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Kinomuseum-Blog (4): Asghar Farhadi - ein Held?

In einem seltenen Schritt in seiner Karriere stellt sich Asghar Farhadi vorsichtig gegen die iranische Regierung

Veröffentlicht am
06. Oktober 2022
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In einem seltenen Schritt in seiner Karriere stellt sich Asghar Farhadi vorsichtig gegen die iranische Regierung. In einem Statement ruft der Filmemacher dazu auf, mit Videos, Texten und auf andere Weise dem Widerstand der Frauen gegen das iranische Regime beizustehen.


Als Mitte Juli bekannt wurde, dass der iranische Filmemacher Jafar Panahi verhaftet wurde, nachdem er sich wegen der vorausgegangenen Festnahme seines Kollegen Mohammad Rasoulof erkundigt hatte, blieb Asghar Farhadi stumm. Wie schon bei anderen Fällen von politischer Verfolgung ließ der zweifache „Oscar“-Preisträger Anfragen bezüglich einer Stellungnahme unbeantwortet.

Anders als seine mehrfache Darstellerin Taraneh Alidoosti hatte er nicht zu den 170 UnterzeichnerInnen jenes offenen Briefes von Filmschaffenden vom 29. Mai 2022 gehört, der die neuerliche Verhaftungswelle ausgelöst hatte. Die Künstler solidarisierten sich darin mit Protesten, die der Einsturz eines Gebäudes in der Stadt Abadan ausgelöst hatte, und forderten die Sicherheitskräfte auf, „ihre Waffen niederzulegen“ und sich auf die Seite des Volkes zu stellen – gegen eine von „Korruption, Diebstahl, Ineffizienz und Rückschrittlichkeit“ gekennzeichnete Regierung.

Taraneh Alidoosti in "Leila's Brothers" von Saeed Roustaee (Amirhossein Shojaei)
Taraneh Alidoosti in "Leila's Brothers" von Saeed Roustaee (© Amirhossein Shojaei)

Umso mehr überraschte am Wochenende aber nun eine öffentliche Erklärung, in der sich Farhadi, der derzeit der Jury des Züricher Filmfestivals vorsitzt, mit der gegenwärtigen breiten Protestwelle in seiner Heimat solidarisiert.


Ein unerwartetes Statement

„Sie haben sicherlich die jüngsten Nachrichten aus dem Iran gehört und Bilder progressiver und mutiger Frauen gesehen, die neben Männern für ihre Menschenrechte protestieren“, beginnt das sowohl über die sozialen Netzwerke Telegram und Instagram in Text und als gesprochenes Video verbreitete Statement. „Sie beanspruchen einfache und grundlegende Rechte, die ihnen der Staat seit Jahren verweigert. Diese Gesellschaft und besonders diese Frauen sind einen harten und schmerzvollen Weg gegangen, und jetzt stehen sie an einem Meilenstein. Ich habe sie in diesen Nächten aus der Nähe gesehen. Viele von ihnen sind sehr jung, siebzehn, zwanzig Jahre alt. Ich sah Wut und Hoffnung in ihren Gesichtern und wie sie da in den Straßen marschierten […]. Ich lade alle Künstler, Filmemacher, Intellektuelle, Bürgerrechtler aus der ganzen Welt und allen Ländern und alle, die an die Menschenwürde und Freiheit glauben, ein, diesen mächtigen und mutigen Frauen und Männern aus dem Iran in Solidarität beizustehen – durch Videos, Texte oder auf andere Weise. Dies ist eine menschliche Verantwortung, und es kann die Hoffnung der Menschen im Iran weiter stärken in ihrem schönen und gewaltigen Ziel, einem Land, wo – daran habe ich keinen Zweifel – die bedeutendsten Wandlungen von Frauen ausgehen werden.“

Tatsächlich hatte Asghar Farhadi zu den ersten gehört, die darauf hingewiesen hatten, was Mahsa Amini angetan worden war. Auf Instagram hatte er ein Krankenhaus-Foto der von der Sittenpolizei wegen eines angeblich unkorrekt getragenen Hijabs verhafteten jungen Frau geteilt und mit einer hochemotionalen Widmung versehen: „Du liegst auf einem Krankenbett, aber bist wacher als wir alle in unserem Koma. Wir haben uns in Schlaf versetzt gegen diese unendliche Grausamkeit. Wir sind Partner in diesem Verbrechen.“

