Einstieg ins Filmgeschäft ermöglichte.
Nachdem mehrere seiner Kurzgeschichten für fantastische Fernsehserien wie „Lights Out“ (1946-1952) adaptiert wurden, verfilmte Jack Arnold kurz darauf mit seinem traumwandlerischen Invasionsfilm „Gefahr aus dem Weltall“ (1953) ein Treatment von Bradbury für die große Leinwand. Es geht darin um ein UFO, das in der Wüste Arizonas landet und für Aufregung in einer Kleinstadt sorgt. Ähnlich wie in Don Siegels drei Jahre später entstandenem Thriller „Die Dämonischen“ werden Einwohner gegen emotionslose Klone ausgetauscht. Der Clou der Geschichte ist jedoch, dass die Außerirdischen letztlich nur zufällig abgestürzt sind und keinerlei böse Absichten haben. Die eigentliche Bedrohung geht vom wütenden Mob der Dorfbewohner aus.
Obwohl
sich Bradbury selbst als politisch konservativ bezeichnete, sind seine Geschichten
von einem liberalen Grundton durchzogen. Häufig stehen dabei weniger
Schockeffekte oder starre Gut-Böse-Oppositionen im Vordergrund als vielmehr
ambivalente Figuren und ein bedächtiger Erzählton. Ein gutes Beispiel ist der
im selben Jahr wie „Gefahr aus dem Weltall“ entstandene Monsterfilm „Panik in New York“ von Eugène Lourié. Es handelt sich dabei um die Adaption
der Kurzgeschichte „Das Nebelhorn“, in der es zwei Leuchtturmwärter mit einem
urzeitlichen Ungeheuer zu tun bekommen. Obwohl die Vorlage in der aufwändigen
Produktion – die wegweisenden Stop-Motion-Effekte stammen von Bradburys Freund Ray Harryhausen – abgeändert wurde, ist der Film doch nahe an der
Mentalität des Autors.
Anders als es der reißerische deutsche Titel nahelegt, wird „Panik in New York“ aus der Perspektive dreier Wissenschaftler erzählt, die sich dem zerstörerischen Dinosaurier eben nicht hysterisiert, sondern mit analytischer Neugierde nähern. Selbst als der angesehene Professor Nesbitt (Paul Hubschmid) bei einem spektakulären Tauchgang vom Monster verschlungen wird, ist das für seine jungen Mitstreiter kein Grund zur Rache, sondern wird lediglich als Kollateralschaden für die Forschung gesehen.
Viele Motive: die Serie „Bradburys Gruselkabinett“
Immer wieder trifft man in Bradbury-Adaptionen auf solche besonnenen und aufgeschlossenen Protagonisten oder eben auf ihr Gegenteil. Einen guten Überblick über das Figurenarsenal und die thematische Vielfalt des Autors bekommt man in der Fernsehserie „Bradburys Gruselkabinett“ („The Ray Bradbury Theater“; 1985-1992; zahlreiche Folgen sind in voller Länge frei bei youtube zu sehen), für die Bradbury nicht nur die Drehbücher schrieb – meist nach eigenen Kurzgeschichten –, sondern als ausführender Produzent auch ungewohnte künstlerische Freiheit genoss.
Auch wenn sich manche der Geschichten durch den rund halbstündigen Rahmen und das niedrige Budget nicht angemessen entfalten können, entstanden dabei oft faszinierend sonderbare Gegenstücke zu Bradburys Kurzgeschichten. Nicht zuletzt war die oft hochkarätige Besetzung der Serie ein guter Grund, immer wieder einzuschalten: Man konnte etwa einem hadernden Jeff Goldblum dabei zusehen, wie er Abenteuerurlaub in einer Kleinstadt macht (hier zu sehen), wie Donald Pleasence eine dubiose Firma bezahlt, um seine untreue Frau im Traum zu ermorden (hier zu sehen) oder wie die gewohnt neurotisch wirkende Carol Kane ein Baby auf die Welt bringt, das sich als blaue Pyramide entpuppt (hier zu sehen).
Man begegnete immer wieder Figuren, die allem Fremden offen und neugierig entgegentraten. Etwa in Gestalt von David Carradine in einer Episode aus der Kurzgeschichtensammlung „Mars-Chroniken“, die 1980 bereits von Michael Anderson als Miniserie adaptiert wurde. Ein Expeditionstrupp entdeckt darin, dass die gesamte Marsbevölkerung durch eine von Menschen eingeschleppte Windpocken-Epidemie dahingerafft wurde. Während sich die meisten Besatzungsmitglieder betrinken und äußerst respektlos verhalten, beginnt sich die Figur von Carradine für das Vermächtnis der Marsianer zu interessieren. Die Raumfahrt wird zum Anlass, um über Kolonialismus und den nötigen Respekt gegenüber anderen Kulturen nachzudenken.
