© Daniel Kothenschulte (Bild vom Scala-Theater in Köln-Porz)

Kinomuseum-Blog (5): Die letzte Vorstellung

Der Umgang der deutschen Politik mit Filmkultur lässt für die drohende Kinokrise durch die hohen Energiepreise nicht unbedingt Gutes erahnen

Veröffentlicht am
09. Oktober 2022
Diskussion

Kinobesuche als Kind zählen oft zu den prägenden frühen Erfahrungen, wie auch die traurige Erinnerung an Lichtspieltheater, die irgendwann für immer schließen mussten. Nach der Corona-Krise erwartet viele Kinobetreiber durch die steigenden Energiepreise nun eine womöglich noch größere Herausforderung in den besucherstarken Herbstmonaten. Dadurch sind wieder zahlreiche Kinos bedroht, was in der Politik aber bislang noch nicht mit der gebotenen Dringlichkeit behandelt wird, wie das Beispiel Köln zeigt.


Wer als Kind in den 1970er-Jahren seine Liebe zum Kino entdeckte, lernte auch gleich mit dem Verlust zu leben. Der Abbruch des in Würde vergammelten Vorortkinos, das mir mit drei Jahren den ersten Film gezeigt hatte – natürlich „Das Dschungelbuch“ – besiegelte auch das Ende meiner Kindheit. Ich sah mich vor Trauer außerstande, mich in die Reihen der Schaulustigen einzureihen oder sogar die Super-8-Kamera mitzunehmen, um seine letzten Augenblicke festzuhalten. Die Lokalzeitung berichtete am nächsten Tag, dass es Applaus gegeben habe, als der Bagger die bunten Filmplakate freilegte, mit denen der Vorführraum tapeziert war.

Das Timing war vielleicht nicht das schlechteste: Das Scala-Theater verschwand aus Köln-Porz genau zu dem Zeitpunkt, als ich dem verschlafenen Kölner Vorort gern selbst den Rücken gekehrt hätte, es war wirklich wie in Peter Bogdanovichs Film „Die letzte Vorstellung“. Aber ich ging ja leider noch zur Schule. Die „last picture show“ im Scala verlief glanzlos. Es lief „Gib Gas, ich will Spaß“ von Wolfgang Büld, eigentlich ein durchaus ehrbarer Abschiedsfilm. Aber anstatt den Gästen ein Getränk zu spendieren, erlaubte man lediglich den kostenlosen Balkon-Besuch. Dorthin hatte man sich allerdings immer schleichen können, wenn die gewichtige Kartenabreißerin mit dem Damenbart mal in die andere Richtung schaute. Auf dem Balkon saß ich gern am linken Rand. Von da konnte man in den Vorführraum hineinsehen und die bunte Plakat-Tapete bewundern.

Bis zum Tag des Abbruchs hing das handgeschriebene Plakat, auf dem das Ende des Geschäftsbetriebs verkündet wurde, in jenem Schaukasten, der mich meine ganze Kindheit über mit den herrlichsten Verlockungen angezogen hatte. Irgendwann rutschte es von der Pinwand, lag verkehrt herum und man konnte auf der anderen Seite Marlene Dietrich und James Stewart im Film „Der große Bluff“ bewundern. Die Kinobetreiber hatten offensichtlich ihre handgeschriebenen Mitteilungen stets auf alte Filmplakate geschrieben, die für sie nichts anderes bedeuteten als Schreibpapier. Gern hätte ich es gerettet, doch wen hätte man noch fragen können?

„Die letzte Vorstellung“ (© imago images/Everett Collection)
„Die letzte Vorstellung“ (© imago images/Everett Collection)


Eine seltene cinephile Oase auf der rechten Rheinseite

Seit 1985 gab es auf Kölns rechter Rheinseite dann gar kein Stadtteil-Kino mehr, aber es geschehen auch ab und zu Wunder. Seit 2017 spielen die „Lichtspiele Kalk“ im Gebäude des ehemaligen Union-Theaters von 1948. Schon Anfang der 1970er-Jahre war es eingegangen, aber die Bausubstanz blieb – komplett mit Balkon – erhalten. Die Besitzer entschlossen sich, dort wieder ein Kino zu betreiben, und es entstand eine seltene cinephile Oase. Jennifer Schlieper und Felix Seifert, die es betreiben, kombinieren Neustarts mit kuratierten Raritäten, Digitalfilm mit analogen Raritäten. Frei von musealer Attitüde ist es noch immer ein Stadtteil-Kino mit Stammklientel, wenn auch besonders in den Sonderprogrammen attraktiv für die ganze Stadt.

