Die 73. Berlinale (16.-26.2.2023) war die erste Vollausgabe des Festivals seit drei Jahren. Während sie an den Rändern glänzte und vom Publikum begeistert angenommen wurde, fielen im Zentrum Mängel, Lücken und zu viele Kompromisse auf. Vor allem der mit soliden, aber kaum herausragenden Filmen besetzte Wettbewerb blieb hinter früheren Jahren deutlich zurück.
Ein kranker Mann wird zur Feier gebeten. Im Zentrum des mexikanischen Dramas „Tótem“ von Lila Avilés steht der noch junge Maler Tona, der an einer schweren Krebserkrankung leidet. Geschwächt und weitgehend isoliert von seiner Großfamilie, organisieren seine Angehörigen dennoch mit großem Aufwand eine Geburtstagsfeier für Tona, an der der Kranke trotz seines Zustands teilnehmen soll. Der Film, der den Preis der Ökumenischen Jury gewann, folgt in miteinander verknüpften Miniaturen den Vorbereitungen und der Durchführung des Festes, wobei insbesondere die kleine Tochter des Todkranken mit ihren Ängsten ein erzählerischer Fixpunkt bleibt. Tona gelingt es tatsächlich, ein paar intime Momente mit den Gästen zu teilen, die aber auch als Abschiedsbegegnungen fungieren; dennoch bleibt in „Tótem“ stets spürbar, was für eine Belastung es für alle ist, eine Feier durchziehen zu müssen, obwohl es nicht wirklich etwas zu feiern gibt.
Vergleichbare Sinnfragen drängten sich bei der 73. Berlinale (16.-26.2.2023) immer wieder auf. Dafür hatte das Festival bereits mit dem Tonfall der Eröffnungsfeier gesorgt. Die Frage, ob der Zustand der Welt das gemeinsame Feiern überhaupt zulasse, wurde darin mehrfach geäußert, bevor die Berlinale sich unter anderem durch den per Video zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj quasi legitimieren ließ. Das reichlich schiefe Bild des Filmfestivals als einer eineinhalbwöchigen Partymeile wurde so durch eine ebenso verkürzende Indienstnahme der Berlinale als Nebenstelle weltpolitischer Prozesse ersetzt, ohne dass von den Festival-Chefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian großer Widerspruch zu hören gewesen wäre.
Mehr als Glamour und Empfänge
Dabei war die 73. Ausgabe des Festivals erkennbar angetreten, um nach zwei extrem eingeschränkten Jahrgängen wieder die gesamte Palette der gewohnten Berlinale-Vielfalt aufzubieten. Und das umfasst eben etliches mehr als politische Statements, rote Teppiche, Empfänge und Glamour: nämlich die Vermittlung und kritische Begrüßung neuer Filme, die Gelegenheit für Filmschaffende, sich vor Publikum, Kritik und Fachbranche mit ihrer Arbeit zu präsentieren und auszutauschen, die Rezeption älterer, zum Teil frisch restaurierter Werke in der Retrospektive und anderen Sektionen, filmspezifische Vorträge, Workshops und Podien zu aktuellen Fragen, die internationale Vernetzung durch den European Film Market und vieles mehr. Eine Fülle, die man als Festivalteilnehmer zwar nicht ansatzweise abdecken kann, die aber beredtes Zeugnis für die wiederhergestellte Bandbreite der ersten Berlinale in der Nach-Corona-Zeit ist.
Da im Kino derzeit generell die Frage nach der Rückkehr des Publikums gestellt wird, können die Berlinale-Organisatoren zumindest mit dem Anspruch eines Zuschauerfestivals zufrieden sein. Namentlich Nebensektionen wie „Panorama“, „Forum“ und „Generation“ präsentierten sich 2023 auf hohem Niveau und stachen mit ihren je eigenen Formen und Ansprüchen hervor. Allerdings konkurrieren diese Reihen auch nicht wirklich mit den Hauptkonkurrenten der Berlinale, den Festivals in Cannes und Venedig; dass deren Nimbus allem Anschein nach bei den internationalen Filmemachern noch immer weit über dem von Berlin steht, fiel hingegen im Wettbewerb frappant ins Auge.
