DVDs, Blu-rays und 4K-UHD-Scheiben sind nicht nur Trägermedien für
Filme, sondern bieten durch ihre Aufmachung und ihr Bonusmaterial einen
beträchtlichen Mehrwert. Die besten dieser Editionen werden von
filmdienst.de
mit dem „Silberling“ ausgezeichnet. Dieses Gütesiegel hat sich aktuell
eine 60th Anniversary Limited Edition von "Wer die Nachtigall stört"
(1962) verdient.
Angehörige
von Anwälten sind in Gerichtsfilmen in der Regel dazu da, um zu zeigen, dass
der Held, der gerade dabei ist, einen aussichtslosen Fall zu gewinnen, zu viel
arbeitet und sein Privatleben vernachlässigt. Ein zumeist unergiebiger Subplot.
Filme wie „Die zwölf Geschworenen“ oder „Die Zeugin der Anklage“ sind da erfrischende Ausnahmen, indem sie das Privatleben
ihrer Helden schlicht aussparen und sich ganz auf den selbstlosen Kampf gegen
die Ungerechtigkeit konzentrieren. Als Gregory Peck alias Atticus Finch seinen
Fall in „Wer die Nachtigall stört“ eher beiläufig übernimmt, ist
seine Frau tot und seine beiden Kinder in der Regel mit der Haushälterin allein
zu Haus in der kleinen Stadt Maycomb, Alabama. Wieder so einer dieser menschelnden
Subplots, die vom Fall ablenken, könnte man meinen. Und der Fall, den die
Autorin Harper Lee in der Romanvorlage in den 1930er-Jahren verortet, hat es in
sich: Ein Schwarzer wird von einem Vater und seiner volljährigen Tochter
beschuldigt, diese belästigt, geschlagen und vergewaltigt zu haben. In den
Südstaaten jener Zeit eigentlich ein klarer Fall. Schuldig! Wozu noch eine
Verhandlung?
Doch es wird
verhandelt werden – aber erst, nachdem die Hälfte des Filmes bereits
verstrichen ist. Davor entwickelt der Subplot um die Kleinfamilie des Anwalts
ein Eigenleben. Während die Recherchen für den Fall diffus jenseits der
sichtbaren Leinwand verbleiben, sehen wir den Kindern beim Spielen zu. Das
Courtroom-Drama verliert seinen Courtroom und gerät zur
Coming-of-Age-Geschichte; zumal alles auch noch von der Tochter Scout in der
Retrospektive erzählt wird.
Robert Mulligans Film gehört
zu den eigentümlichsten Geschichten, die jemals in einen Gerichtsfilm verarbeitet
wurden. Und zeigt ganz nebenbei, wie ungerecht doch die Bezeichnung
„Nebendarsteller“ ist, die im Deutschen die „Supporting Actors“, also die
Unterstützenden, bis heute diskreditiert. In der ersten Stunde geht es um
Kinder in einer Kleinstadt, in der die heile Welt zu Hause scheint. Doch da
gibt es auch die grantige alte Nachbarin, die sich über die freche Scout, ihren
älteren Bruder Jem und den nerdigen Großstadtbesuch Dill aufregt. Und es gibt
dieses finstere Haus an der Ecke mit dem unfreundlichen Alten, der seinen geistig
zurückgebliebenen Bruder Arthur „Boo“ Radley versteckt, manche sagen sogar, im
Haus ankettet. Viel Platz für viel Abenteuer, und viel Ablenkung vom Gerichtsfall.
Doch das scheinbar Nebensächliche ist hier in Wahrheit elementar. Es gibt einen
Einblick in den Mikrokosmos einer Stadt, und untersucht dabei den Boden, auf
dem die latente Diskriminierung als „anders“ Angesehener gedeiht, die im
Gerichtsfall dann an die Oberfläche dringt.
Und es
berichtet von der aufkeimenden Hoffnung, diese Schranken im Kopf einmal zu
überwinden, wenn nämlich eine Generation nachwächst, für die Scout und Jem
stehen. Eine Generation, die erkennt, dass blinde Vorurteile nichts taugen.
Eigentlich braucht man die Gerichtsverhandlung gar nicht, wenn man nur Scout
und Jem beim Spielen, beim Erleben und beim Fragenstellen verfolgt. „Wer die
Nachtigall stört“ ist ein Glücksfall, der auch 60 Jahre nach seiner Premiere
noch zeitlos und packend von der Utopie des „In-Frieden-Lebens“ erzählt.
Neu
erschienen in bester Bildqualität & mit reichem Bonusmaterial
In einem der
vielen Interviews, die im Bonusmaterial zu sehen sind, wird einmal gefordert,
man möge doch den Besuch einer Vorstellung des Filmes für jeden zur Pflicht
machen, einfach nur, um Augen zu öffnen. Vielleicht eine naive Vorstellung,
aber sie zeugt auch von der Kraft, die diesem so undogmatischen Film immer noch
innewohnt.
„Wer die
Nachtigall stört“ ist, sechzig Jahre nach seiner Premiere, in einer wunderbaren
Edition erschienen. Nicht nur, weil der Film anlässlich seines Jubiläums erst
jetzt in seiner bereits 2012 restaurierten 4K-Variante erschienen ist, die die
brillante Schwarz-weiß-Kamera würdig zu Geltung bringt. Es ist vor allem auch
das Bonusmaterial, das hier den Blick weitet. Allein die Quantität lässt
aufhorchen. Zwei 90-minütige Dokumentarfilme, fünf weitere, die eine Stunde
füllen, sowie ein Audiokommentar des Regisseurs Robert Mulligan,
den er zusammen mit seinem Freund und Produzenten Alan J. Pakula
bereits 1998 kurz vor dessen Tod für die US-amerikanische LaserDisk
eingesprochen hat.
Es sind auch
hier die vermeintlichen Nebensächlichkeiten, die das Gesellschaftsbild, das ja
1962 – also noch vor der großen Bewegung des Aufbegehrens um Martin Luther King
– entworfen wurde, weiter vervollständigen und aktualisieren. So etwa die neu
produzierte Dokumentation „Wer die Nachtigall stört: Alle Blickwinkel“ (25
Min.), die aufzeigt, wie wenig der Film (und seine Botschaft) gealtert ist.
Sicher, US-amerikanische Soziologen und Filmwissenschaftler mögen zu Recht
konstatieren, dass ein potenzielles Remake heutzutage den schwarzen Figuren
mehr Raum geben würde. Im Kern erzählt der Film die Geschichte der Täter,
besser, wie sich ein Teil jener befähigt, die Taten zu realisieren und zu
überwinden. Die Botschaft, es mögen doch mehr werden, ist so aktuell und
brennend wie damals.
Filmisch-analytisch,
aber nicht minder auch gesellschaftspolitisch gehen der Dokumentarfilm „Beängstigende
Symmetrie“ (90 Min., ebenfalls 1998 für die DVD-Premiere produziert) und der
Audiokommentar der beiden Filmemacher Robert Mulligan und Alan J. Pakula vor.
Die Phrase „Wie hat man das gemacht… und warum…?” kann nicht fundierter mit
Substanz gefüllt werden als hier.
Als
krönenden Abschluss wäre noch „Ein Gespräch mit Gregory Peck“ (98 Min.) zu
nennen. Regisseurin Barbara Kopple beginnt ihren 2000 fürs Fernsehen
produzierten Dokumentarfilm mit einigen Sequenzen aus einer Frage/Antwort-Show,
mit der der über 80-jährige Schauspieler über mehrere Wochen quasi auf Tour
gegangen ist. Nicht mit Entourage oder Moderator, sondern einfach nur: ein
Theater, ein älterer, plaudernder Herr auf der Bühne und das Publikum, das
Fragen stellen darf. So simpel, so faszinierend. Erst langsam offenbart der
Dokumentarfilm seine wahre Struktur, nämlich, dass die Shows aus
unterschiedlichen Städten auch Aufhänger für ein tiefgründiges, ebenso
kurzweiliges wie ehrliches Porträt sind, in dem Szenen aus den
Backstage-Garderoben und von daheim ein ungewöhnliches „Home-Movie“ kreieren,
das den Star „nahbar macht. Man beginnt zu verstehen, dass die Kunstfigur
„Atticus Finch“, die das American Film Institute in seinem „100 Jahre
Film“-Ranking bei den „Helden“ noch vor Indiana Jones und James Bond auf Platz
1 wählte, aus weit mehr besteht als aus den Worten und Taten aus dem Drehbuch.
