© Deutsche Kinemathek – G. W. Pabst Archiv (Filmstill aus „Tagebuch einer Verlorenen“)

Die im Schatten sieht man nicht

Die Ausstellung „Weimar weiblich“ im Deutschen Filmmuseum Frankfurt - Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918-1933) lässt die 1920er-Jahre neu entdecken

Veröffentlicht am
06. April 2023
Diskussion

Im Frankfurter Filmmuseum widmet sich die sehenswerte Ausstellung „Weimar weiblich“ (29.3.-12.11.2023) der Rolle von Frauen im Weimarer Kino zwischen 1918 und 1933. Die kundig konzipierte und mit vielen Entdeckungen aufwartende Ausstellung bezeugt die bedeutenden Beiträge weiblicher Filmschaffender im Kino der 1920er-Jahre quer durch alle Funktionen. Auch das gewandelte, moderne Frauenbild der damaligen Zeit wird in Filmausschnitten und anderen originalen Zeugnissen neu beleuchtet.


Das Kino der Weimarer Republik gilt international als eine der künstlerisch-kreativsten Epochen der deutschen Kinematografie. Der expressionistische Stummfilm und der Sozialrealismus der Neuen Sachlichkeit etablierten eine Ausstrahlung und Anziehungskraft weit über das einheimische Wirtschafts- und Kulturschaffen hinaus. Hollywood und prägende europäische Zentren der Filmproduktion sicherten sich die Dienste von gut ausgebildeten Medienschaffenden der vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Nation.

Die aktuell im Deutschen Filmmuseum Frankfurt eröffnete Ausstellung „Weimar weiblich“ basiert auf einer 2018 von der Berliner Kinemathek für die Bundeskunsthalle in Bonn konzipierten Exposition. Am Schaumainkai legen die Kuratorinnen Daria Berten und Kristina Jaspers nun den Schwerpunkt auf das Thema der Geschlechterdiversität und die Rolle von Frauen im Kino der Weimarer Republik. Eine Zeit, in der Selbstbestimmung und Homosexualität mit Macht den Blick auf den Typus „Neue Frau“ lenkten.


     Das könnte Sie auch interessieren:


Voraussetzung dafür waren die Einführung des Frauenwahlrechts, der angezählte Patriarchalismus, die Landflucht, die Scharen von Kriegsversehrten, vor allem aber der Arbeiterbedarf der rasant fortschreitenden Industrialisierung und der gesellschaftspolitische Aufbruch. Die durchlässige Struktur der boomenden deutschen Filmindustrie beeinflusste trotz der brutalen Alltagsrealität in der Inflations- und Wirtschaftskrise die geschlechtsspezifische Entwicklung bis zum Börsencrash von 1929 intensiver als bislang dokumentiert.

Filmstill aus „Die Büchse der Pandora“ (© Nero-Film AG/DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum / Bildarchiv)
„Die Büchse der Pandora“ (© Nero-Film AG/DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum)

Inspirierend und aufwühlend

Die Konzentration der mit seltenen, auch regionalen Fundstücken prall gefüllten Ausstellung auf allzu oft übersehene Mitarbeiterinnen und innovative Inhalte ist inspirierend und aufwühlend zugleich. Denn aus der Unheimlichkeit des weiblichen Blicks auf das machohafte Wertesystem im gesamten Kulturbereich resultierte eine aufreizende Schaulust auf neu zu definierende Geschlechterrollen, im privaten wie sozialen Umfeld. Körperliche Selbstbestimmung und die Veränderungen im Verständnis der Sexualität spiegelte sich in modisch-eleganter Kleidung, in kurzen (Bubikopf-)Frisuren, in sportlicher Betätigung, Gymnastik und Fitnessarbeit. Emanzipation führte so auch zu „Selbstoptimierung“ auf vielen Ebenen!

Zu kurz kommt in diesem Kontext allerdings die Reflexion der bürgerlichen Provenienz der vorgestellten Kino-Frauen. Sie imitieren und transferieren unfreiwillig den Mythos der Traumfabrik. Die mit Fotografien, Szenenentwürfen, Filmplakaten und Aquarellbildern dokumentierten Parallelwelten bieten Anregungen für eine weitere Spurensuche und wissenschaftliche Forschung. Es bedarf einer Neuausrichtung der traditionellen Filmgeschichtsschreibung, auch wenn von den Produktionen jener Zeit lediglich 20 Prozent erhalten sind. Die wenigen überlieferten, verdienstvollerweise digitalisierten „Kunstwerke“ müssen mit den billigst heruntergekurbelten „Sensationsfilmen“, der massenhaften Gebrauchsware, inhaltlich wie ästhetisch verglichen werden.