Gegründet zu einer Zeit, als digitale Streamingdienste noch nicht zur Konkurrenz der Kinos aufgestiegen waren, aber Internetangebote bereits die meisten Videotheken verdrängt hatten, weist es heute erst recht in die Zukunft: So stelle ich mir eine ideale Überlebensform des Kinos vor. Sicher, man kann sich auch zu Hause in befriedigender Qualität digitale Filme auf die Wand werfen. Aber man kann auch zu Hause kochen und geht trotzdem noch gerne essen. Aber werden diese kleinen, von Liebhaber:innen geführten Häuser diese Krise überleben? Wichtiger denn je ist ein Umdenken in der Filmförderung: Die größten Verlierer der gegenwärtigen Krise sind nicht die Spielfilmproduzenten, sondern Verleiher und Kinobetreiber.

In den traditionell publikumsstarken Herbstmonaten könnten steigende Heizkosten zu Zwangspausen führen. Erinnerungen an die Kinokrise der 1960er-Jahre, als zwei Drittel der Filmtheater schlossen, werden wach: Das Schreckensszenario ist ein frisch mit Corona-Fördermitteln renoviertes Kino, in das ein Ein-Euro-Markt einzieht.

Filmplakat zu „Der große Bluff“ (© IMAGO / Everett Collection)
Filmplakat zu „Der große Bluff“ (© IMAGO / Everett Collection)


Kein dauerhaftes Rettungskonzept

Völlig unsicher ist die Situation jener Kinomacher, die für die innovativsten Programme sorgen: Die kleinen Festivals und freien Gruppen ohne eigene Spielstätten. In Köln veröffentlichte der lokale Zusammenschluss dieser unverzichtbaren Kulturschaffenden „Kinoaktiv“ bereits am 22. September einen offenen Brief an die Oberbürgermeisterin, der bislang über 2200 Unterschriften trägt. Ihre Forderung nach einer „kurzfristigen Lösung für die bedrohten Akteur:innen“, ein „langfristig schlüssiges und tragfähiges Förderkonzept“ und „angepasste Förderetats“ wurde bislang nicht öffentlich beantwortet. Intern immerhin gibt es Kommunikation. Mittel, die in Art einer Kurtaxe von Hotelbetreibern abgeführt werden, sollen wohl als Notnagel angezapft werden. Doch das sieht nicht nach einem dauerhaften Rettungskonzept aus.

„Im Jahr 2019 war der Stadt Köln die Filmkunst und -kultur 54 Cent pro Einwohner*in wert, sie machte nur 0,2 Prozent des Kulturetats aus“, heißt es im offenen Brief. „Diese Zahlen zeigen, dass schon vor der Pandemie, vor Inflation und Energiekrise die Etats sehr klein waren. Die Lage hat sich seitdem deutlich verschärft. Festivals kommen mit ihren ursprünglichen Budgets nicht mehr aus. Das erst im letzten Jahr neu eröffnete Filmhaus Köln blickt unter diesen Vorzeichen schon wieder in eine schwierige Zukunft. […].Im Haushaltsentwurf der Stadt für 2023/24 ist bisher kein Budget vorgesehen, um diese Lücke zu schließen.“

Köln, das sich nie ein kommunales Kino leistete und immer auf den freien Markt und eine Zuschussförderung für untereinander im Wettbewerb stehende Vereinsinitiativen setzte, mag ein Extrembeispiel sein. Aber ganz Deutschland droht ein Kinosterben, das – anders als das in meiner Kindheit – nur kaum Überlebende zurücklassen würde.


Hinweis

Die Beiträge des Kracauer-Blogs „Kinomuseum“ von Daniel Kothenschulte und viele andere Texte, die im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums in früheren Jahren entstanden sind, finden sich hier.

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