Es ist schön, wenn sich langsam das ganze Bild offenbart, in einer Edition zum
Film wie dieser hier. Jörg Gerle
Diskografischer
Hinweis
Wer die
Nachtigall stört. USA 1962, Regie: Robert Mulligan. 129 Min. FSK: ab 12. 60th
Anniversary Limited Edition: Erschienen am 8. Dezember 2022 bei Universal als
4K UHD und Blu-ray.
Bonusmaterial
u.a.: „Wer die Nachtigall stört: Alle Blickwinkel“ (Dokumentarfilm), „Beängstigende
Symmetrie“ (Featurette), „Ein Gespräch mit Gregory Peck“ (Dokumentarfilm),
„Academy Awards - Die Beste Schauspielerische Dankesrede“ (Featurette),
„Amerikanisches Filminstitut - Preis für das Lebenswerk für Gregory Peck“
(Featurette), „Auszug aus der Feierstunde ‚Hommage an Gregory Peck‘“
(Featurette), Audiokommentar von Regisseur Robert Mulligan und Produzent Alan J.
Pakula.
Die
hochpreisige deutsche Edition enthält zudem im Schuber noch ein 44-seitiges
Booklet inklusive Notizen von Gregory Peck und Original-Storyboards,
Postermotiv-Karten und einen originalen Filmstreifen-Cell aus dem Film. In
Großbritannien ist zudem eine weit günstigere, weil abgespecktere Version ohne
die Gadgets erschienen, die ebenfalls die deutsche Tonspur enthält und im Internet
bestellbar ist.
Weitere "Silberlinge"
Silberling für Collector’s Edition "Kampf der Welten" & "Der jüngste Tag"
Das Ende
kommt unverhofft und ohne schleichende Vorwarnungen. Es reichen schlicht eine
richtige Berechnung wissenschaftlicher Daten („Der jüngste Tag“,
1951) oder der Einschlag eines seltsamen Objekts aus dem All („Kampf der Welten“, 1953), und schon ist nichts mehr, wie es war. Man muss dazu
sagen, dass der Science-Fiction Film der 1950er-Jahre beseelt war von den
Ängsten angesichts des Kalten Krieges und der Aussicht, dass die Atombombe
stündlich das Ende der Menschheit heraufbeschwören könnte. Dass 2022 Endzeit-Befürchtungen
wieder aktuell sind – sei’s wegen Klimawandel, sei’s wegen politischer Krisen –
lässt auch die zwei Filme wieder aktuell werden, die zwischenzeitlich ein wenig
außer der Mode gekommen waren: Die H.G.-Wells-Verfilmung „Kampf der Welten“ und „Der jüngste Tag“ jonglieren beide
stimmungsvoll mit der Apokalypsen-Paranoia. Zu verdanken hat sie die
Filmgeschichte dem auf Tricktechnik spezialisierten Produzenten George Pal(1908-1980).
Für die
Filmbranche der USA war Pal ein Glücksfall. Im Zuge der Machtergreifung der
Nationalsozialisten integrierte man den österreichisch-ungarischen Künstler,
der sich in den frühen 1930ern in Berlin als Trickfilm-Experte profiliert
hatte, 1940 nach einer Odyssee über die Tschechoslowakei, Frankreich und die
Niederlande in den US-Unterhaltungsbetrieb, wo er beim Studio Paramount zu
einem der wichtigsten Produzenten für Science-Fiction-Sujets avancierte, die in
den 1950er-Jahren florierten. Auch wenn er mit Puppentrickfilmen angefangen hatte,
dachte Pal immer groß. Was passiert, wenn Welten zu kollidieren drohen oder wenn
der rote Mars seine Bewohner zu uns schickt, um gegen uns Krieg zu führen? Das
Ergebnis kann kein gutes sein – aber ein spektakuläres!
1951
erschien „Der jüngste Tag“ (OT: „When Worlds Collide“) in den
Kinos und führte den Zeitgenossen vor Augen, dass es nur Auserwählten vergönnt
sein wird, zu überleben, wenn ein Stern, der größer als die Erde ist, auf den
blauen Planeten zurast. Regisseur Rudolph Maté zeigte, dass der
Mensch nicht immer menschlich bleibt, wenn der Tod naht. Zum Glück der
Filmfiguren fliegt im Schlepptau des Todessterns auch noch ein Trabant mit, auf
dem wenigstens einige Charaktere eine neue Zivilisation gründen können – die
sicher nur genauso mittelmäßig werden wird wie die alte. Ganz und gar nicht
mittelmäßig waren dabei die Spezialeffekte von Gordon Jennings: Sie wurden 1952
mit einem „Oscar“ geehrt.
„Der jüngste Tag“ ist der Blu-ray-Bonusfilm zum eigentlichen Highlight einer
jüngst bei Paramount erschienenen „Collector’s Edition“. Sie beherbergt den
ebenfalls restaurierten, aber deutlich bekannteren Katastrophenreißer „Kampf der Welten“ auf 4K UHD. Ebenfalls mit einem „Oscar“ für die Spezialeffekte
ausgezeichnet, beschäftigt er sich mit einer fiktiven Alien-Invasion, die bereits
1938 bei einer Radioadaption von Orson Welles für reale Panik auf
den Straßen gesorgt hatte, weil die schreckliche Vorstellung von einem todbringenden
Überfall der Marsianer einfach zu nachvollziehbar und lebensecht schien.
Wo die
Menschheit scheitert, siegt die Natur
Im Kino ist
das von Byron Haskin inszenierte Spektakel nicht minder
eindrücklich, auch wenn es klarer als Fantasie auszumachen ist als das Radio-Hörspiel.
Das Publikum ließ sich dennoch gefangen nehmen von der unbesiegbar scheinenden
Armada fliegender Raumschiffe, die aussehen wie riesige, strahlenspuckende
Mantarochen und eine Spezies langgliedriger Noppenfüßlinge auf die Erde
bringen, die nach der Weltherrschaft strebt.
Während 1951
in „Der jüngste Tag“ noch für den Großteil der Weltbevölkerung alle Hilfe zu
spät kommt, ist es bei der von H.G. Wells inspirierten Marsianer-Geschichte
ausgerechnet ein irdisches Bakterium, das der geschlagenen Menschheit zu Hilfe
kommt. Da, wo Krieg und alles Martialische nutzlos verpufft, bietet manchmal
die Natur den letzten Ausweg. Eine auch heute noch schöne, pazifistische
Aussage, die uns gleichermaßen zur Vorsicht und zur Rücksicht vor Gottes
Schöpfung mahnt.
Im
ausgezeichneten, bereits 2005 zur DVD-Special Edition erstellten Audiokommentar
der beiden über 80-jährigen Hauptdarsteller Gene Barry und Ann Robinson relativiert Robinson voller Inbrunst einige Drehbuchschwächen.
Angesichts des bevorstehenden Endes der Welt binnen sechs Tagen musste ihre
Figur einst sagen: „Genauso lange wie Gott zur Erschaffung der Welt brauchte!“ –
und empfindet das inzwischen als einen der pathetischsten Sätze, den sie je
(und noch dazu aus ihrem eigenen Munde) gehört habe. „Wie hätte sich wohl eine Bette Davis zu diesem Text verhalten?“
Wir werden
es nie erfahren, wohl aber noch viele andere Anekdoten der herrlich redseligen
Ann Robinson und des schon leicht tatterigen Barry. Zudem enthalten im üppigen
Bonusmaterial der filmhistorisch bemerkenswerten Edition ist noch ein zweiter
Audiokommentar. Hier geben Filmemacher und Science-Fiction-Fan Joe Dante,
Filmhistoriker Bob Burns und Buchautor Bill Warren („Keep Watching the Skies!“)
neben amüsanten vor allem fachlich fundierte Informationen über den
Filmklassiker preis. Letzterer stammt aus dem Jahr 2005 und war bereits 2020
auf der US-amerikanischen Criterion-Collection-Blu-ray des Films erschienen.
