© dffb (Blick in das Helene-Schwarz-Café der dffb)

Die heimliche Transformation

Alles deutet darauf hin, dass die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) dabei ist, sich in ein schickes Trainingscamp fürs Post-Kino-Zeitalter zu verwandeln. Über die Hintergründe einer zeitgeistigen Aktion

Veröffentlicht am
31. Januar 2021
Diskussion

Im Schatten der Corona-Krise und unter Ausschluss der Öffentlichkeit läuft derzeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ein „Change Prozess“, der die widerspenstige Hochschule als Unternehmen durchleuchtet – mit dem Fernziel, die Akademie für den vom Senat projektierten Mediencampus am Flughafen Tempelhof fit zu machen. Für die künstlerische Leitung wird jetzt auch ganz unverblümt eine „unternehmerisch handelnde“ Persönlichkeit gesucht. Doch die Proteste bleiben aus.


Seit Corona ist es still auf den Fluren der der Berliner Film- und Fernsehakademie (dffb) im Sony Center. Bis auf die Buchhaltung ist kaum jemand mehr im Haus. Es scheint, als habe sich die Akademie vorübergehend in Luft aufgelöst. Das Kuratorium und die Interimsdirektorin Sandra Braun nutzen die Gelegenheit für einen stillen Umbau der Akademiestrukturen. Doch der „Change-Prozess“ ist mehr als eine interne Angelegenheit.

Eine Vollversammlung der Akademie auf Zoom. Etwa 80 Personen sind anwesend, davon vielleicht die Hälfte Mitarbeiter*innen und Dozierende, die andere Hälfte Student*innen. Eine externe Evaluatorin stellt eine Studie vor, die sie im Auftrag des Kuratoriums an der dffb durchgeführt hat. Eine Mischung aus Technokraten-Sprech und Gestalttherapie, gespickt mit trendigen Begriffen aus ökonomischen Theorien des Humankapitals. Das Fazit: Die dffb funktioniert als Firma nicht besonders gut. Aber kein Grund zur Sorge: Das ist eine prima Voraussetzung für einen Change-Prozess. Man bedankt sich für den „produktiven Input“. Reaktionen? Kaum. Wahrscheinlich zu viele Informationen auf einmal, mutmaßt die Interimsdirektorin.


Fit für das Großprojekt „Mediencampus“

Zwei weitere Studien werden vorgestellt. Soundso viel Prozent der Studierenden fühlen sich nicht ausreichend auf den Markt vorbereitet. Viele Mitarbeiter*innen sind überarbeitet, die Abteilungen kooperieren mitunter nicht. Die Technik ist veraltet. Was alle teilen: Frust. Ein Mitarbeiter fragt vorsichtig nach, was ein „Assessment-Center“ sei. Auch der Ausdruck „human resources“ ist noch nicht allen geläufig. Aber im Großen und Ganzen scheint man einverstanden mit dem Diskurs, den Methoden – oder zumindest den Ergebnissen der drei Studien.

Diese bilden gemeinsam die zweite von fünf Phasen des sogenannten „Change-Prozesses“, der im Mai unter Ausschluss der Öffentlichkeit an der dffb eingeleitet wurde. In einem Bericht zur perspektivischen Entwicklung der Deutschen Film- und Fernsehakademie von der Senatskanzlei heißt es, das Kuratorium habe festgestellt, „dass die DFFB einen dringend erforderlichen Wandel durchlaufen muss“. Bei dem „Change-Prozess“, der in die Ausschreibung und Besetzung einer neuen Geschäftsführung münden soll, gehe es in erster Linie um einen „Change zu einer geordneten Verwaltung“, nachgeordnet auch um einen „Change zu einer Schule der Zukunft“. Mittelfristig, so viel ist schon durchgesickert, soll die dffb fit gemacht werden für das Großprojekt „Mediencampus“ am Flughafen Tempelhof, für den das vom Berliner Senat im August verabschiedete Konzeptpapier „Vision 2030+ die Weichen gestellt hat. Dort könnte die dffb nach Auslaufen ihres Mietvertrags am Potsdamer Platz „Ankermieterin“ des Hangar 5 werden, wie eine von der Akademie & der Tempelhof Projekt GmbH gemeinsam in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie vorschlägt. Damit hätte das Prestigeprojekt ein Flagschiff mit internationalem Ruf als Hauptmieter an Bord, und die nach dem unrühmlichen Abgang von Ben Gibson wieder mal in der Luft hängende dffb eine gesicherte Zukunft. Eine Win-Win-Situation?


