Im Frühjahr 1963 steht in Graz der angesehene ÖVP-Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer (Karl Fischer) vor Gericht. Der ehemalige SA-Führer war als Leiter des Ghettos von Vilnius in den Jahren 1941 bis 1943 für die Vernichtung der Bewohner verantwortlich; von 80.000 Bewohnern überlebten nur 6000 Menschen. Nach Kriegsende wurde Murer in der Sowjetunion wegen Mordes verurteilt, nach fünf Jahren aber nach Österreich abgeschoben. Erst Simon Wiesenthal (Karl Markovics) kam dem „Schlächter von Vilnius“ auf die Spur.
Doch vor Gericht tritt der Kriegsverbrecher als harmloser steirischer Bauernsohn im Trachtenjanker auf, als treu sorgender Familienvater und unbescholtener Spätheimkehrer. Im Brustton der Überzeugung verkündet Murer: „Nicht schuldig in allen Anklagepunkten“. Die unzähligen Zeuginnen und Zeugen, darunter vor allem Überlebende der Shoah, reichen nicht aus, um ihn zu verurteilen. Politik und Gesellschaft im Österreich der Nachkriegszeit wollen endlich einen Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit ziehen. Murer wurde freigesprochen, seine Verbrechen bleiben ungesühnt. Er starb 1994, kurz vor seinem 82. Geburtstag.
Das Gerichtsdrama von Christian Frosch rollt einen der größten Justizskandale der Zweiten österreichischen Republik auf der Basis der Gerichtsprotokolle auf. Mit dem bereits im Titel angedeuteten anatomischen Blick nähert sich der Film den Protagonisten: dem Angeklagten, dem juristischen Personal, dem Publikum im Saal des Gerichts in Graz. Auf der Suche nach der Wahrheit werden die Akteure aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet, mal theaterhaft distanziert, dann wieder schmerzhaft nahe in Szenen, die unter die Haut gehen.
In sich allmählich verdichtenden Fragmenten blättert der Film die Hintergründe auf, bleibt aber nicht bei der Rekonstruktion der Ungeheuerlichkeiten stehen, sondern seziert das skandalöse Gerichtsurteil als Resultat der Staatsräson, mit dem sich Österreich auf die Seite der historischen Opfer mogelte.
Die Präzision, mit der der Film diese Strategie herausarbeitet, unterstreicht seine politische Bedeutung und zielt auf die unmittelbare Gegenwart. - Sehenswert ab 16.