Von dieser stammt auch das informative Dokufeature „The Sky is Falling“ (30
Min.), das die Genese des Films noch einmal Revue passieren lässt. Auch mit dabei
ist das zehnminütige Feature „H.G. Wells: Der Vater des Science-Fiction“, in
dem der Autor des Stoffes gewürdigt wird. Als finales Schmankerl gibt es jenes 60-minütige
Radiofeature von 1938, das den Ruhm des Stoffes begründete: „Kampf der Welten“
von Orson Welles.
Wer sich für
ein paar Postkarten und Kühlschrankmagnete der beiden Raumschiffe aus „Der
jüngste Tag“ und „Kampf der Welten“ interessiert, der kann sich für die deutsche
Deluxe-Variante der Box entscheiden. Ansonsten reicht auch die Standardverpackung
mit den identischen Disks der beiden 2018 restaurierten Filmen in einem Schuber,
der bislang nur in Großbritannien neben der Deluxe-Variante erhältlich ist. Zu
bedenken ist allenfalls, dass in jedem Fall die letzten zehn Minuten der
deutschen Tonspur im „Bonusfilm“ „Der jüngste Tag“ asynchron zum Bild laufen.
Wer indes die Edition nicht in Deutschland, sondern das englische Pendant via
Internet in Großbritannien ersteht, zahlt wenigstens deutlich weniger und
bekommt den deutschen Ton dennoch geboten.
Diskografischer Hinweis
Kampf der
Welten. USA 1953. R: Byron Haskin. 85 Min. Ab 16 & Der jüngste Tag. USA 1951. R: Rudolph Maté. 81. Min. Ab 12. Collector’s Edition (4K UHD plus
HD) erschienen bei Paramount.
Bonusmaterial: Ein Audiokommentar mit den Hauptdarstellern Ann Robinson und Gene Barry, ein
Audiokommentar mit dem Filmemacher Joe Dante und den beiden Filmhistorikern Bob
Burns und Bill Warren, das Dokufeature „Der Himmel fällt herunter - Die
Produktion von ‚Kampf der Welten‘“ (30 Min.), die Featurette „H.G. Wells: Der
Vater des Science Fiction“ (10 Min.) sowie das Original-Hörspiel aus dem Jahre
1938 „The Mercury Theatre on the Air Presents The War of the Worlds Radio
Broadcast" (60 Min.) von Orson Welles.
Silberling für das "Addams Family"-Mediabook bei Capelight
Ein
perfekter Weihnachtsfilm. Zumindest die ersten zwei Minuten. Bis zu dem
Augenblick, in dem der fröstelnde Weihnachts-Chor mit seinen Songs „Carol of
the Bells“ und „Deck the Halls“ durch das heiße Öl gestoppt wird, das die
Addams Family zur Abwehr ungebetener Gäste vor Heiligabend an der Tür
bereithält. Bei der „Addams Family“ ist alles ein wenig anders – und
irgendwie doch nicht. Im Grunde ist die Addams-Sippschaft ein Muster an Spießigkeit,
will sagen: traditionsbewusst, konservativ, treusorgend, häuslich. Und
kinderliebend… zumindest als Braten zu Feiertagen!
Die Addams
Familie als morbide zu bezeichnen, ist eine dezente Untertreibung. Immerhin hat
sie eine für ein abgeschnittenes Körperteil noch höchst lebendige Menschenhand
als „Haustier“ und als Lieblingsspiel der kleinen Wednesday die
Lebensverkürzung ihres jüngeren Bruders in petto – und das nicht nur zur
Weihnachtszeit.
Geboren als
Schwarz-Weiß-Cartoon für das Lifestyle Magazin „The New Yorker“ in den späten 1930er
Jahren, avancierte die Familie in diversen Trick- und Realfilmadaptionen zu
einem beliebten Unterhaltungsformat in TV und Kino. 1991 erfand Barry
Sonnenfeld die Geschichten um Gomez, Morticia, Onkel Fester, Granny, Butler
Lurch, den Kids und das Eiskalte Händchen neu für die große Leinwand. In Farbe
und für US-amerikanische Unterhaltung grenzwertig respektlos.
Wunderbar
besetzt mit Anjelica Huston als Dame des Hauses, Raul Julia
als Patron, Christopher Llyod als bucklige Verwandtschaft und Christina Ricci als Wednesday, das gar nicht nette „Liebeleinchen“. Sie spielen
alle so distinguiert böse, als würden sie es ernst meinen. Gerade das macht das
ganze Spektakel so unerhört lustig.
Ein
gelungenes Revival
Inzwischen
sind die Jahrzehnte ins Land gegangen und zwei mittelmäßig animierte, weniger amüsante,
nur brachiale Animationsfilme haben die radikalen Familienfilme des letzten
Jahrtausends fast vergessen gemacht, da erhält zumindest der erste Teil der
Familien-Saga aus den 1990er-Jahre ein Revival zum Widerentdecken: Der Film ist
beim Label Capelight neu
erschienen.
Das Material
zum Film ist alles andere als üppig. Auch international beschränkt sich das
Bonusmaterial auf eine alte Werbefeaturette (7 Min.), eine Kurzbetrachtung des
Regisseurs auf „seinen“ filmischen Ansatz bezüglich des Addams-Universums (17
Min.) und ein kurzes „persönliches“ Willkommen von Barry Sonnenfeld
kurz vor dem Hauptfilm. Doch dieser Hauptfilm ist nicht nur perfekt restauriert
und auf 4K-Niveau gebracht, sondern auch erstmals komplett. Das Cover wirbt mit
„mehr Mamushka“ und referiert damit auf die musikalische Qualität des Films,
die dem Regisseur sehr am Herzen lag. Er engagierte für die Tonuntermalung Marc Shaiman, der 1992 noch am Anfang seiner Karriere stand und seither mit
sieben „Oscar“-Nominierungen (u.a. für „Schlaflos in Seattle“ und „Mary
Poppins‘ Rückkehr“) zu den ganz Großen der Branche zählt. Sein Ansatz zu „Die
Addams Family“ ist weniger gothic als mitreißend, denn er unterstützt –
augenzwinkernd, wo er nur kann – die Ausgelassenheit, die dem Film unter der
grauen Spinnenwebfassade innewohnt. Höhepunkt ist besagter Initiationstanz
„Mamushka“, in dem Gomez und Fester Addams ihre wahre Bruderschaft zementieren.
Eine ausgelassene Mazurka, die innerhalb der Ballsequenz auch visuell zu den
Höhepunkten des Films zählt und jetzt in einer um gut einer Minute längeren
Fassung zu sehen ist.
Wer in die
Tiefe der Analyse steigen will, dem sei indes das 24-seitige Booklet empfohlen,
das nicht nur mit Fotos bestückt ist, sondern durch eine fundierte Betrachtung
des Films von Marco Heiter glänzt. Hier erfährt man Genaueres über die
visuellen Pointen des früheren Kameramanns Sonnenfeld, der im Team mit seinem
Director of Photography Owen Roizman („The French Connection“,
„Der Exorzist“, „Tootsie“) die Komödie nicht nur über den Wort-, sondern vor
allen den Bildwitz definiert. Der Text geht aber auch auf Grundsätzlicheres
ein, etwa was „Verrücktsein“ oder „das Unheimliche“ in der Welt der Addams
Family bedeutet.
Nein, vom
Sujet her ist „The Addams Family“ sicher kein perfekter Weihnachtsfilm. Doch
vom Geist her kann es kaum einen besseren geben, ist er doch ein
mitreißend-wohliges Loblied auf Familien- und Gemeinsinn in Zeiten, in denen
das Trennende überhandnimmt.
Diskografischer Hinweis
Addams
Family. USA 1991. R: Barry Sonnenfeld. Mit Anjelica Huston, Raul Julia, Christina Ricci. 101 Min. FSK: ab 12; f. Mediabook: 4K UHD plus
Blu-ray. Anbieter: Capelight.
