Rabiye Kurnaz gegen Thomas Brasch heißt es bei der Verleihung des 72. Deutschen Filmpreises 2022. Bei der Bekanntgabe der Nominierungen am 12. Mai entfielen auf die Filmbiografie „Lieber Thomas“ 12 Nennungen, während Andreas Dresens herzhaftes Drama über die Mutter des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz 10 mal benannt wurde. An dritter Stelle platzierte sich das Gefängnisdrama „Große Freiheit“ mit 8 Nominierungen.
Alles neu und doch vieles beim Alten. Bei der Bekanntgabe der Nominierungen für den 72. Deutschen Filmpreis präsentierten sich erstmals das neue Filmakademie-Duo Florian Gallenberger und Alexandra Maria Lara sowie die ebenfalls erst wenige Monate amtierende Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Außerdem wurden mit diesem Termin die Weichen gestellt, um die Verleihung der Filmpreise schrittweise wieder auf den gewohnten Frühjahrstermin zurückzuholen; die Gala 2021 hatte als Folge der Corona-Pandemie ja erst im späten Herbst stattgefunden; nun nähert man sich mit dem 24. Juni der langjährigen April-Platzierung an.
Abgesehen von diesen Signalen des Neubeginns erinnert
die Kandidaten-Auswahl sehr an frühere Jahre. Der vergleichsweise kurze Abstand
zur 2021er-Verleihung und wohl auch die Corona-bedingten Drehverzögerungen
spiegeln sich in den 22 nominierten Filmen wider.
Ein formal herausragendes Führungstrio
Mit den drei meistbenannten Werken hat die Akademie ein Trio ausgewählt, das neben der Kombination aus herausragender formaler Arbeit und ausgezeichneten Schauspielerleistungen auch durch die markante Präsenz bei Festivals bestach. 12 Nominierungen holte „Lieber Thomas“, Andreas Kleinerts Schwarz-weiß-Biografie des ostdeutschen Schriftstellers und Filmemachers Thomas Brasch, mit dem sich der Regisseur 14 Jahre nach seinem letzten Kinofilm „Freischwimmer“ beim Filmfest München auf der großen Leinwand zurückgemeldet hatte; zehnmal benannt wurde Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, der bei der Berlinale 2022 schon zwei Preise gewonnen hatte. Hinter den beiden Filmen, die als Favoriten gelten dürfen, errang das österreich-deutsche Gefängnis-Kammerspiel „Große Freiheit“ um den Leidensweg eines homosexuellen Häftlings von den 1940er- bis 1960er-Jahren 8 Nominierungen – der Film von Sebastian Meise hatte seine Premiere 2021 in Cannes.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Deutscher Filmpreis 2021: Nominierungen
- Deutscher Filmpreis 2021: Die Verleihung
- Deutscher Filmpreis 2020: Die Verleihung
Die übrigen drei Filme, die als bester Spielfilm
antreten, wirken dagegen wie Füllkandidaten: Die Komödie „Contra“ von Sönke
Wortmann und Karoline Herfurths komödiantischer Episodenfilm „Wunderschön“
verdanken ihre Nennung wohl vor allem ihren angesichts der
Corona-Einschränkungen hochrespektablen Einspielergebnissen, wofür auch
spricht, dass „Contra“ ansonsten keine weitere Nominierung erhielt und
„Wunderschön“ nur noch in der Musik-Kategorie ins Rennen geht.
Auch die Berücksichtigung der Prinzessin-Diana-Filmbiografie „Spencer“ erschließt sich nicht recht; das liegt allerdings nicht an der Qualität des Films von Pablo Larraín, sondern weil dessen Einstufung als deutsches Werk angesichts der internationalen Crew und des genuin britischen Themas nicht unbedingt naheliegt. Deutsch ist zwar die Co-Produktionsfirma Komplizen Film; deren internationales Engagement hatte in früheren Jahren jedoch nie eine Rolle für die „Lolas“ gespielt – sonst hätten dort ja auch Filme wie „Eine fantastische Frau“, „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ oder „Synonymes“ auftauchen können.
Eine Mischung aus Vermittlung eines historisch bedeutsamen Stoffs und Kommerzialität bestimmt auch die Kinderfilm-Kategorie, wo sich „Der Pfad“ mit „Die Schule der magischen Tiere“ misst; letzterer steht auch schon als Gewinner des Preises für den „publikumsstärksten“ Film fest. Bei den Dokumentarfilmen entschieden sich die Akademie-Juroren aus einer starken Vorauswahl von 15 Filmen für „The Other Side of the River“, „We Are All Detroit“ und „Wem gehört mein Dorf?“.