Schleichende Veränderungen auf allen Ebenen

Im Fall „dffb Change“ treffen verschiedene Entwicklungen aufeinander, die einen zweiten Blick wert sind. Zuerst einmal ist da die Verwandlung von Universitäten in „Wissensbetriebe zur Produktion von ökonomisch verwertbarem Wissen und von Humankapital“, für die der Bologna-Prozess 1999 vorläufiger Höhepunkt war. Der Soziologe Gerhard Stapelfeldt fasst die Neoliberalisierung des Hochschulsystems so zusammen: „Ökonomisch nicht verwertbares Wissen, das vor allem in den Geisteswissenschaften erarbeitet wird, wird nicht mehr gebraucht. Die Forschung wird nicht auf Wahrheit, sondern auf ökonomische Werte verpflichtet. Die Lehre spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. (…) Überall, zwischen und in den Universitäten, herrscht der Wettbewerb. Jeder kalkuliert und evaluiert jeden und sich selbst. Es entsteht ein Wettlauf, um zur Elite zu gehören. Das gelingt nur durch Anpassung an den Zeitgeist. (…) Das alles geschieht unter der proklamierten Zielsetzung, Forschungsleistungen zu steigern und die Lehre effektiver zu gestalten.“

Dieser schleichende Prozess ist natürlich auch an der dffb nicht vorübergegangen: Die Studierenden wurden sukzessive jünger, die Regelstudienzeit kürzer, die schicken Drittmittelprojekte wie etwa „serial eyes“ mehr. Das Verhältnis der Studierenden zur Akademie gleicht immer mehr dem eines Kunden zum Dienstleister. Man erwartet Produktionsinfrastruktur und Geld und regt sich auf, wenn der Laden nicht läuft. Die unangenehmen Nebeneffekte dieses konsumistischen Verhältnisses sind unter anderem leere Theorie-Seminare (man arbeitet lieber an der „Visitenkarte“ für die Branche als in einem Denkraum ohne messbaren Output). Auch hier stehen anonyme Evaluierungen der Seminare kurz bevor: ein Vorgeschmack auf die in den USA bereits weit fortgeschrittene Cancel Culture. Der Eklektizismus des Studienplans und die Intransparenz von Prozessen werden nur noch als nerviges Überbleibsel aus alten Zeiten gesehen; nirgendwo wird darüber diskutiert, ob sie vielleicht sogar wichtiger Bestandteil einer künstlerischen Ausbildung sein könnten. (Mein als Kurzfilm angemeldeter Langspielfilm „Das melancholische Mädchen“ wäre nie entstanden, wenn irgendjemand ernsthaft zwei Mal hingeguckt hätte, was wir da eigentlich treiben. Und er ist damit in guter Gesellschaft.)

Ein doppeltes Verschwinden (pixabay/Gerd Altmann)
Ein doppeltes Verschwinden: Film vs. Kino vs. Film (© pixabay/Gerd Altmann)

Und dann ist da noch die Entwicklung, die Lars Henrik Gass in „Film und Kunst nach dem Kino“ als doppeltes Verschwinden beschreibt: das Verschwinden von Film aus dem Kino und Kino aus dem Film. Nach 100 Jahren Kinogeschichte scheint das Kinosterben hierzulande nicht mehr aufzuhalten – die Kinokultur migriert anscheinend nach China und Afrika, während zumindest der europäische Film in verschiedene Richtungen transgressiert: als Videokunst ins Museum, als Erzählung in serielle Formate für Streaming-Plattformen oder Computerspiele. Wie tot der deutsche Kinofilm ist, dafür finden Autoren wie Gass oder Georg Seeßlen regelmäßig drastische Worte. Der cineastische Magerquark ist das Ergebnis einer Filmförderung, die als monströses Zwitterwesen zwischen Wirtschafts- und Kulturförderung zur frei drehenden „Wahrheitsmaschine“ im Foucault’schen Sinne geworden ist und als solche am laufenden Band Gremienfilme produziert, die weder wirtschaftlich noch künstlerisch relevant sind. Werden nicht bald Wege gefunden, das Kino wie andere Kunstformen gezielt zu musealisieren, warnt Lars Henrik Gass, droht uns das Kino ganz verloren zu gehen. Statt Kino unter „Medien“ zu subsumieren und die Abspielstätten unter prekären und nicht selten ehrenamtlichen Bewirtschaftungsverhältnissen still sterben zu lassen, schlägt Gass vor, es als Geschäftsmodell zu verabschieden und dafür als eine kulturelle Praxis wiederzuentdecken, der man mit modernen Kulturbauten neue Orte gibt.