Das
andere Extrem dieses Verantwortungssinns verkörpert Captain Ahab aus Herman
Melvilles „Moby Dick“. Wie ein Besessener sucht er nach jenem Wal, der ihn
einst verstümmelt hat, und bringt dabei nicht nur sich selbst, sondern auch seine
gesamte Crew in Gefahr. Bradbury adaptierte den Roman für die Verfilmung durch John Huston im Jahr 1956 gemeinsam mit dem Regisseur. Die ohnehin recht
turbulenten Dreharbeiten erwiesen sich aufgrund Hustons ungestümer Art als
derart prägend für Bradbury, dass er sie in seinem Buch „Green Shadows“
verarbeitete.
Starke Metaphern prägen sich ein
Obwohl
es sich bei dem Drehbuch zu „Moby Dick“ um eine klassische
Auftragsarbeit handelte, fügt sich der Stoff gut in Bradburys Erzählwelten ein.
So wie die Außerirdischen, Monster oder futuristischen Maschinen in seinen
Geschichten vor allem etwas über die Menschen erzählen, steht auch der
unbezwingbare weiße Wal für Ahabs unstillbaren Durst nach Rache. Bradbury
betonte gerne, dass eine Geschichte noch so gut sein könne, doch sobald sie
sich einem Realismus verschriebe, würde sie schnell in Vergessenheit geraten.
Das Geheimnis wären starke Metaphern, die sich dem Leser und Zuschauer
einprägen.
Eine solch eindringliche Metapher findet sich in einer der schönsten, aber weniger bekannten Bradbury-Adaptionen. In Deutschland ist der Fernsehfilm „The Screaming Woman“ (1972; hier zu sehen) von Jack Smight erst gar nicht erschienen. Olivia de Havilland spielt darin die reiche Witwe Laura, die auf ihrem herrschaftlichen Grundstück Schreie einer vergrabenen Frau zu hören glaubt. Da Laura jedoch gerade in einer psychiatrischen Anstalt war, will ihr niemand so richtig glauben.
Mit seinem reduzierten Handlungsgerüst und einem aufpeitschenden dissonanten Soundtrack von John Williams bietet der Film ein Lehrstück in Suspense. Während der Zuschauer schon recht früh erfährt, dass Laura sich die Schreie keineswegs einbildet und der „Mörder“ nur ein paar Häuser weiter wohnt, klingelt sich die aufgeregte ältere Dame erfolglos durch die Nachbarschaft – bis sie schließlich im Haus des Täters steht. Die noch lebende, aber handlungsunfähige Frau unter der Erde ist dabei auch symbolisch zu verstehen. Jeder sieht Laura nur mit mitleidigem Blick an und redet hinter ihrem Rücken abfällig über sie. Ihr Sohn schielt aufgrund ihrer zunehmenden Unzurechnungsfähigkeit sogar schon auf ihr Vermögen. Laura mag reich sein und sich frei bewegen, aber letztlich ist sie genauso gefangen und hilflos wie die Frau, die sie retten will.
Um
eine gelungene Adaption handelt es sich auch, weil die Hauptfigur in der
Vorlage zwar ein junges Mädchen ist, aber eine ähnliche Schwäche hat. Für
„Bradburys Gruselkabinett“ wurde die Geschichte noch einmal werktreuer
umgesetzt; mit einer tollen Drew Barrymore als hartnäckig bockige
Heldin, die der Willkür ihrer Eltern ausgeliefert ist und der niemand glauben
will, weil sie sich gerne in ihren Science-Fiction-Comics verliert (hier
zu sehen).
Skepsis gegenüber den Maschinen
Kinder tauchen als Protagonisten bei Bradbury immer wieder auf. Man sollte ihnen Glauben schenken und sie bloß nicht unterschätzen. Die schon dreimal adaptierte Kurzgeschichte „Die Steppe“ erzählt von einer Zukunft, in der alle als lästig empfundenen Aufgaben von Maschinen übernommen werden – auch die Kindererziehung. Zwei Geschwister verlieren sich deshalb ganz in der virtuellen Welt einer afrikanischen Wildnis. Als die Eltern intervenieren wollen, ist es längst zu spät und die Rache fürchterlich. Es sind Geschichten wie diese, in denen sich Bradburys kritische Haltung gegenüber dem technologischen Fortschritt abzeichnet. Bis zu seinem Schlaganfall im Jahr 1999 schrieb er seine Manuskripte auf einer alten Schreibmaschine. Einen Fernseher schaffte er sich sogar erst wenige Jahre vor seinem Tod an.