Bonus: „Barry
Sonnenfeld präsentiert den ‚More Mamushka!‘-Extended Cut“, „Werbe-Featurette“,
„Barry Sonnenfeld über die Addams Family“
Silberling für die Limited Collector's Edition von "Phase IV" bei Capelight
Er hat nur einen einzigen abendfüllenden Film inszeniert, aber dennoch
die Filmwelt revolutioniert. Saul Bass gehört zu den begnadeten
Designern des letzten Jahrhunderts. In Hollywood sorgte er für den richtigen
„Look“ etlicher Großproduktionen, indem er etwa zu Alfred Hitchcocks „Psycho“,
Otto Premingers „Exodus“ oder Stanley Kubricks „Spartacus“
die Vorspann-Sequenzen und das Grafik-Design zum Werbematerial (Plakate, Logos)
beisteuerte. Doch als Regisseur gelang nur ein „kleiner“, fast
kammerspielartiger Genrefilm. „Phase IV“ ist mitnichten einer der
üblichen Monsterfilme, die das Science-Fiction-Genre in regelmäßigen Abständen hervorbringt.
Ähnlich wie schon in dem 1971 entstandenen Mikrobenthriller „Andromeda – tödlicher Staub aus dem All“ von Robert Wise, wird hier vielmehr wissenschaftlich
akribisch (und daher umso verstörender) die zerstörerische Macht einer winzigen
Spezies durchgespielt, die sich (durch mysteriöse interplanetarische Ereignisse
initiiert) plötzlich als intelligente Gemeinschaft geriert. In „Phase IV“ sind
es zunächst Ameisenvölker in einer abgelegenen Hochebene Arizonas, bei denen
ein Wissenschaftler von Intelligenz gesteuerten Widerstand gegen menschliches
Handeln erkennt.
Der Schrecken kommt beiläufig daher, nichtsdestotrotz ist der Film
aber nachhaltig verstörend, da er es wagt, den Menschen in seiner Funktion als
Krönung der Schöpfung grundsätzlich in Frage zu stellen.
Wie hilflos wir letztendlich sind, wenn die Natur einen anderen
Masterplan verfolgt als wir, zeigte pseudodokumentarisch bereits ebenfalls 1971
der von Walon Green inszenierte Film „Die Hellstrom Chronik“.
Auch hier geht es um die finale Unterlegenheit der Spezies Mensch gegenüber der
Natur. Auch hier sind es die großartigen, angsteinflößenden Makroaufnahmen von Ken Middleham (der auch von Bass für „Phase IV“ engagiert wurde), die die
Insekten als Masterminds erscheinen lassen. Es sind Filme als Fanal gegen die
Unvernunft, die sich in den 1970er-Jahren ausbreitet und die Vernichtung der
Umwelt allenfalls als Kollateralschaden einer prosperierenden Wirtschaft
konstatiert.
Agieren die „Vögel“ bei Alfred Hitchcock (1963) noch
eher ungerichtet gegen die Menschen, ist der „Nature Horror“ der 1970er-Jahre
eine gezielte Gegenwehr gegen die „Bestie Mensch“. Sei es in brachialer, fast
schon komödiantischer Weise wie in George McCowans „Frogs“
(1971), in dem sich Amphibien für die Umweltverschmutzung der Bewohner einer
kleinen Insel vor Florida rächen. Sei es als finale Lektion, die uns die
Ameisen in Saul Bass’ „Phase IV“ erteilen.
Die Gewaltigen des Produktionsstudios Paramount, die dem
prominenten und für seine Kurzfilme bereits mit „Oscar“-Nominierungen
versehenen, aber beim Publikum noch recht unbekannten New Yorker eine Chance
auch als Regisseur geben wollten, staunten nicht schlecht, als Saul Bass
weniger mit einem Suspense-Schocker als mit einem intellektuell verkopften
Kammerspiel aufwartete, das (ob des geringen Produktionsbudgets) als „2001 –
Odyssee im Weltraum light“ bezeichnet wurde. Der Film geriet nach seinem
Flop an der Kinokasse in Vergessenheit, obwohl er von der Kritik, von
Umweltaktivisten und Philosophen gefeiert wurde.
Wie „Die Hellstrom Chronik“ bis heute, war „Phase IV“ lange Zeit
über legale Quellen nur schwer erhältlich, bis Paramount ihn 2012 in
Deutschland auf DVD herausbrachte. Allerdings nicht restauriert und ohne
jegliches Bonusmaterial. Das ändert sich nun 2022: Das deutsche Label Capelight
Pictures veröffentlichte den Film nun als 3-Disc Limited Collector’s Edition im
Mediabook.
Booklet & Bonusmaterial
Als erstes besticht das 48-seitige Booklet. Wer bislang noch nicht
viel über die Produktionsgeschichte des Films wusste, wird hier im Essay von
Leonhard Elias Lemke trefflich aufgeklärt. Der Filmjournalist gibt zu
sämtlichen Teilaspekten des nicht nur genretechnisch, sondern auch
philosophisch höchst vielschichtigen Werks erschöpfend, aber nicht
weitschweifig Auskunft. Zudem wird auf das reichlich beiliegende Bonusmaterial
eingegangen, das nicht nur die analytischen Featurettes „An Ant’s Life – Die
Kontextualisierung von PHASE IV“ über die Filmwirkung und „Bass on Titles“ über
die Vorspannarbeiten des Regisseurs enthält, sondern auch seine fünf Kurzfilme,
von denen „Why Man Creates“ 1968 den „Oscar“ erhielt.
Ebenso wichtig wie die inhaltliche Einordnung des Filmes von Lemke
sind die editorischen Kommentare zur Filmversion, die durch die Anmerkungen von
Torsten Kaiser (TELEFilm Restauration & Preservation) über die Restaurierungsarbeiten
ergänzt werden. Sie erklären ein wenig mehr, warum „Phase IV“ als „Lightversion“
von „2001 – Odyssee im Weltraum“ beschrieben wurde. Zu Unrecht,
muss man sagen, denn Bass’ mysteriöser Prolog und vor allem sein ausladender
Epilog erinnern zwar stark an Kubricks bahnbrechende Halluzinationen in seinem
Weltraumepos, sind jedoch alles andere als nachgemacht. Vielmehr musste Bass
sie auf Geheiß der Produzenten von Paramount umschneiden und kürzen, sodass der
Film bislang nur ansatzweise die wirkliche Vision des Regisseurs zeigte. Zum
Glück ist seit kurzem wenigstens wieder der mit 17 Minuten fast doppelt so
lange letzte Akt des Films wiederentdeckt worden und im Bonusmaterial nun
separat abspielbar. Durch die ausführlichen Anmerkungen im Booklet wird auch
dem interessierten Laien deutlich, wie sehr die ursprüngliche Kinoversion von
der Urfassung abweicht.
Saul Bass ist wahrlich ein Visionär, der sich nicht hinter Kubrick
zu verstecken braucht. Sein Hauptwerk gehört ebenso wiederentdeckt wie seine
leichteren, ja fast schon verschmitzten Kurzfilme. In einer Mischung aus
Animation und Realfilm nimmt er nicht nur die Leistungen menschlichen Schaffens
aufs Korn (etwa in „Why Man Creates“), sondern wusste schon 1980 (in „The Solar
Film“), dass die Öl-Lobby der perfekte Verhinderer des Fortschritts ist. Im
Abspann seines Kurzfilms schreibt er: „Die Sonne schenkte uns eine Welt, sie
kann uns eine Zukunft schenken. Jeder stimmt zu, dass Solarenergie eine gute
Technik ist. Doch den Forschern fehlt das Geld. Sie könnten das ändern. Bereits
1985 könnte die Solarenergie einen entscheidenden Beitrag zu unserer
Energieversorgung leisten. Worauf warten wir noch?“ Ja, worauf haben wir 42
Jahre gewartet? Auf das Ende der Welt?
Diskografischer Hinweis
"Phase IV" - 3-Disc Limited Collector’s
Edition im Mediabook (der Film auf Blu-ray und DVD, plus Bonus-Blu-ray). GB/USA 1974; 84 Min; FSK: ab 12. Regie: Saul Bass. Anbieter: Capelight.
Bonusmaterial:
Audiokommentar (engl. ohne Untertitel) der Filmhistoriker Allan
Bryce und Richard Holliss; Alternativer und regulärer Filmanfang im Splitscreen-Vergleich (9
Min.). Der von Saul Bass ursprünglich vorgesehene letzte Akt des Films
(17 Min.). Die Featurettes „An Ant's Life – Die Kontextualisierung von PHASE
IV“ (21 Min.), „Bass on Titles“ (34 Min.) und ein „Vorher-Nachher-Vergleich“
der Restaurierungsarbeiten (14 Min.). Fünf Kurzfilme:
The Searching Eye (1964, 18 Min.)