Auf einen gezielten Strukturwandel des Kinos deutet allerdings nichts hin: Das Filmförderungsgesetz wurde gerade „mit Diversity-Makeover in eine Ehrenrunde geschickt“ (Gass), und die „Zombie-Branche“ (Seeßlen) wird – seit Corona mehr denn je – künstlich beatmet, obwohl sie längst keine lebendige Filmkultur mehr ermöglicht, sondern den künstlerischen Film zum Kraftakt werden lässt, den eine „individuelle Überwindung der Maschine“ (Seeßlen) immer bedeutet. So nimmt es nicht Wunder, dass die Chefin der Medienstiftung Berlin-Brandenburg und dffb-Kuratoriumsmitglied Kirsten Niehuus ausgerechnet auf einer Nachwuchsveranstaltung verlauten lässt, dass sie Innovationen nicht von Seiten der Filmstudierenden erwarte, sondern aus Richtung Netflix & Co. Was die Frage in den Raum stellt, wofür der Filmnachwuchs in Zukunft ausgebildet werden soll.


Stilbildender Protest?

Zur Zeit der Gründung der dffb war der deutsche Film in einer ähnlichen Krise. Die Oberhausener hatten gerade „Papas Kino“ für tot erklärt. Während am Ulmer Institut für Filmgestaltung unter Alexander Kluge und Edgar Reitz bereits die erste Generation der Autorenfilmer*innen ausgebildet wurde, ging auf einem CDU-Parteitag in Bonn die Diskussion um eine Filmakademie als Impulsgeber für die schwächelnde Branche los. Standort-Diskussionen, föderale Zankereien, Finanzierungsfragen, vor allem aber auch Streit ums richtige Ausbildungsprogramm verzögerten die Gründung. Als die dffb 1966 als gemeinnützige GmbH mit dem Land Berlin als einzigem Gesellschafter eröffnet wurde, sprach der erste Direktor Rathsack von ihr als einem „halbfertigen Rohbau“: weder Verwaltungsapparat noch Studienordnung standen, als der Betrieb aufgenommen wurde. Das medienpädagogische Vakuum traf auf die beginnenden Studentenproteste, also – so die These von Karl-Heinz Stenz – gaben sich die Studierenden kurzerhand selbst ein Programm, benannten die dffb in Dziga-Vertov-Akademie um und betrachteten sich als verlängerten Arm der APO. Es folgte die erste einer ganzen Reihe von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Studierendenschaft und Direktorat, die mit der berühmten Relegation der 18 ihren vorläufigen Höhe- und Endpunkt finden sollte.

Es sind die gleichen Strukturen, die noch heute die Voraussetzung für erbitterte Kämpfe um die programmatische Positionierung der Akademie bilden: einerseits die Organisation als GmbH, sodass sich in der Akademie verschiedene Rechtssphären überlagern, andererseits die in den Statuten festgeschriebene, aber niemals wirklich realisierte Drittelparität und das dazugehörige Organ, der Akademische Rat, dessen Anerkennung und Nutzung immer vorläufig war und dessen Zuständigkeitsbereich ungeklärt bleibt.

Der "halbfertige Rohbau" der dffb sorgt für zyklische (pixabay/Gert Altmann)
Der "halbfertige Rohbau" der dffb sorgt für zyklische Auseinandersetzungen (© pixabay/Gerd Altmann)

Es ließe sich argumentieren, dass die zyklisch sich wiederholende Dynamik von Politisierungsschub, Aufstand, mehr oder weniger gewaltvoller Niederschlagung und Depression über die Jahre zum eigentlichen Programm der Schule geworden ist und die Filme und Bewegungen, für die die dffb berühmt geworden ist, in einem engen Zusammenhang mit diesem Programm stehen – auch jenseits der ganz offensichtlich davon beeinflussten „Zielgruppenfilme“. Vielleicht ist der Protest an der dffb nicht nur „identitätsbildend“, wie Rüdiger Suchsland 2015 schrieb, sondern sogar stilbildend, und die Geschichte der Aufstände an der dffb damit auch ein Lehrstück über den Zusammenhang zwischen Organisationsstrukturen und Filmästhetik. Allein: Ohne den dazugehörigen offensiv und öffentlich geführten Diskurs, der solcherlei bewusst luftdurchlässig und nachjustierbar gestaltete Strukturen und einen produktiven Richtungsstreit von Anfang an hätte begleiten müssen, wurde aus diesem eben auch ein geschichtsvergessener Wiederholungszwang, der die Institution langsam von innen aushöhlte und unterwegs weit mehr verschliss als nur offensichtlich unpassende Direktoren.