Spannung bei den Darsteller-Preisen
Die spannendsten Kategorien dürften in diesem Jahr die vier Darsteller-Preise sein. Hochkarätig ist etwa die Auswahl der Hauptdarstellerinnen mit Meltem Kaptan, Saskia Rosendahl, Sara Fazilat und Ursula Strauss, wobei selbst diese Ausweitung auf vier Nominierte noch würdige Kandidatinnen wie Sophie Rois in „A E I O U“ oder (siehe oben) Kristen Stewart in „Spencer“ nicht zum Zuge kommen ließ. Vier Nominierte gibt es auch bei den Nebendarstellern mit Godehard Giese, Henry Hübchen, Alexander Scheer und Jörg Schüttauf, während Georg Friedrichs homophober Zellenkumpan aus „Große Freiheit“ außen vor blieb. Dessen Hauptdarsteller Franz Rogowski schaffte es dagegen erneut in die Auswahl neben Albrecht Schuchs fulminanter Brasch-Interpretation und Farba Dieng in „Toubab“. Bei den Nebendarstellerinnen ist zum nunmehr 6. Mal Sandra Hüller nominiert, neben den „Lieber Thomas“-Schauspielerinnen Jella Haase und Anja Schneider.
Die Verleihung des 72. Deutschen Filmpreises findet am 24. Juni 2022 im Berliner Palais am Funkturm statt (und wird von Das Erste ab 23 Uhr als Aufzeichnung übertragen). Einzelheiten zu Gala und Moderation werden noch bekanntgegeben; sicher dürfte aber schon jetzt sein, dass sie erstmals seit 2019 wieder ohne Corona-Korsett stattfindet.
Die Nominierungen für den Deutschen Filmpreis 2022
Bester Spielfilm
Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Bester Dokumentarfilm
Bester Kinderfilm
Die Schule der magischen Tiere
Bestes Drehbuch
Thomas Reider, Sebastian Meise für „Große Freiheit“
Thomas Wendrich für „Lieber Thomas“
Laila Stieler für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Beste Regie
Andreas Dresen für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Andreas Kleinert für „Lieber Thomas“
Sebastian Meise für „Große Freiheit“
Beste weibliche Hauptrolle
Sara Fazilat in „Nico“
Meltem Kaptan in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Saskia Rosendahl in „Niemand ist bei den Kälbern“
Ursula Strauss in „Le Prince“
Beste männliche Hauptrolle
Farba Dieng in „Toubab“
Franz Rogowski in „Große Freiheit“
Albrecht Schuch in „Lieber Thomas“
Beste weibliche Nebenrolle
Jella Haase in „Lieber Thomas“
Sandra Hüller in „Das schwarze Quadrat“
Anja Schneider in „Lieber Thomas“
Beste männliche Nebenrolle
Godehard Giese in „Niemand ist bei den Kälbern“
Henry Hübchen in „Leander Haußmanns Stasikomödie“
Alexander Scheer in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Jörg Schüttauf in „Lieber Thomas“
Beste Kamera / Bildgestaltung
Johann Feindt für „Lieber Thomas“
Crystel Fournier für „Große Freiheit“
Claire Mathon für „Spencer“
Bester Schnitt
Bettina Böhler für „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“
Joana Scrinzi in „Große Freiheit“
Gisela Zick in „Lieber Thomas“
Bestes Szenenbild
Myrna Drews für „Lieber Thomas“
Lothar Holler für „Leander Haußmanns Stasikomödie“
Susanne Hopf für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Bestes Kostümbild
Tanja Hausner für „Große Freiheit“
Janina Brinkmann für „Leander Haußmanns Stasikomödie“
Anne-Gret Oehme für „Lieber Thomas“
Birgitt Kilian für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Bestes Maskenbild
Heiko Schmidt in „Große Freiheit“
Uta Spikermann, Grit Kosse in „Lieber Thomas“
Grit Kosse, Uta Spikermann in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Beste Filmmusik
Ali N. Askin für „Peterchens Mondfahrt“
Annette Focks für „Wunderschön“
Johannes Repka, Cenk Erdogan für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Beste Tongestaltung
Michael Schlömer, Paul Rischer, Martin Steyer für „Axiom“
Bertin Molz, Thorsten Bolzé, Mario Hubert, Marco Hanelt, Benedikt Uebe für „Fly“
Andreas Hildebrandt, Filipp Forberg, Matthias Lempert für „In den Uffizien“
Jonathan Schorr, Dominik Leube, Gregor Bonse, John Gürtler für „Niemand ist bei den Kälbern“
Beste visuelle Effekte
Denis Behnke für „Leander Haußmanns Stasikomödie“
Thomas Loeder für „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“
Dennis Rettkowski, Markus Frank, Tomer Eshed für „Die Schule der magischen Tiere“
Ehrenpreis des Deutschen Filmpreises für herausragende Verdienste um den deutschen Film
Besucherstärkster Film
„Die Schule der magischen Tiere“ von Gregor Schnitzler
Weitere Infos auf der Website des Deutschen Filmpreises.