Why Man Creates (1968, 25 Min.)
Notes on the Popular Arts (1978, 20 Min.)
The Solar Film (1980, 10 Min.)
Quest (1984, 30 Min.)
Silberling für zwei „Dr.
Who“-Spielfilme aus den 1960ern bei StudioCanal
Filmgeschichte
ist relativ. Heute genießt die „Dr. Who“-Reihe nicht nur in Großbritannien
Kult-Status, sondern weltweit und nicht zuletzt auch bei deutschen Fans. Doch
das war nicht immer so. Die amüsanten Abenteuer des fahrigen britischen Zeitreisenden,
die es mittlerweile auf 39 Staffeln in 60 Jahren und zwei Kino-Spin-offs aus
den Jahren 1965 und 1966 gebracht haben, brauchten Zeit, sich in Deutschland
durchzusetzen; man traute dem Doktor in seiner teleportierenden
Polizeitelefonzelle – im Gegensatz zu „Raumschiff Enterprise“ – lange kein
Potential auf dem deutschen Markt zu. Es mussten erst die Privatsender Einzug
halten, bis in den 1990er-Jahren die kultige Albernheit von „Doctor Who“ auch
hierzulande hoffähig wurde. Den beiden „Dr. Who“-Kinofilmen aus den 1960ern blieb
aber weiter eine deutsche Veröffentlichung verwehrt. Erst im Zuge
internationaler Rechteverflechtungen ist der Sprung über den Kanal nun nach
einem guten halben Jahrhundert gelungen, dank dem britischen Arm des
StudioCanal-Konzerns, der die Filme aufwendig restauriert in sein Portfolio „herausragender
Filmklassiker“ aufgenommen hat; StudioCanal Deutschland hat sie auch
hierzulande veröffentlicht. So kommt es, dass die beiden völlig unbekannten,
indes in der Hauptrolle prominent besetzten Filme für die deutschen „Whovians“
nun unter anderem in aufwendigen und nicht gerade preiswerten 4K-Steelbooks
vorliegen.
Peter
Cushing vs. Roboter-Diktatur
In erster
Linie handelt es sich bei „Dr. Who und die Daleks“ (1965) sowie „Dr. Who – Die Invasion der Daleks auf der Erde 2150 n. Chr.“ (1966) um
Filme über eine Spezies von Robotern, die sich anschickt, die Macht über ihren
eigenen Planeten „Skaro“ und im Folgenden auch über die Erde zu übernehmen und
dabei die Menschen, die hier wie dort in unterschiedlicher Ausprägung leben, zu
unterjochen. Dass dies nicht geschieht, dafür sorgt besagter Doctor Who, der im
ersten Teil unfreiwillig, im zweiten Teil mit Bedacht in die Zukunft reist, um
den jeweiligen Zeitgenossen zusammen mit seinen Enkelinnen Susan und Barbara sowie
seiner Nichte Louise beizustehen. Während die Serie versucht, ein veritables
und stringentes Universum um den Zeitreisenden zu kreieren, sind die beiden
Filme in erster Linie äußerst bunte und nur grob an die Erzähllinie andockende
Vertreter für die große Leinwand.
Sie machen
wenig Sinn, haben aber mit dem aus vielen Hammer-Horror-Filmen bekannten Peter Cushing als Doctor ein prominentes Zugpferd und mit den Daleks
blinkende und sich knarzend in einer Computermenschensprache unterhaltende
Antagonisten, die man besonders für Kinder gut als gefährliche und doch nicht
allzu beängstigende „Feinde der Menschen“ nutzen konnte. Wie man im Bonusmaterial
der beiden Heimkinopremieren erfährt, verhinderte die Zensurbehörde in England
die Ausstattung der ungelenken Rollroboter mit Flammenwerfern als Waffe, damit
die Kinder später beim Nachspielen nicht auf „dumme Gedanken“ kommen. Dafür hat
man sie dann mit Staubkanonen versehen, die eher an Feuerlöscher als an
Feuerwaffen erinnern.
Von
Kritikern verachtet und doch vielgeliebt
Trotz nicht
gerade hymnischer Kritiken avancierten die beiden Kinofilme in Großbritannien zu
veritablen Kassenschlagern. Die „London Times“, der „Guardian“ und das
britische Filmfachblatt „Empire“ fragten sich nun anlässlich der
Wiederaufführung 2022 als Doppelprogramm in den englischen Kinos, ob denn die
Filme wirklich so schlecht seien, wie man sie in Erinnerung hatte? Ja und nein!
Diese Zerrissenheit
spiegeln auch die Audiokommentare der beiden prächtigen Heimkinoeditionen wider,
die den Film in exorbitant buntem Technicolor und brillanter Plastizität
präsentieren. Filmkritiker-Ikone Kim Newman, Drehbuchautor Robert
Shearman sowie die Darsteller Mark Gatiss, die an der
Neubelebung der Serie ab 2005 mitwirkten, sowie Jennie Linden
(Barbara) und Roberta Tovey (Susan) aus der 1960er-Film-Besetzung
geben sich alle Mühe, neben der Begeisterung (und der Befangenheit) auch ein
wenig Substanz zu entdecken. Ja, man könnte die pazifistische Grundeinstellung
der Filme loben und den selbstlosen Kampf des Proletariats gegen deren
Unterjochung durch die Eliten postulieren. Dabei scheint aber doch immer das
schiere kindliche Vergnügen an dem aus heutiger Sicht nostalgisch anmutenden Spektakel
mit seinen auch für die Entstehungszeit recht schlichten, aber charmanten
Spezialeffekten durch. Ein Vergnügen, das heute wie damals seine Berechtigung
hat.
Schaut man
sich zudem noch die Interviews mit den Beteiligten sowie die Featurettes über
die Spezialeffekte sowie die einstündige Dokumentation über die
Entstehungsgeschichte der Filme an, kommt man zum Schluss, dass hier ein Stück Filmgeschichte
gewürdigt wird, dass es zwar niemals in den Qualitäts-Kanon der besten Filme
schaffen wird, aber als popkulturelles Phänomen allemal wert ist, dem Vergessen
entrissen zu werden. Schön, dass man solche Entdeckungen beschert bekommt.
Schade, dass sie hierzulande den Sprung auf die große Leinwand nicht schaffen
werden.
Diskografischer Hinweis
Dr. Who und die Daleks. GB 1965. R: Gordon Flemyng. Mit Peter Cushing, Jennie Linden, Roberta Tovey. 80 Min. FSK: ab 6. In restaurierter Fassung als Blu-ray und 4K UHD erschienen bei StudioCanal.
Bonusmaterial:
Zwei
Audiokommentare mit den Darstellern Jennie Linden & Roberta Tovey sowie dem
Filmkritiker Kim Newman und den Autoren Robert Shearman & Mark Gatiss.
Featurette „Das Erbe der Daleks: Zielplanet Skaro“ (16 Min.), Interview mit Filmbuchautor
Gareth Owen (8 Min.), Dokumentation zur Rezeptionsgeschichte („Dalekmania“, 58
Min.) und zur Restaurierung (11 Min.).
Dr. Who: Die Invasion der Daleks auf der Erde 2150 n. Chr.GB 1966. R: Gordon Flemyng. Mit Peter Cushing, Jill Curzon, Roberta
Tovey. 85 Min. FSK: ab 12. In restaurierter Fassung als Blu-ray und 4K
UHD erschienen bei StudioCanal.(restaurierte Fassung als Blu-ray
und 4K UHD)
Bonusmaterial:
Audiokommentare
mit dem Filmkritiker Kim Newman und den Autoren Robert Shearman & Mark
Gatiss. Featurette „Das Erbe der Daleks: Invasion der Erde“ (16 Min.),
Interview mit Filmbuchautor Gareth Owen (4 Min.) und Darsteller Bernard Cribbins
(4 Min.). Dokumentation zur Rezeptionsgeschichte („Dalekmania“, 58 Min.) und
zur Restaurierung (11 Min.).
