Drama | Frankreich/Großbritannien 1992 | 111 Minuten

Regie: Louis Malle

Ein 50jähriger englischer Politiker verliebt sich in die Freundin seines Sohnes, die sich durch diese Beziehung von einem traumatischen Jugenderlebnis befreien möchte. Die bedingungslose Hingabe der beiden beschwört eine Katastrophe und den völligen Zerfall aller sozialen Strukturen des Mannes herauf. Ein "amoralischer" Film voller erotischer Spannung, der stimmig die Stationen eines Untergangs beschreibt. Hervorragende Darsteller und eine gediegene Ausstattung, die in Korrespondenz zur Handlung steht, heben den Film über das Niveau vergleichbarer Filme hinaus.
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Filmdaten

Originaltitel
DAMAGE
Produktionsland
Frankreich/Großbritannien
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
NEF/Skreba/Channel 4/Canal Plus/European Co-Prod. Fund
Regie
Louis Malle
Buch
David Hare
Kamera
Peter Biziou
Musik
Zbigniew Preisner
Schnitt
John Bloom
Darsteller
Jeremy Irons (Stephen Fleming) · Juliette Binoche (Anna Barton) · Miranda Richardson (Ingrid Fleming) · Rupert Graves (Martyn Fleming) · Leslie Caron (Elisabeth Prideaux)
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Heimkino

Verleih DVD
VCL (1.66:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
"Menschen, denen ein Unheil wiederfahren ist, sind gefährlich, weil sie wissen, daß sie überleben können." Stephen Flemings Leben läuft in geordneten Bahnen. Er ist Mitglied des englischen Parlaments und sieht seiner Berufung zum Minister entgegen. Es besteht kein Grund, seine 25jährige Ehe mit Ingrid in Frage zu stellen; Sohn Martyn arbeitet erfolgreich an seiner Journalisten-Karriere; Töchterchen Sally ist ein etwas verschlossener Teenager. Alles normal, Leben im Gleichgewicht.

Doch auf einem Empfang lernt Stephen Anna, Martyns neue Freundin, kennen, und plötzlich gibt es einen guten Grund, dieses selbstzufriedene Leben zu hinterfragen. Zunächst reagiert er verunsichert, ahnt die Gefahr, bleibt reserviert, als Martyn seine Freundin offiziell der Familie vorstellt. Doch schon in dieser kurzen Szene deutet sich die Qual an. Stephen wünscht sich nichts sehnlicher, als Anna zu berühren, seine distanzierte Haltung ist ein letzter Selbstschutz.

Anna übernimmt die Offensive. Sie lädt den Vater ihres Freundes zu sich ein, und von diesem Zeitpunkt an ist kein Halten mehr. Sie lieben sich, durchaus der Gefahr bewußt, daß sie mehr als ein Leben zerstören können. Dieses Wissen findet seine Entsprechung im Liebesakt, der bei aller Hingabe und Begierde, bei aller Zärtlichkeit auch Gewaltsames beinhaltet. Die folgenden Wochen sind von Versteckspiel und Lügen geprägt; Stephen spielt heile Familie und sehnt sich doch immer nur in die Arme seiner Anna. Die bleibt beiden Männern zugewandt und offenbart zögernd ihre Lebensgeschichte. Ihr Bruder, der sie mehr als brüderlich liebte, nahm sich das Leben, als sie 15 Jahre alt war. Sie fühlt sich schuldig, lebt seitdem in großer seelischer Not, sehnt sich nach Vergessen und Selbstaufgabe und findet dies in ihrer Affäre mit Stephen. Der verliert mit jedem Tag ein Stück seiner ursprünglichen Identität, schlägt alle Mahnungen in den Wind. Als Martyn und Anna ein Wochenende in Paris verbringen, reist er ihnen nach, mietet es sich im selben Hotel wie das Paar ein und erhält ein Zimmer, von dem aus er die beiden beobachten kann: Stephen prüft seine Leidensfähigkeit.