Farhadis bewegender Eintrag in Farsi hat inzwischen über 235.000 Likes gesammelt. Das gibt einen Eindruck von Farhadis Popularität, auch wenn die Exil-iranische Filmkritikerin Shiva Rahbaran, Autorin des Buches „Iranian Cinema Uncensored“, gegenüber dem Branchenmagazin „The Hollywood Reporter“ anlässlich der vorausgegangenen Verhaftungswelle einschränkend urteilte: „Das Regime war immer ein Feind des Films, der Kunst und der Frauen, denn sie alle sind Zeichen von Modernität. Die Filmemacher sind bei jungen Leuten extrem populär, und je mehr sie von der Regierung unterdrückt werden, desto populärer werden sie. Ein Filmemacher wie Asghar Farhadi, der seine Plattform nie genutzt hat, um das brutale Regime zu kritisieren, ist sehr unpopulär im Iran, er hat nicht das gleiche Ansehen bei den Leuten.“

Indem Farhadi in der Vergangenheit Regierungskritik vermied, sicherte er sich auch die Möglichkeit, für die „Oscar“-Nominierungen vorgeschlagen zu werden. Dafür ist allein die im Staatsbesitz befindliche Farabi Cinema Foundation zuständig; Panahi oder Rasoulof kämen dafür nie in Frage. Farhadi ist es in seiner Karriere immer wieder gelungen, in seinen Filmen von hochkomplexen ethischen Dilemmata in meist überraschenden Wendungen zu erzählen und dabei kaum einen Schatten auf die restriktive Gesellschaft fallen zu lassen, in der sie spielen.


Plagiatsstreit um „A Hero“

Ausgerechnet sein jüngster Film über unverdientes Heldentum, „A Hero“, brachte ihn dann selbst in einen Konflikt, wie man sie sonst in seinen Filmen vermuten würde. Eine ehemalige Studentin, Azadeh Masihzadeh, reichte eine Plagiatsklage ein, weil sie die gleiche Geschichte lange zuvor in ihrem Dokumentarfilm „All Winners, All Losers“ behandelt habe. Farhadi konterte mit einer Verleumdungsklage, die Masihzadeh nun im Fall einer Niederlage mit einer zweijährigen Haftstrafe oder Peitschenhieben bedroht (eine Entscheidung steht noch aus). Wie er einem Journalisten 2022 in Cannes während einer Pressekonferenz erklärte, habe er ihren Film zwar tatsächlich bei einem Workshop gesehen, doch habe das Leben die Geschichte geschrieben. „Man kann eine Geschichte oder einen Film aus dem gleichen Ereignis machen, ohne einander zu plagiieren.“

Um "A Hero" gibt es einen Plagiatsstreit vor iranischen Gerichten (Neue Visionen)
Um "A Hero" gibt es einen Plagiatsstreit vor iranischen Gerichten (© Neue Visionen)

Sollte Asghar Farhadi also nun anlässlich des Kampfs iranischer Frauen um Gleichberechtigung sein politisches Gewissen entdeckt haben und seine während seiner ganzen Karriere aufrechterhaltene Zurückhaltung gegenüber regierungskritischen Fragen aufgeben? 2017 unterstützte er Hassan Rohani im Wahlkampf, den man oft als vergleichsweise gemäßigten Politiker beschreibt. Tatsächlich schrieb Amnesty International zur gleichen Zeit: „Die Hoffnung, dass sich die Menschenrechtssituation im Iran mit der Wahl von Präsident Rohani 2013 verbessern würde, hat sich nicht erfüllt. Der neue Amnesty-Bericht ‚Caught in a web of repression: Iran’s human rights defenders under attack‘ dokumentiert, wie sich die Repressionen gegen Menschenrechtsverteidiger seitdem sogar verschärft haben.“

Seit 2021 hat sich die Situation unter Präsident Ebrahim Raisi allerdings dramatisch verschlimmert. Dennoch gibt das Statement von Asghar Farhadi Grund zur Hoffnung, wenn auch vielleicht in einem etwas anderen Sinne, als es sich aus dem Text des Filmemachers liest. Denn wenn ein Asghar Farhadi es riskiert, seine diplomatische Zurückhaltung gegenüber der Macht der Sittenwächter aufzugeben, dann hat die gegenwärtige Bürgerrechtsbewegung vielleicht wirklich eine Chance.


Hinweis

Die Beiträge des Kracauer-Blogs „Kinomuseum“ von Daniel Kothenschulte und viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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