Der US-Schauspieler Philip Baker Hall war ein Spezialist für Autoritätsfiguren, die oft brüsk, bestimmt und humorlos auftraten, aber auch Sympathie zeigen konnten. Erst im Alter von 53 Jahren gelang ihm der Kinodurchbruch als Richard Nixon in „Secret Honor“ von Robert Altman. Ab den 1990er-Jahren war er ein hochgeschätzter Neben- und Episodendarsteller, dem sich vor allem in den Filmen von Paul Thomas Anderson dankbare Gelegenheiten für Charakterstudien boten.
Was er sagte, galt. Lang und umständlich um den heißen Brei herumzureden oder ein Gespräch womöglich zuerst mit unverbindlichem Small Talk zu beginnen, statt sofort zur Sache zu kommen und Anweisungen zu erteilen, gegen die kein Widerspruch mehr möglich war – das wäre definitiv nichts für die Figuren gewesen, die der US-Schauspieler Philip Baker Hall auf der Leinwand und im Fernsehen verkörperte. Fast alle seine Charaktere verfügten über eine Autorität, die sich zwar aus ihren Funktionen als Anwalt, Richter, Firmenvorstand, Polizeichef, General, Minister oder Präsident ergab, aber mehr noch im bruchlosen Auftritt von Baker Hall begründet lag.
Vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren spielte
Philip Baker Hall zahllose solcher Rollen, die im Kino oftmals kurz ausfielen
und teilweise sogar nur eine Szene umfassten, ohne dass der Schauspieler je
Schwierigkeiten gehabt hätte, in Erinnerung zu bleiben. Mit tiefer Stimme,
zerknautschtem und zerfurchtem Gesicht, dicken Tränensäcken, dichten
Augenbrauen und vollem silbernen Haar, sehr oft in Anzüge oder Uniformen
gekleidet, die er mit hängenden Schultern ausfüllte, prägte er sich in
kürzester Zeit ein, und das selbst dann, wenn er sich als Teil eines großen
Ensembles beweisen musste, wie als Rechtsbeistand in „Der talentierte Mr. Ripley“, als Produzent in „The Insider“ oder als Mitglied
der grausamen Dorfgemeinschaft in „Dogville“.
Mit trauriger Folgerichtigkeit
Wenn er in einem Film wie „Die Truman Show“ als einer der Vertreter des Fernsehsenders im Produktionsstudio auftaucht, ist unmittelbar klar, dass es ein „Weiter so“ für die „Reality-Soap“ angesichts der aufmüpfigen Hauptfigur nicht mehr geben wird. Und auch die künstlerischen Prätentionen, mit denen Porno-Regisseur Jack Horner (Burt Reynolds) in Paul Thomas Andersons „Boogie Nights“ liebäugelt, prallen an Halls Geldgeber-Figur komplett ab – seiner Rechnung nach ist alles, was vom erfolgreichen Weg abweicht, pure Zeit- und Geldverschwendung.
Anderson besetzte Hall damals in dieser kleinen Rolle, nachdem er ihm zuvor in seinem Regiedebüt „Last Exit Reno“ den Hauptpart auf den Leib geschrieben hatte. Als alternder Berufsspieler Sydney, der sich eines naiven Protegés (John C. Reilly) annimmt, nutzte Hall die seltene Gelegenheit, um eine düstere Charakterstudie eines vom Leben Gezeichneten zu entwerfen, der seine Tricks beherrscht, daraus aber nie eine dauerhafte Zufriedenheit gezogen hat. Es ist offenbar weniger Spielsucht als Resignation, die ihn noch immer an die Spieltische treibt. Der Versuch, eine späte Vaterrolle zu übernehmen, scheitert mit trauriger Folgerichtigkeit.
Ähnlich ist es in „Magnolia“, Halls dritter Zusammenarbeit mit Anderson, wo er den Quizmoderator Jimmy Gator spielt, den Altersschwäche, Demenzausfälle und eine Vergangenheit einholen, in der er seine Tochter missbrauchte, und die seine jahrzehntelange Karriere innerhalb weniger Stunden ruinieren. Gators verzweifelter Versuch, einen offensichtlichen Aussetzer vor laufender Kamera zu überspielen, gehört zu den wenigen Kinomomenten, in denen Philip Baker Hall Hilflosigkeit zeigte – und damit den abstoßenden Seiten dieser Figur eine frappierend Mitgefühl abtrotzende Verletzlichkeit hinzufügte.
Ein Spätstarter in allen Bereichen
Ein wenig kann man darin auch die Spuren der ersten
und lange Zeit einzigen Hauptrolle sehen, die Philip Baker Hall im Kino hatte spielen
dürfen: niemand geringeren als Richard Nixon in Robert Altmans „Secret Honor“, in dem der Präsident nach der Enttarnung seiner Verfehlungen
und seinem Rücktritt einen Rechtfertigungsmonolog sich selbst gegenüber hält.
Damals, im Jahr 1984, war Hall bereits 53 Jahre alt und ein Spätstarter in
allen Bereichen seines Berufs.
Der aus Ohio stammende Arbeitersohn und frühere High-School-Lehrer hatte erst als Dreißigjähriger zum Schauspiel gefunden und nacheinander mühevoll im Theater, Fernsehen und im Kino Fuß gefasst, ohne sich einen Namen machen zu können. Altman jedoch vertraute Hall, der das Ein-Mann-Theaterstück schon auf der Bühne gespielt hatte, und gab ihm die Gelegenheit zu einem vielschichtigen Psychogramm, das Arroganz und Jämmerlichkeit, aber auch die bedauernswerten Züge Nixons präsentieren konnte.
Zumindest bei der Kritik fand Hall damit Bewunderer;
in Hollywood reichte es immerhin für eine ständigere Beschäftigung, die in den
1990er-Jahren dann doch noch Fahrt aufnahm. Populär wurde er nicht zuletzt als
vollendeter „Straight Man“, an dem sich aufgekratzte Komiker vortrefflich reiben
konnten: etwa als in seiner Aufgabe völlig aufgehender Detektiv, der säumige
Büchereinutzer verfolgt, erwarb er sich in einer Folge der Sitcom „Seinfeld“
Kultstatus. In den „Rush Hour“-Filmen war er Chris Tuckers
strenger, aber durchaus wohlmeinender Vorgesetzter, in „Bruce Allmächtig“
und „Mr. Poppers Pinguine“ nahm er es mit Jim Carrey auf. Seinen
finalen Leinwand-Auftritt hatte er 2017 im passenderweise betitelten Film „Zu guter Letzt“ neben Shirley MacLaine.
Am 12. Juni 2022 starb Philip Baker Hall 90-jährig in Los Angeles.