Ende der 1920er-Jahre bediente das Massenmedium Film in mehr als 5000 Lichtspielhäusern in Deutschland das Unterhaltungsbedürfnis und die Seh- wie Sehnsüchte eines millionenfachen Publikums. Der Tanz auf dem Vulkan im Zeichen eines omnipräsenten Strukturwandels ermöglichte gebildeten, selbstbewussten Frauen, am Inhalt und an der Umsetzung neu erzählter Geschichten mitzuwirken. Oft noch in zweiter Reihe, im Schatten ihrer Männer und Vorgesetzten, unter Pseudonym. Aber die realistische Wahl zwischen Objekt und Subjekt explodierte förmlich. Als Werbeträgerinnen und Ideenlieferantinnen einer extrem arbeitsteiligen (Film-)Industrie übernahmen Frauen auch Verhaltensweisen ihrer männlichen Kollegen und Vorbilder, reklamierten diese für sich, um eigene Themen, Positionen und Aufstiegschancen zu realisieren. Bezeichnenderweise lautet der Titel einer 1918 entstandenen Komödie von Ernst Lubitsch „Ich möchte kein Mann sein“.

Edith Posca in „Das Achtgroschenmädel. Jagd auf Schurken. 2. Teil“ (1921) (© Deutsche Kinemathek - Fotoarchiv)
„Das Achtgroschenmädel. Jagd auf Schurken. 2. Teil“ (1921) (© Deutsche Kinemathek)

Debatte um Geschlechtervielfalt

Als Beispiel für Gemeinsamkeiten und Unterschiede innerhalb der Debatte um Geschlechtervielfalt dient die Präsentation des Films „Anders als die Andern“ (1919), der für männliche Homosexualität und gegen den Paragrafen 175 Stellung bezieht. Und Leontine Sagans legendärer Film „Mädchen in Uniform (1931), in dem die Lehrerin Fräulein von Bernburg zum erotischen Mädchenschwarm in einer strengen Erziehungsanstalt wird. Kontrastierend dazu gibt es in der Ausstellung aus Privatbesitz ein Büchlein mit dem verführerischen Titel „Führer durch das ‚Lasterhafte Berlin‘“ und ein Exemplar der ein lesbisches Publikum ansprechenden Wochenzeitschrift „Die Freundin“, seinerzeit für 1,40 Mark in geschlossenem Brief zu beziehen.

Anschaulich werden Gegenwart und Zukunft weiblicher Selbstverwirklichung in den berühmten Fotos von August Sander zu Bergmannskindern, einer Bettlerin oder Asta Nielsen. Ebenso treffsicher: Aushangfotos zur Modenschau in Richard Eichbergs „Der Fürst von Pappenheim (1927) oder die Damen aus den Ewigen Gärten in Fritz Langs Monumentalwerk „Metropolis“. Knallhart auf den Punkt bringt es die Aquarell-Tusche-Zeichnung „Domina Mea“ (1927) von Rudolf Schlichter mit einer Frau in Grün und hohen Stiefeln. Abfällig-erniedrigend blickt sie auf eine tief gekauerte Männerfigur hinab.

Geradezu versöhnlich umschmeicheln den Betrachter aber auch zauberhafte Kostüme und Freizeitkleider: ein cremefarbener Abendmantel von Jenny Jugo, Marlene Dietrichs roter Badeanzug in Wolle und Seidenfutter von 1930, Spitzenunterwäsche oder ihre blaue Strandhose.


Große und kleine Träume

Die Einladung zur weiblichen Selbstinszenierung funktionierte subtil im etablierten Fan- und Starsystem. „Home Storys“ von Henny Porten oder Asta Nielsen etwa generierten eine Typisierung des Zielpublikums! Durch Aufnahmen aus selbstauslösenden Photomaton-Apparaten, emotionale Tagebucheinträge oder Fotoalben erfährt man von großen und kleinen Träumen unbekannter Kinoliebhaber. Propagandistisch-kämpferische Filme wie „Kampf der Geschlechter“ (1926), „Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) oder Kuhle Wampe“ (1932) fokussierten auf den virulenten Aspekt des Klassenkampfes. Eine ambivalente Sicht auf die Thematik erlaubte sich die Journalistin und Regisseurin Marie Harder in ihrem 1930 publizierten Artikel „Augen auf – unser die Welt“, wenn sie schreibt, durch seine „sozialistische Tendenz“ sei „der Russenfilm trotz des unstrittigen künstlerischen Werts unerträglich“.