Nach drei guten bis sehr guten Wettbewerben in Folge fiel der aktuelle Jahrgang 2023 ziemlich ernüchternd aus. Waren 2022 noch François Ozon, Ulrich Seidl, Claire Denis, Rithy Panh, Isaki Lacuesta, Paolo Taviani und Hong Sang-soo als Konkurrenten um die „Bären“ versammelt und um starke Aufsteigerinnen und Aufsteiger wie Carla Simón und Mikhaël Hers ergänzt, kam der jetzige Jahrgang schon von vornherein fast ohne renommierte Namen daher. Den gedämpften Erwartungen entsprach dann auch das Resultat eines Wettbewerbs mit vielen soliden Arbeiten, aber kaum herausragenden Entdeckungen mit Potenzial für ein langes Nachleben in der Filmgeschichte. Einen unumgänglichen Kandidaten für den „Goldenen Bären“ gab es unter den 19 Konkurrenten bis zum Schluss nicht, sodass bis zur Preisgala am 25. Februar völlig offenblieb, für wen sich die Internationale Jury unter Leitung von Kristen Stewart entscheiden würde.
„Goldener Bär“ für eine gelassene Langzeitstudie
Mit der Kür des Dokumentarfilms „Sur l’Adamant“ von Nicolas Philibert trafen die Juroren letztlich eine Wahl, die niemand wehtut und sich immerhin als Würdigung der spezifischen Qualitäten des 72-jährigen französischen Regisseurs schätzen lässt. Einmal mehr entwickelt Philibert in „Sur l’Adamant“ eine gelassene Langzeitstudie, in der er den Porträtierten unaufdringlich nahekommt und mit der Kamera sensibel ein menschenfreundliches, mit leichten utopischen Akzenten versehenes Umfeld einfängt. Schauplatz ist das titelgebende Hausboot Adamant, das auf der Seine in Paris vor Anker liegt und als Tagesklinik für Menschen mit psychischen Erkrankungen genutzt wird. An diesem Ort werden besonders die kreativen Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten gefördert, was durchaus augenöffnend ist: Begabte Musiker finden sich auf dem Boot ebenso wie Singer-Songwriter, Autoren und Maler, wobei vor allem die Kunstwerke der Maler auch in Gruppensitzungen besprochen werden und teils abstrakte, teils sehr präzise Deutungen erfahren.
Ohnehin
präsentieren sich die Porträtierten in „Sur l’Adamant“ bemerkenswert
reflektiert und offen; zwar wird auch manche Wahnvorstellung ausgebreitet, etwa
die eines Mannes, der anhand von Bildabgleichen zu beweisen versucht, dass sein
Bruder und er die Wiedergänger von Vincent und Theo van Gogh seien, und der Wim
Wenders’ „Paris, Texas“ für eine (frech unautorisierte) Paraphrase dieses
Verhältnisses hält. Ein anderer Patient malt ohne Illusionen aus, dass er ohne
Medikamente in der Welt außerhalb des Bootes keine Chance hätte.
Auf Eindrücke von hilflosen „Verrückten“ verzichtet Philibert komplett und räumt in seinem sanften Inszenierungsstil sehr konsequent mit Vorurteilen auf, was das Votum der Jury beeinflusst haben dürfte. Dennoch kann sich auch die Arbeit des etablierten Dokumentaristen nicht von dem Eindruck freimachen, weniger zu bieten, als möglich gewesen wäre. Anders als in seinem Bergschulfilm „Sein und Haben“ konzentriert sich Philibert nur auf eine Ebene und spart das größere Umfeld aus, indem etwa die Patient:innen nie außerhalb der Klinik zu sehen sind und deren Betreiber, Ärzte, Psychiater und Pfleger überhaupt nicht zu Wort kommen. So erscheint das Adamant als weitgehend problemlos ablaufender Betrieb, was innerhalb des Films nur durch einige Bemerkungen am Rande aufgebrochen wird. Erst der Abspann weist mit geradezu aktivistischer Geste darauf hin, wie existenzgefährdet offene Oasen wie die Hausboot-Klinik sind.