"Silberling" für die „Ultimate Edition“ von "Pitch Black"
Irgendwo in
den Weiten des Alls. Ein Transportschiff gerät in Schwierigkeiten und muss auf
einem nicht domestizierten Planeten notlanden. An Bord sind ein paar Pilger,
eine dreiköpfige Familie, ein Kopfgeldjäger und seine Beute: Riddick (Vin Diesel), ein unberechenbarer Killer. Von der Besatzung überlebt neben
den Passagieren nur die Andockpilotin Fry (Radha Mitchell). Als
sich die Verstörten aus dem Wrack quälen, empfängt sie die brütende Hitze einer
wüstenartigen Steppe. Auf dem mondgroßen Planeten sorgen nicht weniger als drei
Sonnen für einen 24-stündigen gleißenden Tag und dafür, dass scheinbar alles
Leben verdorrt. Doch was Bounty Hunter Johns (Cole Hauser) noch
weit mehr beunruhigt als die Hitze und die fehlenden Vorräte, ist das spurlose
Verschwinden seines Häftlings. Fortan wähnen sich die Überlebenden ihres Lebens
nicht mehr sicher. Tatsächlich ist aber nicht Riddick ihr Problem: In den schattigen
Ritzen der zerklüfteten Oberfläche hausen lichtscheue Ungeheuer, die nur darauf
warten, endlich ihren Hunger nach Fleisch zu stillen. Und die Sonnen stehen
günstig, denn schon bald bringt die dreifache Sonnenfinsternis turnusmäßig eine
24-stündige Nacht...
Es braucht
Mut für einen solchen Film. David Twohy war nie ein Filmemacher
der ersten Garde. Er hat als Drehbuchautor Debakel wie „Waterworld“ oder „Die
Akte Jane“ verantwortet, andererseits aber auch Respektables wie „Auf der
Flucht“ oder seinen unterschätzten, bei uns nur im Heimkino erschienenen „The
Arrival – Die Ankunft“. Twohy ist ein Science-Fiction-Fan mit Visionen, und
wenn ihm nicht zu viele Produzenten und Megastars (wie bei „Waterworld“)
hereinreden, dann gelingen ihm originäre, in vielen Belangen außergewöhnliche Werke.
Schon sein
Drehbuch zu „Pitch Black – Planet der Finsternis“ ist radikal. Wer ist Feind, wer
Freund? Neben etlichen Schockmomenten sorgen die sich immer wieder neuformierenden
Fronten von Pro- und Antagonisten für Spannung. Durch die (seinerzeit) ohne
Stars „belastete“ Besetzung hat zunächst jeder der Charaktere die gleichen Sympathiepunkte,
die sich im Laufe des Films beträchtlich umverteilen. Wer am Ende überleben
wird, bleibt bis zum Schluss offen.
Diese
Drehbuchkonstellation wird durch eine trotz des bescheidenen Budgets brillante
Ausstattung und farbintensive Kamera unterstützt, deren kontrastreiche Bilder
durch einen mitunter stakkatohaften Schnitt abstrahiert werden. „Pitch Black“
ist ebenso grell wie dunkel – formal und inhaltlich ebenso unerbittlich wie
ernsthaft.
Das
Bonusmaterial gibt Einblick in die Entstehung
„Pitch Black
– Planet der Finsternis“ gilt mittlerweile als einer der wegweisenden
Science-Fiction-Filme des neuen Jahrtausends. Dank des Bonusmaterials der
vorliegenden „Ultimate Edition“ wird erkennbar, wie bemerkenswert die Genese
dieses Films ist. Allein der Blick auf das Drehbuch lohnt, dessen frühe Version
noch einen weiblichen Killer vorsah. Doch als man Twohy den Regiestuhl anbot,
empfand er diese Konstellation als unglaubwürdig. Inzwischen wäre die Situation
eine andere, wie er bekennt – seitdem Charlize Theron in „Mad Max: Fury Road“ Furiosa verkörpert hat. Dennoch war das Überarbeiten des Scripts
von „Pitch Black“ eine weise Entscheidung. Twohy ersetzte zwar die ursprünglich
weibliche Figur durch den damals noch relativ unbekannten, dafür
charismatischen HünenVin Diesel, dafür schuf er mit Fry (Radha Mitchell) eine Gegenspielerin für Riddick, die zu den
außergewöhnlichsten, weil vielschichtigsten weiblichen Charakteren im modernen
Actionkino avancierte. Eigensinnig, egoistisch, kämpferisch, rücksichtslos,
verletzlich. Sie muss dem scheinbar gewissenlosen Pragmatiker und Übermenschen
Riddick im Kampf gegen die Monster innerhalb und außerhalb der Gruppe Paroli
bieten.
Auch ein
zweiter weiblicher Charakter wird infolge der Drehbuchrevisionen eingeführt:
Jack (Rhiana Griffith), ein Junge, der eigentlich ein Mädchen ist
und infolge der Geschichte ein geradezu symbiotisches Verhältnis zum unnahbar
scheinenden Riddick entwickelt. Überhaupt sind es die vermeintlich
unbedeutenden Nebenrollen, die für „Pitch Black“ im Verlauf der Handlung
zentral werden. Und welcher Film aus den USA bietet schon einen Imam statt eines
Priesters als religiöses Gewissen und „Neu-Mekka“ als Ort des Heils? Es sind
die Details, die den Actionfilm „Pitch Black“ so besonders machen.
Eine
Würdigung der beteiligen Kreativen
Im
180-seitigen Booklet der „Ultimate Edition“ offenbaren sich all die Feinheiten
des Films auf analytische Weise. Autor Christoph N. Kellerbach erzählt in fünf
Kapiteln die ganze Geschichte um das Phänomen „Pitch Black“, das inzwischen zu
einem Franchise avanciert ist, das neben Comics, Games, Animationsfilmen und
zwei Folgeteilen neuerdings „Riddick 4: Furya“ avisiert. Es kommen weniger die
Darsteller zu Wort als die Macher in längeren Interviews im Booklet (Kamera,
Effekte, Musik, Story) und – eigens produziert vom deutschen Label Turbine
Medien – als Video. Besonders bemerkenswert ist hier die kreative Aufarbeitung
der ausführlichen Frage-und-Antwort-Session mit erläuternden Clips und
graphischen Elementen. Hier wird bewiesen, wie man mitunter optisch
minderwertiges Sekundärmaterial aus Online-Interviews so aufarbeiten kann, dass
informative, kreative und unterhaltsame Features dabei entstehen. Auf
eindrückliche Weise zeigt die „Ultimate Edition“ des Films auf, wie
vermeintlich unbedeutende Gewerke auch hinter der Kamera zum Gelingen eines
Films beitragen. Wo sonst kommt schon eine Storyboard-Artist-Ikone wie Brian
Murray („Spider-Man: Far from Home“, „Ready Player One“) über 26 Minuten zu
Wort (zudem im Booklet mit einem 12-seitigen Text) und kann erklären, wie
wichtig ein Zeichner als Mittler zwischen Drehbuch und fertigem Film ist?
Es ist das
Gesamtpaket, das die Edition so bemerkenswert macht. Dazu gehören Essentials
wie zwei deutsch untertitelbare Audiokommentare mit dem Regisseur und seinen
Hauptdarstellern Cole Hauser und Vin Diesel sowie dem Produzenten und dem „Visual
Effects Supervisor“. Dazu gehören auch Gimmicks wie Poster und Postkarten. Und
dazu gehört ein sorgfältig auf 4K gemasterter Director’s Cut, der den einzigen
Vertreter des Rechts im Film, nämlich Cole Hauser in der Rolle des Bounty
Hunter William J. Johns, in ein besseres Licht rückt. Denn während er in der
Kinofassung als selbstverliebter, rücksichtloser und drogenabhängiger
Destruktor innerhalb der Gruppe erscheint, hatte er in der ursprünglichen
Fassung Brüche und Verwundungen, die sein Handeln begründen. Mit solch einer
Fülle an Material liefert die Edition einen würdigen Rahmen für den modernen Science-Fiction-Klassiker.
Erschienen
als „Ultimate Edition“ (4K UHD, Blu-ray & Bonus-Disk) im Schuber beim Label
Turbine Medien. Bonusmaterial u.a.: 180-seitiges Buch „Die Entstehung des Riddick-Universums“ von
Christoph N. Kellerbach; Promo-TV-Prequel „Into Pitch Black“ (45 Min.), „Riddick:
Krieger der Finsternis“ (Animationsfilm als direktes Sequel, 35 Min.), zwei
Audiokommentare (auf Blu-ray), Interviews mit David Twohy (Regie, 24 Min.),
Keith David (Imam-Darsteller, 27 Min.), David Eggby (Kamera, 15 Min.), Peter
Chiang (F/X, 28 Min.), Ken Wheat (Story-Autor, 15 Min.), John Cox
(Monster-Animation, 19 Min.), Brian Murray (Storyboards, 26 Min.), David Melvin
(TV-Prequel-Regie, 15 Min.)