Interessant ist die Historie der Aufstände auch als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen. Nicht zufällig standen in unseren Kämpfen 2014/2015 Personalien im Vordergrund: auf der einen Seite Sophie Maintigneux, eine international renommierte und künstlerisch wie politisch integre Kamerafrau mit langjähriger Verbindung zur Schule, auf der anderen Seite Ben Gibson, der kaum Deutsch sprechende Creative Producer aus London, der – wenigstens in den Augen des Kuratoriums – künstlerische Kompromisslosigkeit und Managementqualität mühelos zu vereinen schien. In der Rückschau spiegelte sich in der Wahl und der Figur von Gibson auch der Übergang von einem klassischen patriarchalen Kunstverständnis zu einer neoliberalen Ideologie, in der Kreativität als Ressource und erste Bürgerpflicht demokratisiert wird, vom Geniekult also gerade noch die Eliteförderung übrigbleibt, und Marktförmigkeit und künstlerische Pose wunderbar zusammengehen. In seinem Selbstverständnis trotzkistischer Kunstmensch, für uns Studierende die Verkörperung eines gefährlichen, weil mit allen rhetorischen Wassern gewaschenen „new public management“, war Gibson stets beides. Unter seiner Ägide setzte die Akademie ihre Transformation zum schicken internationalen Trainingscamp fort. Gibson sprach gern mal von ihr als einer „production company with some chalk boards added“. Gleichzeitig war er nicht kalt genug, um die Akademie mit ihrer politischen Geschichte und ihren Eigengesetzlichkeiten einfach so abzuwickeln: Seine eigene Unbeliebtheit und die internen Kämpfe setzten ihm zu sehr zu. Mit seinem Abgang präsentierte er sich dann wieder als klassischer Macho, mit dem man fast schon Mitleid haben kann, weil er sich so offensichtlich selbst demontiert.


„Dann geh halt nach Ludwigsburg!“

Worum wird es in beim aktuellen „Change-Prozess“ gehen? Die externe Evaluatorin hat von „Wachstumsschwierigkeiten“ gesprochen: ein typisches Problem mittelständischer Unternehmen auf dem Sprung in den globalen Kapitalismus. Ja, die dffb soll – mal wieder – modernisiert werden. Ihre Leichtbaukonstruktion prädestiniert sie für eine rasche Anpassung an den Zeitgeist, und zählt man 1 und 1 zusammen, kommt man zu dem Schluss, dass die dffb zur ersten Akademie für Bildermacher im Post-Kino-Zeitalter der Streaming-Riesen und digitalen Medien werden soll.

Das Interessante daran ist, dass das aber offenbar gerade niemanden hinter dem Ofen hervorlockt. Es lohnt ein Blick auf die Rolle der Studierenden im „Change-Prozess“. Glaubt man den offiziellen Dokumenten, ist die historische Zwietracht zwischen Kuratorium und Studierenden Vergangenheit und man will eigentlich das Gleiche. Die Studierenden-Umfrage, die als Teil der Evaluierung die Grundlage für den „Change-Prozess“ bildet, ging sogar aus einer studentischen Initiative hervor. In der „dffb Vision“ wollte man sich mit der Frage der Zukunft beschäftigen. Dann aber wurden Gelder für eine professionelle Umfrage in Zusammenarbeit mit dem „Institut für angewandt Statistik“ (ISTAT) zur Verfügung gestellt. In der Umfrage wurden die Studierenden dann unter anderem gefragt, ob sie sich ausreichend auf die Medienbranche vorbereitet fühlten, ob die Dozierenden ihnen bei der Erstellung eines Portfolios behilflich seien oder wie sie Erfolg definierten.

Eine anonymisierte Online-Umfrage als harmloses niedrigschwelliges Angebot zur Beteiligung einzusetzen, wäre uns vor fünf Jahren nicht in den Sinn gekommen – damals funktionierten unsere Reflexe gegen alles, was irgendwie mit Kommerzialisierung zu tun haben könnte, noch recht gut. Nein, als Kunden wollten wir nicht angesprochen werden, und wir wollten auch keine Serviceeinrichtung evaluieren. Wir wollten nicht weniger als das Kino als Kunstform retten. Auf die Frage, ob wir uns auf die Medienbranche gut vorbereitet fühlten, hätten wir geantwortet: „Dann geh halt nach Ludwigsburg! Und überhaupt, welche Medienbranche?!“ Was ist seitdem also passiert? (Wo) ist der Faden gerissen?

