© Metropol Verlag (Alfred Bauer)

Braune Schatten

Die von der Berlinale in Auftrag gegebene Studie zur Rolle ihres ersten Leiters Alfred Bauer in der Nazi-Zeit ist erschienen

Veröffentlicht am
19. März 2024
Diskussion

Kurz vor der Berlinale 2020 deckten Nachforschungen eines Hobby-Historikers und ein „Zeit“-Artikel die NS-Vergangenheit des ersten Berlinale-Direktors Alfred Bauer (1911-1986) auf. Nun ist eine von der Berlinale in Auftrag gegebene Studie erschienen, die Details über Bauers Verstrickung in die Nazi-Verbrechen liefert und die gesellschaftlichen Umstände beleuchtet, die ihm halfen, seine Vergangenheit zu vertuschen. Doch andere Fragen bleiben offen.


Eigentlich konnte es niemanden wirklich überraschen. Die Nachricht schlug trotzdem ein wie eine Bombe, als Katja Nicodemus kurz vor der Eröffnung der Berlinale 2020 in der „Zeit“ vom 30. Januar einen Artikel über Alfred Bauer, den langjährigen Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin, veröffentlichte. Er ließ wenig Raum für Interpretationen: „Ein eifriger SA-Mann“.

Basierend auf Recherchen des Hobby-Filmhistorikers Ulrich Hähnel rekonstruierte sie in Ansätzen die NS-Vergangenheit Bauers als Referent der Reichsfilmintendanz (1942-1945), der zwischen 1951 und 1976 die Geschicke der Berlinale verantwortete. Vor allem zeigte sie auf, wie sehr Bauer nicht nur in seinem Entnazifizierungsprozess an der Legende vom unpolitischen, rein von künstlerischen Erwägungen geleiteten Filmfunktionär strickte, der doch eigentlich ein Antifaschist war und seine Stellung nutzte, um Filmschaffende vor Verfolgung oder der Einberufung an die Front zu bewahren. Nichts davon ist wahr.

Die Akten sind frei zugänglich. Daher stieß Nicodemus besonders sauer auf, dass eine damals grade im Erscheinen begriffene Publikation, die sich auf eben diese Aktenbestände stützt, nur der Selbstdarstellung und -stilisierung Bauers folgte: „[W]er soll hier vor wem oder was geschützt werden? Alfred Bauer vor dem Blick der Gegenwart? Oder die Gegenwart der Berlinale vor Alfred Bauer?“ Die Veröffentlichung wurde zunächst verschoben – anscheinend wurde sie dann ganz aufgegeben.


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Die Studie des Festivals

Das Festival reagierte schnell mit einer „Vorstudie über ein historisches Porträt von Dr. Alfred Bauer“, die bereits im September 2020 vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin vorgelegt wurde. Sie deckt die systematische Verschleierung und die Entschuldungs- und Umdeutungsstrategien Bauers weiter auf. Diese Vorstudie von Tobias Hof wurde nun in dem von Andreas Wirsching herausgegebenen Band „Kino im Zwielicht. Alfred Bauer, der Nationalsozialismus und die Berlinale“ wiederveröffentlicht. Ergänzt wird sie darin um zwei Arbeiten von Andreas Malycha und Wolf-Rüdiger Knoll zur Geschichte der Berlinale sowie zur Biographie von Günter Schwarz, der nach seiner Karriere in der Reichsfilmkammer in der Bundesrepublik zum Geschäftsführer der Export-Union der Deutschen Filmindustrie e.V. aufstieg.

Alfred Bauer als Berlinale-Direktor 1960, mit Gene Kelly (© Heinz Köster / Stiftung Deutsche Kinemathek)
Alfred Bauer als Berlinale-Direktor 1960, mit Gene Kelly (© Heinz Köster / Stiftung Deutsche Kinemathek)

Die Causa Alfred Bauer ist (auch) ein Lehrstück in Sachen Opportunismus – vor allem aber zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den Aufbaujahren der BRD. So genau wollte man gar nicht wissen, was der Einzelne „davor“ gemacht hat. Aber eine SS-Vergangenheit musste auch gar nicht schaden, wie man beispielsweise an Herbert Reinecker sieht, einem der erfolgreichsten Film- und Fernseh-Drehbuchautoren der Nachkriegsgeschichte. Skandalisiert wurde sie nur, wenn man sie selbst erst verspätet zugab (siehe Günter Grass, 2006) oder sie von anderen aufgedeckt wurde (Horst Tappert, 2013).

Wie viele andere auch verschleierte Bauer seine Tätigkeit in der Reichsfilmintendanz (RFI) beziehungsweise spielte sie herunter, indem er den Eindruck erweckte, diese sei eine Einrichtung der privatrechtlichen Ufa-Film GmbH. Doch zum einen war der Reichsfilmintendant als Leiter der Abteilung Film im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) direkt Joseph Goebbels unterstellt. Zum andern war die Ufa-Film GmbH (UFI), in der der Reichsfilmintendant Mitglied der Geschäftsführung war, ab 1942 eine Holdinggesellschaft der Cautio Treuhand GmbH, die der Verstaatlichung der deutschen Filmproduktion diente. Hervorgegangen ist sie aus der Universum-Film Aktiengesellschaft (Ufa), die bereits 1937 von der Cautio geschluckt wurde – auf Druck Goebbels’. 1944 wurde die RFI eine eigenständige Dienststelle unter der Dienstaufsicht des RMVP.