Ausstellungsansicht, Foto: Thomas Lemnitzer (© DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum)
Ausstellungsansicht, Foto: Thomas Lemnitzer (© DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum)

Kino-Frauen waren in vielen Gewerken der Filmherstellung aktiv. Insbesondere Cutterinnen wurde und wird bis heute eine außergewöhnliche Fertigkeit im Schnittrhythmus nachgesagt. Die aus einer Bremer Kaufmannsfamilie stammende Schriftstellerin Hermanna Barkhausen-Büsing adaptierte Ganghofer-Romane und arbeitete mit dem Regisseur Franz Osten zusammen. Drehbuchautorin Irma von Cube verließ Nazi-Deutschland 1933 und erhielt in Hollywood 1949 eine „Oscar“-Nominierung für „Schweigende Lippen“. Ilse Fehling brillierte mit Kostümentwürfen, Liddy Hegewald baute ein beträchtliches Produzentinnen-Netzwerk auf. Drehbuchautorin Luise Heilborn-Körbitz startete als Dramaturgin der Filmfirma Bioscop, arbeitete für namhafte Kollegen wie Lupu Pick und Gerhard Lamprecht. Imposant ihr Briefwechsel mit Thomas Mann anlässlich der Adaption von „Buddenbrooks“.

Früh Eingang in den gängigen Kanon gefunden hat die jüdische Schriftstellerin Vicki Baum. Sie ging als Drehbuchautorin in die USA und blieb nach der Machtergreifung dort, während ihre Bücher im Dritten Reich verboten wurden. Natürlich zählt dazu auch die streitbar-umstrittene Thea von Harbou, vertreten mit Drehbuchauszügen zu „Metropolis. In einem Brief an ihre Mutter kündigt sie 1925 das Erscheinen ihres gleichnamigen Romans an und bittet um das Rezept zum geliebten Kartoffelkuchen. Mit von der Partie: die Scherenschnittpionierin Lotte Reiniger („Die Abenteuer des Prinzen Achmed“). Und natürlich auch die NS-Ikone Leni Riefenstahl, mit einem Brief an den Filmtheoretiker Béla Balázs, den sie von den Schnittproblemen zu seinem Film „Das blaue Licht“ (1932) und Arnold Fancks Ratschlägen unterrichtet. Die Regieassistentin reklamierte nach der Machtergreifung dann allerdings den alleinigen Regie-Credit für sich. Oder: Marlene Moeschke-Poelzig, Frau des berühmten Stararchitekten Hans Poelzig, kennenzulernen im ausgestellten Skizzenbuch zu Paul Wegeners Film „Der Golem, wie er in die Welt kam“ von 1920.

Cutterin am Schneidetisch (© Deutsche Kinemathek - Hans G. Casparius)
Cutterin am Schneidetisch (© Deutsche Kinemathek - Hans G. Casparius)

Besondere Funde zu Hanna Henning und Jane Bess

In der NS-Diktatur führten der massive Aderlass und eine radikale staatliche Umorganisation des Filmwesens zum jähen Ende des aufklärerischen, künstlerisch exponierten Jahrzehnts. Eine besondere Leistung des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums stellen die Funde zur früh verstorbenen, heute weitgehend unbekannten Hanna Henning (vielfache Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin) sowie zur ungemein produktiven jüdischen Drehbuchautorin und Produzentin Jane Bess dar. Die Tochter der 1944 im KZ Auschwitz Getöteten führte mit dem Entschädigungsamt in Berlin eine umfangreiche Auseinandersetzung um die Anerkennung der Arbeit ihrer Mutter für den deutschen Stumm- und Tonfilm.

Filmausschnitte und sogenannte „Frauengalerien“ in den Audio-Stationen vermitteln einen neuen, informativen Blick auf das Weimarer Kino und den unterschätzten Beitrag von Frauen in der Stummfilmepoche. Die Frankfurter Ausstellung (noch bis 12. November) gibt ihnen im Rahmen der Erhaltung des Filmerbes ihre Stimmen und ihre meist ausgebliebene Anerkennung zurück. Ein Angebot, das man sich nicht entgehen lassen sollte.


Hinweis

Die Ausstellung „Weimar weiblich. Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918-1933)“ ist bis 12. November im Deutsches Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Frankfurt zu sehen. Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Fr 11-20 Uhr.

Kommentar verfassen

Kommentieren