Wo ist der Faden gerissen? (pixabay/Mudassar)
Wo ist der Faden gerissen? (© pixabay/Mudassar)

Man habe sich ein Bild von der dffb machen wollen, lautet die arglose Begründung der federführenden Studierenden über die Wahl der Mittel. Natürlich wolle man die dffb als „wichtigte Kunstinstitution“ bewahren, wolle eine „Ausbildungsstätte, keine Produktionsstätte“ sein. Aber was heißt das? Und warum wird um diese Fragen nicht offen und öffentlich gestritten? Vielleicht ist es diese einlullende Rhetorik des „Change-Prozesses“, die in ihrer Mischung aus pragmatisch-technokratischer Geschäftigkeit und Achtsamkeitsgefasel alle sediert. Neue, dem therapeutischen Diskurs entlehnte Dogmen wie das „wertschätzende Sprechen“ erzeugen eine Atmosphäre gegenseitiger Anerkennung im Diskurs-Vakuum – und treffen auf eine Generation von Studierenden, die mit Debatten sozialisiert wurden, die in rasender Geschwindigkeit ein Verständnis von Politik verbreitet haben, das mit „Identitätspolitik“ nur unzureichend beschrieben ist. Wo dieses sich durchsetzt, hat man es nicht mehr mit Kämpfen um Verteilung zu tun, sondern um Sprache und Repräsentation. Wo es am Werk ist, geht es um die Diversifizierung von Oberflächen statt um einen wie auch immer gearteten Universalismus – selbst der negative Universalismus, den Hito Steyerl noch einfordert, steht unter Totalitarismusverdacht. Stattdessen wird das Abweichende, Deviante, Minoritäre als emanzipatorisch angebetet, Pluralismus und Multitude als Werte an sich gefeiert. Eine solche Post-Politik beruft sich zwar ununterbrochen auf Strukturen – eine verkürzte Kapitalismuskritik gehört mit zum Programm –, ist aber eigentlich formenblind. Alles mögliche wird zur Politik verklärt; da, wo sie wirklich passiert, wird sie nicht erkannt. Eine Atmosphäre der flachen Hierarchien, des diskriminierungsfreien Sprechens, der gegenseitigen Affirmation ersetzt echte Teilhabe – das ist das Schreckgespenst des partizipativen Neoliberalismus, in dem alle gemeint sind und deshalb keiner mehr wirklich mitentscheiden muss. Vielleicht wollen am Ende ja eh alle das gleiche, nämlich zum Beispiel hippe feministische Netflix-Serien oder politischen Content für TikTok produzieren?


Wir haben die Wahl

Selbst wenn dem im Augenblick so wäre: Die dffb ist mehr als es uns der „Change-Prozess“ glauben machen will. Sie besteht nicht nur aus den aktuellen Studierenden und einem aufgeblähten dysfunktionalen Verwaltungsapparat. In einem dffb Studienprogramm von 1967 heißt es: „Ein neuer Direktor (...) sollte an die Zukunft eines noch unbekannten Films denken. Sollte sich nicht an einer bestehenden Marktlage orientieren.“ In den Augen externer EvaluatorInnen mag die Akademie gerade nicht mehr viel mehr sein als ein schlecht laufender Saftladen, den man erstmal wieder auf Touren bringen muss, bevor man sich um Inhalte kümmert (den Revoluzzer-Geist rettet man schon irgendwie mit rüber in die schöne neue Welt). Aber wir haben die Wahl, ob wir uns mit diesem Blick identifizieren – oder ob wir ihm etwas entgegenhalten.


Nachtrag: Während dieser Artikel geschrieben wurde, erschien plötzlich auch die Ausschreibung für den Posten des künstlerischen Direktors. Sang- und klanglos tauchte sie vor einigen Tagen auf der dffb-Website auf, kurz darauf auch bei Blickpunkt:Film. Gesucht wird „eine kreative und unternehmerisch handelnde Persönlichkeit“ – wohlgemerkt für die künstlerische Leitung! – der*die zusammen mit der zweiten Hälfte der Doppelspitze „die Positionierung und Weiterentwicklung des Profils der DFFB im nationalen und internationalen Wettbewerb verantwortet“. Da wird das neoliberale Programm nicht mal mehr notdürftig verschleiert. Auch interessant: Gesucht wird zwar eine Doppelspitze, doch Duos dürfen sich nicht bewerben. Man munkelt, das ging dann doch alles ganz schnell und irgendwie am Change Board vorbei. Man munkelt auch, das Kuratorium habe schon seine Favoriten. Das geht ja wieder gut los.


Die Autorin Susanne Heinrich ist Schriftstellerin und Filmemacherin und hat an der dffb studiert. Ihr erster abendfüllender Spielfilm „Das melancholische Mädchen“ gewann 2019 beim Max Ophüls Preis Festival in Saarbrücken den Wettbewerb.



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