Die ebenfalls im „Gruselkabinett“ verfilmte Kurzgeschichte „Die Stunde Null“ (hier zu sehen) erzählt auf ähnliche Weise von Eltern, die büßen müssen, weil sie sich ihrer Verantwortung entzogen haben. In einer kulissenhaften Vorstadtwelt mit glänzend weißen Häusern spielen Kinder mit einem vermeintlich imaginären Freund namens Drill. In Wahrheit bereiten sie jedoch eine Invasion von Marsianern vor. Die Folge schließt mit der Ankunft der Aliens und dem zu späten Schuldeingeständnis der Eltern, versagt zu haben.
Bradbury
schien selbst immer ein wenig Kind geblieben zu sein. Im Intro für das
„Gruselkabinett“ sah man sein mit Büchern, Marionetten, Plastikdinosauriern und
Globussen vollgestelltes Schreibzimmer, das er als seinen „magischen
Spielzeugladen“ bezeichnete.
Wie
ein Freizeitpark voller funkelnder Versuchungen sieht die von Kleinstadt-Archetypen
bewohnte historische Studiowelt aus Jack Claytons Disney-Produktion „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ (1983) aus. Der Wunsch, größer, jünger
oder schöner zu sein, macht die Bewohner darin verwundbar für die Fänge des
unheimlichen Kirmes-Direktors Mr. Dark (Jonathan Pryce). Auch
wenn die Produktion für Bradbury unglücklich verlief – das Drehbuch wurde
umgeschrieben, der Soundtrack ausgetauscht –, ist daraus ein schöner Gruselfilm
über tiefsitzende Ängste und geheime Sehnsüchte geworden. Darüber hinaus
verdeutlicht „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“, dass Bradburys Vorliebe für
kindliche Perspektiven, nostalgisch verklärte Kleinstadtidyllen und
übersinnliche Bedrohungen Spuren in den Romanen von Stephen King und den
Science-Fiction-Filmen von Steven Spielberg hinterlassen hat.
Moralische Erzählungen im Genre-Gewand
Nicht selten verpackt Bradbury seine Genre-Motive in moralische Erzählungen. Das auf seinem Roman „Halloween“ basierende Fernsehspecial „Kopfüber in die Geisterstunde“ („The Halloween Tree“, 1993; als Stream via Amazon Prime zu sehen) ist sogar unverhohlen pädagogisch. Der für das traditionsreiche Animationsstudio Hanna-Barbera entstandene Film ist eine turbulente Reise durch verschiedene Länder und Epochen, um den Wurzeln von Halloween nachzugehen. Begleitet von Bradburys sanfter Märchenonkelstimme folgt man fünf jungen Freunden zu Mumifizierungen im Alten Ägypten, mittelalterlichen Hexenjagden oder zum mexikanischen Tag der Toten. Der Bildungsauftrag ist offensichtlich, aber ansprechend genug mit fantasievollen Einfällen und kindgerechtem Grusel ausgeschmückt, dass es nie schulmeisterlich oder trocken wirkt.
Bradbury stand den meisten Verfilmungen wohlwollend gegenüber. Eine Ausnahme stellt der etwas behäbige Episodenfilm „Der Tätowierte“ (1969) dar, der von Rod Steigers barockem Schauspiel erdrückt wird. Eine der liebsten Adaptionen des Autors war dagegen auch eine seiner untypischsten. Der eigentlich auf Horror spezialisierte Regisseur Stuart Gordon verfilmte mit „Ein Anzug für jede Gelegenheit“ (1998) ein Theaterstück Bradburys als überdrehte, mit Slapstick- und Musical-Elementen angereicherte Komödie. Fünf Latinos aus East Los Angeles, die allesamt kein Geld, keine Perspektiven im Beruf und kein Glück bei den Frauen haben, beschließen darin gemeinsam einen magisch schillernden Anzug zu kaufen, der seinen Träger unwiderstehlich und erfolgreich macht.
Der Haken daran aber ist, dass jeweils nur einer der Männer den Anzug tragen kann. Die Erfüllung der eigenen Träume hat immer etwas Egoistisches, bei dem die anderen zurückstecken müssen. Das persönliche Streben nach Glück muss letztlich mit der Vorstellung einer solidarischen Gemeinschaft abgeglichen werden. Was nach einer moralischen Erzählung über die unschätzbare Bedeutung von Freundschaft klingt, ist tatsächlich aber auch ein großer Spaß. Das hat mit dem musikalischen Drive von Gordons Inszenierung zu tun, aber eben auch mit einer im wahrsten Sinne des Wortes strahlenden Metapher, die den ernsten Stoff ins Fantastische erhebt.