"Silberling" für die Edition der Criterion Collection von Bertrand Taverniers "Roud Midnight"
Ein unbefriedigendes Filmende hat manchmal auch sein
Gutes. Ohne das fehlendes Happy End in „New York, New York“
(1977) hätte es wohl nie „Um Mitternacht“ (1986) gegeben. Wenn
Francine Evans (Liza Minnelli) und Jimmy Doyle (Robert De Niro) glücklich und beschwingt aus dem von Martin Scorsese inszenierten
Musical geschlendert wären, hätte Bertrand Tavernier sicherlich
nicht zehn Jahre später bei einem Essen mit Scorseses Produzenten Irwin Winkler gefragt, ob er mit dem Schluss des Films ähnlich unzufrieden sei
wie einst das Publikum. Nichts gegen offene Enden, meinte Tavernier, „aber ich
hätte den Jazzmusiker vielleicht nach Paris gehen lassen. Dort hätte er ein
neues Leben beginnen können“. Das sei eine interessante Idee, konterte Winkler,
ja, das habe etwas!
Der Atem des Jazz
Wenn man Winklers Ausführungen in der Dokumentation
„The New York, New York Stories“ (2005) im Bonusmaterial der Blu-ray „Round Midnight“, wie der Film im Original heißt, Glauben schenken will, war just
dieses Abendessen die Initialzündung für Taverniers New-York-Jazz-Films „Round
Midnight“, den Winkler 1986 produzierte.
„Um Mitternacht“ ist ähnlich wie „New York, New York“
ebenfalls ein Film, dessen Qualitäten sich erst auf den zweiten Blick
erschließen. Der Film „handelt“ nicht, er „fließt“. Scorseses oder Tavernier bedienen
darin nicht die Struktur einer eingängigen Dramaturgie. Sie schweifen vielmehr von
klassischen Heldengeschichte à la Hollywood ab, setzen nicht unbedingt auf
Anfang, Mitte und Ende und legen es auch nicht darauf an, um jeden Preis
eingängig zu sein. Sie schweifen ab, wie Jazzmusiker abschweifen, wenn sie sich
in ihren Instrumenten verlieren. „„Um Mitternacht“ ist kein Jazz-Film, weil er
im Milieu der Jazzer der späten 1950er-Jahre angesiedelt ist, sondern weil er
über die formale Anordnung, die Inszenierungskunst den Atem des Jazz ausströmt“,
schrieb Horst Peter Koll in seiner Kritik zum Film. Diese
filmische Struktur ist der französischen „Nouvelle Vague“ näher als dem Hollywood-Bio-Pic
mit seinem Hang zur abenteuerlichen Verdichtung und zur Überdramatisierung.
„Um Mitternacht“ ist damit einer der Filme, die ihr Sujet
tatsächlich auch formal in den Mittelpunkt stellen. Musik ist darin kein
Ornament, sie ist das Zentrum. Hier wird nicht vom Sound zum Dialog überblendet,
hier wird Musik gespielt. „Um Mitternacht“ ist eine Hommage an den Klang, der
Menschen erfüllt, der sie aber auch zugrunde richtet. Daher handelt der Film auch
von einem alternden, lebensmüden Virtuosen aus New York (dem
Zugrundegerichteten), einem Fan (dem Erfüllten) und einer wundersamen
symbiotischen Interaktion zwischen beiden, die im Paris der späten 1950er-Jahre
zu einem Happy End führt. Zumindest fast.
Ein Verriss, aus dem eine Freundschaft
erwächst
Es erscheint fast schon als Affront, dass sich in den Bonusmaterialen
der Blu-ray von Criterion Collection ein Interview des Filmkritikers Gary
Giddins findet, der den Betrachtungsgegenstand gelinde gesagt nicht mochte.
Giddins war ein versierter Journalist und vor allem ein Jazzkritiker. Sein Verriss
von „Um Mitternacht“, den er 1986 in der Wochenzeitung „Village Voice“ publizierte,
war ein nicht untypisches Beispiel dafür, was passiert, wenn sich ein als
Experte geschätzter Autor mit einer gänzlich anderen Sichtweise auf sein
„Steckenpferd“ konfrontiert sieht. Das erstaunliche, so rekapituliert Giddins im
Rückblick, aber war, dass Tavernier nicht mit Anwälten oder Schlägen drohte,
sondern ihm einen langen Brief mit Entgegnungen, Erklärungen und Denkanstößen schrieb.
Freundlich, aber bestimmt. Daraus entwickelte sich eine langjährige
Brieffreundschaft. Erst Jahre später begegneten sich beide persönlich und wurde
beste Freunde, was bis zu Taverniers Tod am 25. März 2021 anhielt.
Richtig gut findet Giddins „Um Mitternacht“ auch heute
noch nicht. Ein wenig kitschig und klischeehaft sei der Umgang mit der
Jazz-Community – und zu wenig Hollywood. In Giddins’ 24-minütigem, durch viele
Fotos und Filmausschnitte illustriertem Monolog auf der Blu-ray begreift man
jedoch wunderbarerweise die tiefe Komplexität des Films. Man lernt viel über
Taverniers Ansatz, den Jazz ganz allgemein, aber auch über die Ecken und Kanten
eines Films, der einen so magischen Flow wie ein Bebop entwickelt. Man sollte
sich Giddins’ Interview schon vor dem Film anschauen, wenn man Berührungsängste
bei Musikfilmen hat, die mehr Musik als Handlung besitzen. Der lakonische
Monolog macht Lust auf das, was dann kommt: Zwei Stunden voller beiläufiger
Emotionen.
„Um Mitternacht“ ist im deutschsprachigen Raum fürs
Heimkino nur auf DVD erschienen, die derzeit allerdings schwer zu bekommen ist.
Beim US- Label Criterion ist jetzt aber eine referenzwürdige Edition mit dem in
Bild und Ton sorgsam restaurierten Film erschienen, der neben „Bird“
von Clint Eastwood zu den maßgeblichen Jazzfilmen zählt. Die Blu-ray-Edition ist
nicht nur in der USA, sondern auch in Großbritannien erhältlich, mit hiesigem
Regionalcode B, aber ohne deutsche Tonspur.
In der Bonus-Sektion findet sich unter anderem auch
die 52-minütige Dokumentation „Before Midnight“, eine stimmig kompilierte und
kommentierte Materialsammlung mit Aufnahmen, die der Second-Unit-Mann Jean
Achache während der Dreharbeiten machte, sowie eine 39-minütige Diskussionsrunde
mit Bertrand Tavernier, die 2014 an der Columbia University School of Arts stattfand.
Besser, frischer und erhellender kann ein Film nicht präsentiert werden.
Um Mitternacht.
USA/Frankreich 1986. Regie: Bertrand Tavernier. Mit Dexter Gordon, François
Cluzet, Herbie Hancock, Philippe Noiret, Martin Scorsese. 131 Min.
Die
Blu-ray-Edition der Criterion Collection präsentiert den restaurierten und in
4k gemasterten Film mit einem 2.0 Surround-DTS-HD-Soundtrack. In den
Bonus-Materialien finden sich unter anderem ein Interview mit dem Jazzkritiker
Gary Giddins, die Doku „Before Midnight“ mit Aufnahmen von den Dreharbeiten,
eine Podiumsdiskussion mit Bertrand Tavernier, John Szwed und Mark Ruffin sowie
ein Essay von Mark Anthony Neal.
Die Blu-ray ist als Import aus Großbritannien mit Regionalcode
B für Europa im Buchhandel, bei allen einschlägigen Internethändlern oder hier erhältlich.