Filme „made in France“
Dennoch: „Sur l’Adamant“ ist – auch jenseits seiner aufklärerischen Relevanz – eine nachvollziehbare Wahl für den „Goldenen Bären“. Dass doch nicht alle französischen Filmemacher sich auf Cannes kaprizieren oder als zweite Option gerade noch Venedig gelten lassen, wusste die Jury allgemein zu schätzen und ehrte auch die anderen Wettbewerbsbeiträge „made in France“. Die weitgehend erfrischende, nur mitunter etwas selbstgefällige Art, in der Philippe Garrel sich in seinem jüngsten Film „Le grand chariot“ einmal mehr modischen Trends und Anforderungen verweigert, brachte dem 74-jährigen Filmemacher den Regie-Preis ein. Seine Chronik einer unter anderem durch Todesfälle, Liebesverbandelungen und berufliche Umorientierung auseinanderfallenden Puppenspieler-Familie besitzt einen zärtlichen Blick für die trotzigen Widerstandsversuche der Protagonisten gegen das unausweichliche Ende ihrer Familientradition, ohne sich Sentimentalität zu erlauben.
Damit fiel „Le
grand chariot“ innerhalb der eher eng gefasste Erzählmuster bevorzugenden
Wettbewerbsfilme durchaus positiv aus dem Rahmen, ähnlich wie „Disco Boy“,
das Debütwerk des Italieners Giacomo Abbruzzese. Auch dieser Film
lässt sich durch den hohen französischen Anteil bei der Produktion und den
Schauplätzen zu den „made in France-Vertretern zählen, zumal er seine
Entstehung der mit Cannes verbundenen
Cinéfondation-Förderung verdankt. „Disco Boy“ führt den Migranten Alexej aus
Belarus nach Frankreich und in die Fremdenlegion, wo sein Status als
„Illegaler“ keine Rolle spielt, später dann auchg nach Nigeria, wo er
französische Staatsbürger aus den Händen von Rebellen befreien soll. Abbruzzese
entwickelt dies zu einer transformierenden Erfahrung, indem Alexej im Kampf
einen jungen Nigerianer tötet und Elemente von dessen Seele in sich aufzunehmen
scheint, die ihn auch nach der Rückkehr nach Frankreich nicht loslassen.
Drill-, Dschungel- und Clubsequenzen, aber auch surreale Augenblicke führt „Disco Boy“ dabei zu einer bestechenden Mischung zusammen, die im Berlinale-Wettbewerb für die Jury aber wohl zu abstrakt für höchste Ehren blieb. Ganz ohne Preis ging der Film allerdings nicht aus, denn die kongeniale Kameraarbeit der Französin Hélène Louvart, der insbesondere in den Nachtszenen außergewöhnliche Bilder gelingen, wurde mit dem Preis für eine außergewöhnliche künstlerische Leistung gewürdigt.
Bilder für die große Leinwand
Mit solchen Vorstößen, das Kino als Medium visueller Eindrücklichkeit zu nutzen, stand „Disco Boy“ im Wettbewerb 2023 fast allein da. Lediglich der Australier Rolf de Heer und die koreanisch-stämmige US-Amerikanerin Celine Song setzten in ähnlicher Weise auf die Kraft der Bilder, die sich nur auf einer Kinoleinwand voll entfalten. Rolf de Heer gelingt dies in „The Survival of Kindness“ in Form einer konsequenten, fast komplett auf Sprache verzichtenden Parabel über menschliche Grausamkeit und vereinzelte Güte, wofür er den Preis des Kritikerverbands FIPRESCI erhielt. Celine Song setzt in „Past Lives“ auf die gelungene Übertragung eines ungeklärten Beziehungsstatus auf die Bildebene. Das Gespür dafür, wie viel Spannung allein aus Stille oder der Positionierung von Figuren im Raum entstehen kann, macht ihr Regiedebüt zu einem der bildstarken Wettbewerbsbeiträge.
