Hans Andreas Guttner (© Camilla Guttner)

Ins Herz schauen – Hans Andreas Guttner

Nachruf auf den Dokumentaristen Hans Andreas Guttner (6.5.1945-14.4.2025)

Aktualisiert am
08.05.2025 - 09:25:51
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Der deutsch-österreichische Dokumentarist Hans Andreas Guttner war einer der ersten Filmemacher, der in seinen Filmen die Lebens- und Erfahrungswelt von türkischen und italienischen „Gastarbeitern“ in Deutschland abbildete. Mit seiner Pentalogie „Europa – ein transnationaler Traum“ (1979-1996) setzte er Maßstäbe. Auch in anderen Filmen bezeugte er eine besondere Vertrautheit mit den Porträtierten, unter gleichzeitiger Wahrung einer respektvollen Distanz. Im April 2025 ist er knapp 80-jährig gestorben.


Europa - ein transnationaler Traum“ nannte der deutsch-österreichische Dokumentarist Hans Andreas Guttner seine bekannteste Arbeit, eine zwischen 1979 und 1996 erschienene Pentalogie. Der am 6. Mai 1945 in St. Christophen in Niederösterreich geborene Filmemacher stieß bereits mit dem ersten dieser fünf Filme in einen Bereich vor, der in der Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft Ende der 1970er-Jahre schlicht nicht vorhanden war. Der 22-minütige Film „Alamanya Alamanya- Germania Germania“ (1979) gab den sogenannten Gastarbeitern aus der Türkei und Italien ungewohnten Raum, ihre Erfahrungen mit der deutschen Wirklichkeit zu schildern. Die darin geschilderten vielfältigen Probleme vertiefte Guttner in „Familie Villano kehrt nicht zurück“ (1981) am Beispiel einer zehnköpfigen Familie aus Süditalien. „Der Film belegt vor allem, wie unsinnig die radikale Alternative zwischen Rückkehr der ‚Gastarbeiter‘ in ihre Heimat oder der Integration in der bundesdeutschen Gesellschaft ist“, bemerkte Hans Günther Pflaum 1982 im FILMDIENST. „Die Hoffnung auf Arbeit zu Hause hat die Familie Villano endgültig aufgegeben. Aber wozu sollen sie ihre Identität in Fürth verlieren oder preisgeben? Sogar Brot und Salami machen sie nach Rezepten aus dem Heimatdorf, und der Zusammenhalt in der großen Familie sichert ein notwendiges Mindestmaß an Heimatgefühl.“


Respekt und keine Kommentare

Der Film etablierte zudem viele der Markenzeichen von Hans Andreas Guttner: Vertrautheit mit den Porträtierten und Respekt, der sich durch einen gewissen Abstand äußerte, keine Kommentare, keine thesenhafte Beweisführung und auch keine Suche nach Elendsbildern.

Aufschlussreich war „Familie Villano kehrt nicht zurück“ gerade auch mit Blick auf die unterschiedlichen Perspektiven der Migranten-Generationen, was Guttner in den weiteren Filmen seiner Pentalogie untermauerte. „Im Niemandsland“ (1983) kreiste um türkisch-stämmige Jugendliche, die sich in ihren Träumen wenig von nicht-migrantischen deutschen Altersgenossen unterschieden, von der Wirklichkeit aber ausgebremst wurden. „Dein Land ist mein Land“ (1989) griff noch stärker Klischees über „die Ausländer“ an, um diese anhand von jungen Türken der dritten Generation – darunter der späteren Regisseurin Ayşe Polat – zu widerlegen. „Kreuz und quer“ (1996) schließlich bot ein Wiedersehen mit der Familie Villano und deren nach wie vor nicht gelösten Problemen beim Leben zwischen zwei Heimaten. Auch hierbei zeigte sich Guttners besondere Nähe zu den Porträtierten: „Sie sind keine reinen Interviewpartner für ihn, sondern Menschen, denen er – wie Guttner selbst in Anlehnung an Robert Flaherty sagt – ‚ins Herz schauen‘ möchte.“ (Manfred Hattendorf)

„Familie Villano kehrt nicht zurück“ (© Hans Andreas Guttner Filmprod.)
„Familie Villano kehrt nicht zurück“ (© Hans Andreas Guttner Filmprod.)

Neben seinen Migrationsfilmen näherte sich Guttner auch anderen gesellschaftlichen Thematiken an. Mit „Die Megaklinik“ (2004) drehte er anhand des Klinikums Nürnberg mit seinen fast 6000 Mitarbeitern eine Institutionsstudie in der Tradition von Frederick Wiseman, „Sean Scully – Art Comes from Need“ (2010) begleitete den irischen Maler Sean Scully bei der Entstehung eines autobiografisch geprägten Bildes und den Erzählungen des Künstlers von seinem hindernisreichen Werdegang. In „Bei Tag und bei Nacht – Ein Landarzt aus Kärnten“ (2016) stellte er seinen eigenen Bruder Martin Guttner ins Zentrum, der sich in der Bergwelt von Kärnten um die Gesundheit der Bergbauern kümmert. Gleichzeitig entwarf der Film ein vielschichtiges Mosaik des allmählich verschwindenden Dorflebens.

Auch seine letzten Filme waren Erkundungsreisen voller Neugier und Empathie: „Die Burg“ (2019) über das Wiener Burgtheater und „Tiergarten“ (2024) über Zoos als oft letzte Hoffnung für vom Aussterben bedrohte Tierarten.


Im Dialog mit der Welt

Hans Andreas Guttner wurde für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet und verhalf dem Dokumentarfilm auch als Mitinitiator des Internationalen Dokumentarfilmfestivals München und Mitglied der deutschen und österreichischen Dokumentarfilm-Berufsverbände zu mehr Sichtbarkeit und Anerkennung. Am 14. April 2025 starb er unerwartet bei einer Routinebehandlung im Krankenhaus. Seine Tochter, die Künstlerin und Filmemacherin Camilla Guttner, würdigte ihren Vater in einem Nachruf als einen „sensiblen Chronist[en] unserer Zeit, der mit Empathie und Feingefühl die Geschichten der ‚Fremden unter uns‘ erzählte, dabei stets den Dialog suchte und gesellschaftliche Relevanz und künstlerische Tiefe vereinte“.

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