Direkt in die NS-Verbrechen verstrickt

Neben dem Rundfunk war für Goebbels der Film das wichtigste Propagandainstrument. Ziel der Verstaatlichung des Filmwesens war einzig und allein die Politisierung des Films und die Beeinflussung der Massen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Die Reichsfilmintendanz war für die Planung der Filmproduktion und vor allem auch für die Genehmigung der einzelnen Projekte zuständig; und dies mit vielfältigen Zensurbefugnissen. In seiner Position war Bauer zudem organisatorisch für den Personaleinsatz bei Filmproduktionen zuständig – und damit auch für den Einsatz von Zwangsarbeitern. Damit war er direkt in die Verbrechen des NS-Staats verstrickt. Im Nachhinein von einer rein künstlerischen Tätigkeit zu sprechen, ist an Verachtung gegenüber den Opfern kaum zu überbieten. Um die Filmproduktion aufrechtzuerhalten, konnte die RFI Produktionsbeteiligte vom Front- oder Volkssturmeinsatz freistellen. Dafür, dass Bauer Filmschaffende durch Unabkömmlichstellungen über das produktionsbedingt Notwendige hinaus geschützt habe, gibt es aber keinerlei Belege.

In der Ergänzungsstudie wird die konfliktreiche Ära Bauer als Leiter der Internationalen Filmfestspiele Berlin materialreich aufgearbeitet. Aufgrund seines oftmals eigenmächtigen Agierens stand er als Leiter immer wieder zur Debatte und drohte auch selbst regelmäßig mit seinem Rücktritt, um Forderungen durchzusetzen. Aber er hatte auch einflussreiche Fürsprecher. Die schützten ihn offenbar auch vor wiederkehrenden NS-Vorwürfen. Der Fall Bauer zeugt damit vor allem von einem veränderten Umgang und einer neuen Sensibilität bezüglich der Verstrickung in die Gewaltherrschaft des sogenannten Dritten Reichs: In den 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahren blieben – faktisch zudem unkorrekte – Hinweise auf Bauers Tätigkeit in der Nazi-Filmindustrie folgenlos. 2020 werden sie zu einem Skandal.

2020 wurde der Alfred-Bauer-Preis auf der Berlinale abgeschafft (Bild aus dem letzten Gewinnerfilm „Systemsprenger“) (© Port-au-Prince)
2020 wurde der Alfred-Bauer-Preis abgeschafft (Bild aus dem letzten Gewinner „Systemsprenger“) (© Port-au-Prince)

Kaum Hinweise auf innere Überzeugungen

Hat also ein Nazi jahrelang die Berlinale geleitet? Die Akten geben kaum Hinweise auf Bauers innere Überzeugungen. Zwar hat er sich immer wieder auch dafür eingesetzt, Filme von Regisseuren zu zeigen, die NS-Propagandafilme inszeniert haben. Doch ebenso setzt er gegen massive Widerstände Wolfgang Staudtes Film „Herrenpartie“ (1964) durch, in dem bereits die Wehrmachtsverbrechen im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielen (ein Thema, das erst in den 1990er-Jahren größere Aufmerksamkeit erlangte). Er spricht sich gegen explizit politische Filme aus, sieht die Berlinale aber auch als Leistungsschau des Westens im Kalten Krieg. Zugleich bemüht er sich aber auch von Anfang an, osteuropäische und sowjetische Produktionen zu zeigen. Das gelingt ihm allerdings erst zum Ende seiner Amtszeit, als sich die politische Großwetterlage gedreht hat. Im Großen und Ganzen folgen seine Entscheidungen, welche Filme auf der Berlinale laufen, dem damaligen (konservativen) Zeitgeist.

Es bleibt eine typische Nachkriegsgeschichte – was ist also der Skandal? An Alfred Bauer sieht man, dass es auch in der Filmindustrie weder eine „Stunde Null“, den völligen Neuanfang, noch eine völlig bruchlose Kontinuität von der NS-Zeit in die junge Bundesrepublik hinein gab. Bauer brauchte, wie andere auch, ein paar Jahre, um sich neu aufzustellen. Doch offenbar waren seine Beziehungen und Erfahrungen für die Organisation eines international ausgerichteten Filmfestivals unabdingbar; oder, wie Konrad Adenauer es ausdrückte: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat!“ Die Widersprüchlichkeiten der Zeit sieht man daran, dass sich Theodor Baensch für Bauer als Leiter der Berlinale einsetzte. Baensch war Leiter des Filmreferats innerhalb des Berliner Senats. Er war im Widerstand aktiv und saß zwei Jahre wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ im Gefängnis.


Was verbirgt sich noch in den Archiven?

Es überrascht nicht wirklich, dass ehemalige NS-Funktionäre schnell tragende Rollen in der bundesdeutschen Filmwirtschaft einnahmen. Auch die Vorwürfe gegen Bauer waren nicht wirklich neu. Dennoch gilt, was Katja Nicodemus in ihrem „Zeit“-Artikel „Penetrant und dreist“ vom 8. Oktober 2020 schreibt: „Über der Studie [gemeint ist das erste Gutachten von Tobias Hof] schwebt dieselbe Frage wie über dem ‚Zeit‘-Artikel vom 30. Januar 2020: Wie konnte es geschehen, dass erst ein Hobbyhistoriker sich mit Akten befasste, die für jeden zugänglich sind und die Teilen der deutschen Filmwissenschaft längst bekannt waren? Welche Verdrängungsmechanismen waren in der 71-jährigen Berlinale-Geschichte am Werk? Und was verbirgt sich noch in den Archiven?“

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