Ergänzt werden muss diese Liste noch um die beiden Animationsfilme „Art College 1994“ und „Suzume“. „Art College 1994“ ist ein Exkurs in das chinesische Studentenleben nach der Öffnung Chinas für westliche Einflüsse, gezeichnet mit etwas zu statischen Figuren vor detailschönen Hintergründen; „Suzume“ des Japaners Makoto Shinkai entwirft ein überbordendes, hochemotionales Fantasy-Spektakel. An Aufwand in der Produktion überragte „Suzume“ sichtbar alle anderen Filme im Wettbewerb, wirkte aber gerade dadurch seltsam deplatziert, und das umso mehr, als der Film bereits vor Monaten in Japan in die Kinos gekommen ist.
Wo es nicht unbedingt um aufregende visuelle Erfahrungen ging, konnte ein zweiter Komplex innerhalb des Wettbewerbs sich zumindest durch nuancierte Figuren und fein ausgearbeitete Drehbücher hervortun. Der chinesische Film „Bai Ta Zhi Guang“ (The Shadowless Tower) nimmt sich zweieinhalb Stunden für eine sorgfältige Spurensuche eines Gourmetkritikers nach den gekappten Wurzeln in seiner Familiengeschichte. „20,000 especies deabejas“ (20,000 Species of Bees) von Estibaliz Urresola Solaguren ist sehr klug darin, die Hilflosigkeit einer baskischen Familie zu zeigen, die aus dem immer klaren formulierten Wunsch eines achtjährigen Kindes erwächst, nicht das ihm zugedachte männliche Geschlecht zu akzeptieren, sondern sich als Mädchen zu definieren. Urresola Solaguren findet dabei im Umgang der weiblichen Familienmitglieder zu intensiven Szenen und vermeidet alles, was auf einfachste Lösungen hinauslaufen könnte. Insbesondere ist ihr Film auch eine Warnung vor dem existenziellen Druck, der entsteht, wenn ein Kind um jeden Preis in die Kategorie „männlich“ oder „weiblich“ gepresst wird. Zugleich erkennt „20,000 especies de abejas“ aber auch die Problematik einer genauso rigorosen Einordnung als „trans“ an – weil das eigentliche Problem, nämlich das Denken in starren Mustern, beibehalten wird.
Fünf deutsche Wettbewerbsfilme
Die komplexe Identitätssuche im Zentrum des Films brachte der jungen Hauptdarstellerin Sofía Otero dann den Darstellerpreis der Jury ein, für den sich auch das weibliche Ensemble aus „Mal viver“ (Bad Living) des Portugiesen João Canijo empfohlen hätte. Das aus klaren Einstellungen komponierte Drama ist im schonungslosen Umgang zwischen Großmutter, Mutter und Tochter aus einer Hotelbesitzer-Familie fordernd, punktet aber mit einer subtilen Auslotung verletzter Befindlichkeiten und vielen Dialogperlen (was sich im Komplementärstück „Viver mal“ in der „Encounters“-Sektion nahtlos fortsetzte, in dem drei Gäste-Gruppen im identischen Ambiente im Mittelpunkt stehen).
„Mal viver“ gewann den (kleinen) „Preis der Jury“, während der „Große Preis der Jury“ an Christian Petzolds „Roter Himmel“ ging. Auch Petzolds Film ist eine souveräne Arbeit, die alle seine Stärken aufruft und innerhalb seines Oeuvres zudem eine Weiterentwicklung zu einem lockeren, komödiantisch aufgebrochenen Szenario darstellt. Insofern geht die Auszeichnung für seine sommerliche Tragikomödie in Ordnung, auch wenn er die Berlinale in der Vergangenheit schon mit ausgefeilteren Werken beehrt hat.