"Silberling" für die Special Edition zu "New York, New York" von Martin Scorsese
Eigentlich
ist die Premiere eines Kinofilms auf Blu-ray nur bedingt eine Nachricht, da dies
(immer noch) der „natürliche“ Gang der multimedialen Verwertungskette ist. Die
begann für das Jazz-Musical „New York, New York“ (1977), mit dem Martin
Scorsese sich erstmals ins Musical-Genre wagte, schon vor 22 Jahren. Der nach
einer Reihe von Disharmonien mit den Produzenten und dem Testpublikum stark
gekürzte Film kam nach seiner Kinopremiere im Jahr 2005 als opulente „Gold
Edition“ in der 137-minütigen „Kurz“-Fassung ins Heimkino (auf DVD waren das
wegen der schnelleren Abspielgeschwindigkeit sogar nur 131 Minuten). Fans der ursprünglichen
Fassung mussten bis 2011 warten, um in den Genuss der Langfassung zu kommen. Mit
der 25 Minuten längeren und zudem hochauflösende Version von „New York, New
York“ schien die alte Kinofassung damit endgültig passé.
Doch „Director’s
Cut“ hin oder her: Filmgeschichte ist auch eine Fassungsgeschichte, und wenn
man an den unendlichen Kampf zwischen Kritik respektive Publikum und den
Machern bei Werken wie „E.T. – Der Außerirdische“, „Apocalypse Now“, „Der Exorzist“, „Krieg der Sterne“
oder „Blade Runner“ denkt, wird klar: „länger“ oder „moderner“
ist nicht immer „besser“; am allerbesten ist man deshalb immer dann bedient,
wenn eine Heimkinoausgabe die Fassungsgeschichte eines Films spiegelt und ein
Werk nicht nur in der vermeintlich „definitiven“, sondern in mehreren Versionen
anbietet.
Deshalb ist
die Ankündigung „Kinofassung erstmalig in HD“ mehr als nur eine Randnotiz auf
dem Klappentext der Blu-ray-Special-Edition von „New York, New York“; sie ist vielmehr
ein Statement, dass 17 Jahre nach dem „Director’s Cut“ nun auch die Kinofassung
des Films in restaurierter, vom 4K-Master abgetasteten Qualität vorliegt,
sodass man die Wahl hat, welcher Version man den Vorzug geben will.
1977 war
selbst die kurze Version für Kritiker und Publikum nicht das, was sie sehen
wollten. Der Film, in dem es um die unglückliche Beziehung der beiden musikalischen
Individualisten Francine (Liza Minnelli) und Jimmy (Robert De Niro) geht, war für Martin Scorsese vor allem eine Huldigung an die
MGM-Musicals der 1940er- und 1950er-Jahre, mit denen der Regisseur groß
geworden war. Fürs Publikum war der Film allerdings zu improvisiert (in den
geschwätzigen Dialogen), zu artifiziell (in den fast schon theaterhaften
Kulissen) und zu deprimierend. Das machten auch die 25 Minuten nicht wett, die
bereits in den 1980er-Jahren ergänzt wurden, als der Film erneut im Kino gestartet
wurde. Die damals eingefügten Sequenzen bestehen in erster Linie aus zwei
langen Blöcken im letzten Drittel des Films, in denen es um die Produktion des
Erfolgssongs „New York, New York“ sowie eine längere Musical-Passage aus „Happy
Endings“ geht, einer Broadway-Produktion, in der Francine (ohne Jimmy) Erfolge
feiert.
Ein
mitreißendes, auch visuell eigentümliches Werk
„New York,
New York“ bleibt auch hier eine „A Star Is Born“-Variation, in der die
Protagonistin beruflich zwar die Erfolgsleiter erklimmt, doch ihre Beziehung zu
ihrem Kollegen Jimmy unter einen schlechten Stern gerät. Musik und Texte stehen
hier dezidiert für die Gefühlswelten der Protagonisten und sind nicht nur bloße
Shownummern zum Mitswingen. Das wird vor allem an der Genese von „New York, New
York“, dem berühmtesten Song aus dem Film (und der Musical-Geschichte)
ersichtlich, den Jimmy für Francine schreibt und der vom melancholisch-intimen
Jazz-Tune bis hin zur Showtreppen-Nummer avanciert und dabei symptomatisch für
die Entfremdung der beiden Figuren mit den so unterschiedlichen
Charaktereigenschaften steht.
Nichtsdestotrotz
ist Scorseses Musical ein mitreißendes, auch visuell eigentümliches Werk,
dessen Stellenwert im Kanon des Regisseurs immer noch um sein Standing kämpfen
muss. Im Audiokommentar zum Film und auch in seiner Video-Einführung zu „New
York, New York“ merkt man, wie sehr Scorsese an diesem Film hängt und sehr ihm
der Misserfolg von einst immer noch nachgeht. Das üppige Bonusmaterial, das in
einer Extra-DVD versammelt ist, bietet eine große Fülle an Sekundärmaterialien,
die helfen, das Werk in seiner komplexen Entstehung besser zu verstehen. Neben
dem Audiokommentar ist es vor allem die zweiteilige Dokumentation „The New
York, New York Stories“ (52 Minuten), die viel über den Film und seine
schwierige Genese erzählt. Hier kommen vor allem die Produzenten und die Crew
hinter der Kamera zu Wort. Sie kommentieren den Werdegang eines Films, dessen
weltberühmter Titelsong mit Liza Minnelli seinerzeit nicht einmal
eine „Oscar“-Nominierung zuteilwurde. Das ist auch deshalb kurios, wenn man
bedenkt, wie ikonisch das Lied in der von Frank Sinatra später eingespielten
Cover-Version wurde.
Eine
wahre Perle – filmisch und als Edition
Die
Dokumentation „The New York, New York Stories“ ist bereits 2005 entstanden, der
separat vom Film entstandene Audiokommentar von Martin Scorsese und
Filmkritikerin Carrie Rickey stammt sogar aus dem Jahr 1993. Heutzutage würde
man ihn wahrscheinlich als Podcast vermarkten, da er ohnehin nicht
szenenspezifisch auf den Film eingeht. So berichtet Scorsese über das
exzeptionelle Production-Design, in dem etwa der Schatten des unter einer
Laterne Saxophon spielenden Robert De Niro fast schon expressionistisch auf den
Studioboden gemalt wurde; als Zuschauer sieht man diese Szene allerdings erst
eine halbe Stunde später.
Großartig
ist es indes, dass der Audiokommentar mit Untertiteln versehen wurde, sodass man
ihn auch tonlos zum Film einblenden kann. Dieses rare Extra ist bizarrerweise jedoch
aufgeteilt. Denn für die Kinofassung erhält man die Untertitel auf Deutsch, für
den „Director’s Cut“ auf einer zweiten Blu-ray ist derselbe Audiokommentar hingegen
nur Englisch untertitelt.
Wem der Sinn
nach einer aktuelleren Einordnung steht, dem sei der analytische Booklet-Text
von Anna S. Ullman und Daniel Wagner empfohlen, die den Film aus heutiger Sicht
interpretieren und dabei unterstreichen, dass es sich in beiden Fassungen um
eine wahre Perle der Filmkunst handelt, unabhängig, ob man „New York, New York“
nun als Psychodrama oder als Jazzmusical interpretiert. Schön ist auf jeden
Fall, dass man im Bonusmaterial zwischen „alter“ und „neuer“ Fassung wählen
kann. Der Genuss wie die Erkenntnis ist in jedem Fall groß!
New York, New York.
USA 1977. Regie: Martin Scorsese. Mit Liza Minnelli, Robert de Niro. FSK: ab 6
Die Special
Edition (2 BDs + 1 DVD) umfasst neben der ungekürzten „Director’s Cut“-Fassung
die um 25 Minuten kürzere Original-Kinofassung
erstmalig in HD. Zu den Bonusmaterialien zählt Martin Scorseses Einführung zu „New
York, New York“, ein Audiokommentar von ihm und der Filmkritikerin Carrie
Rickey, alternative und entfallene Szenen inklusive einem alternativen Ende,
die Dokumentation „New York, New York-Stories: Teil 1+2“, das Feature „Liza
Minnelli über ‚New York, New York‘“, Kommentare zu ausgewählten Szenen vom Kameramann
Laszlo Kovacs, Trailer, eine umfangreiche Bildergalerie sowie ein 24-seitiges Booklet
von Anna S. Ullmann und Daniel Wagner.
Die Special Edition ist bei Koch Media erschienen. Bezug: in
jeder Buchhandlung oder im Internet.