Unter den fünf deutschen Beiträgen zum Wettbewerb war „Roter Himmel“ allerdings der mit Abstand gelungenste. Während man „Irgendwann werden wir uns alleserzählen“ von Emily Atef als glatte Enttäuschung verbuchen muss und Margarethe von Trottas „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ einer allzu simplen Fabel einer patriarchal bestimmten Künstlerbeziehung mit einem wehrlosen weiblichen Opfer nur durch die Lebendigkeit der Darsteller Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld entgeht, fehlt es Christoph Hochhäuslers Noir-Anleihen bei „Bis ans Ende der Nacht“ an Spannung und Tempo. Gerettet wird „Bis ans Ende der Nacht“ von drei gut gespielten und vielschichtigen Hauptfiguren – einem Polizisten, einem Nachtclubbesitzer mit Website zum Drogenumschlag und einer jungen Transfrau, die als Lockvogel dient, wobei sich widersprüchliche Gefühle zwischen ihr und dem Ermittler entwickeln. Die Österreicherin Thea Ehre gewann dafür den Preis für die beste Nebenrolle.
Bleibt aus deutscher Sicht noch Angela Schanelec, die mit „Music“ im Wettbewerb vertreten war. Von Beginn an ist ihr Film, der den Ödipus-Mythos in die heutige Zeit verlagert, vom Bedürfnis getragen, ihre elliptische Filmkunst zu schärfen; allerdings bietet der Film lediglich einen „Ödipus unterkomplex“, dessen Bilder oft eher zum Abschweifen in eigene, tendenziell tieferschürfende Gedankenwelten einladen. „Music“ ist für Bewunderer von Schanelecs Arbeiten zwar leidlich interessant (und brachte ihr den Drehbuch-Preis ein), doch bleibt es eher eine Fußnote, zumal im Vergleich mit einer durchdachteren und radikaleren Selbstreflexion, wie sie Hong Sang-soo in der „Encounters“-Sektion mit „in water“ vorstellte. Wo Schanelec Dialoge auf ein Minimum reduziert und Bilder beschneidet, beides aber nicht durchzuhalten versteht, ist Hongs Film fast durchweg unscharf, womit er den verschwommenen Gedankenzustand bei einem gerade erst im Entstehen begriffenen Werk anschaulich macht.
Kaum Angriffe auf die Sehgewohnheiten
Es waren solche
Angriffe auf Sehgewohnheiten, die man im Berlinale-Programm 2023 vermisste.
Aufrüttelnde Elemente blieben fast ganz dem Polit-Anteil des Festivals um die Ukraine-Doku
„Superpower“ von Sean Penn überlassen. Einen Film mit
„Skandalpotenzial“ suchte man in den Hauptsektionen vergebens; in dieser
Hinsicht empfahl sich am ehesten noch der norwegische Kinderfilm „Sowas von Super!“ in „Generation Kplus“ mit einer Kontroverse um die
Repräsentation einer Löwen-Figur, die den Vorwurf rassistischer Stereotype wachrief.
Bei der Berlinale 2023 fanden sich zwar durchaus Filme mit einer unbedingten Hingabe ans Kino, vereint mit unvergesslichen Eindrücken und komplexen Geschichten, allerdings am markantesten in Werken wie „Suzume“, „Die Fabelmans“ und „Tár“, die in Berlin lediglich ihre Deutschland-Premiere kurz vor dem Kinostart erlebten. Auch die „Coming-of-Age“-Retrospektive bestach mit vielen Fundstücken wie „Gražuole“ von Arunas Žebriunas, „Rue Cases-Negrès“ von Euzhan Palcy und „Touki Bouki“ von Djibril Diop Mambéty, während die Absicht, durch die Einbindung von Filmpersönlichkeiten bei der Retro-Auswahl die internationale Vernetzung der Berlinale herauszustellen, wunderbar aufging.
Doch dass die denkwürdigsten Filme dieser Festivalausgabe keine exklusiven Berlinale-Premieren waren, wirft kein gutes Licht auf das Festival. Der Aufbruch, der die Berlinale mit dem Wechsel an der Spitze 2020 mitzureißen schien, ist in diesem Jahr einem ungeklärten Status gewichen. Was zwar noch keine Aussage für die kommenden Jahren darstellt, inmitten einer um die Zukunft des Kinos besorgten Zeit aber nicht gerade ein ermutigendes Signal aussendet.