Wieder in London, verkündet er Anna, daß er Ingrid verlassen werde. Doch die reagiert verständnislos, da eine Trennung von seiner Frau nichts im Verhältnis zwischen ihm und ihr ändern werde. Als Martyn während einer Familienfeier seine Verlobung mit Anna bekannt gibt, bricht für Stephen eine Welt zusammen. Er weiß, daß er den Sohn nicht zeitlebens betrügen kann, er weiß aber auch, daß er von Anna nie lassen wird. Sein Leben ist in die klassische Zwickmühle geraten. Das scheint sich zu ändern, als Annas Mutter zu Besuch kommt und bei einem sehr gezwungenen gemeinsamen Essen Martyns Ähnlichkeit mit Annas totem Bruder zur Sprache bringt. Später, auf einer gemeinsamen Fahrt durch London, bietet sie Stephen eindringlich, von ihrer Tochter zu lassen. Sie hat als einzige die un geheuere erotische Spannung zwischen den beiden wahrnehmen wollen. Stephen ist endlich bereit zum Verzicht, doch wenig später schickt ihm Anna die Wohnungsschlüssel für ein neutrales Liebesnest. Die Geschichte geht weiter und findet ihren tragischen Höhepunkt, als Martyn überraschend während eines Schäferstündchens auftaucht und den Vater im Bett der Verlobten vorfindet. Am Ende ist Martyn tot, Stephens Ehe zerrüttet; Anna sucht einen scheinbar sicheren Hafen. Stephen setzt sich ab und lebt in Südfrankreich seinen Traum, ein Nobelpenner mit Wein und Käse, der in einem kargen Zimmer ein überdimensionales schwarz-weißes Foto anstarrt: es zeigt ihn und seinen Sohn und ihre Geliebte - Anna.

Louis Malle, der mit Filmen wie "Die Liebenden" (fd 7914), "Herzflimmern" (fd 17 653) oder "Pretty Baby" (fd 20 900) immer die Gemüter erregte, hat mit "Verhängnis" einen Film geschaffen, der mehr bietet als die Geschichte einer "amour fou" oder einer herkömmlichen "menage à trois". Malle liefert einen ungeheuer erotischen Film, der seinen Personen verbietet, sich bis ins kleinste psychologisch und rational zu erklären. Die Liebe bricht aus, das ist eben so, danach gibt es - in dieser Konstellation - nur Verhängnis oder Schadensbegrenzung. Diese ausschließliche Hinwendung zum Lust- und Leidensprinzip, läßt den Film wie aus einer anderen Zeit erscheinen, einer Zeit, als die Menschen noch Mut hatten, zu ihren Gefühlen zu stehen. Malle fragt nicht nach der Moral, er fordert jedoch, für die Konsequenzen einzustehen. Auch wenn sein Ende weit weniger dramatisch ausfällt, als es im Verlauf des Films mehrfach anklingt.

Nach dem Bestseller von Josephine Hart ist ein Film entstanden, dessen gediegene Ausstattung als stilistischer Kontrapunkt zur Handlung zu sehen ist. Geschliffene Gläser werden von Händen gehalten, die nur mühsam ein Zittern unterdrücken können; blutroter Wein ergießt sich auf jungfräulich-weißen Damast, sündhaft teure Maßanzüge und Kostüme sind Sinnbilder für eine Zivilisation, die nur eins will - abgelegt werden, um den Menschen mit seinen Träumen und Wünschen, aber auch seiner Verletzbarkeit sichtbar werden zu lassen. Der Liebesakt wird so zum Manifest authentischen Verhaltens.

Der gewohnt gute Jeremy Irons - sein desillusionierter Gesichtsausdruck sagt mehr über Einsamkeit und uneingestandene Sehnsüchte als zig kluge Abhandlungen - prägt den Film. Sein Stephen, der zur bedingungslosen Kapitulation vor der Liebe bereit ist, bringt den Mut auf, das Gefühl über den Verstand zu stellen. Natürlich muß er in einer rational geordneten Welt an dieser Bedingungslosigkeit scheitern. Radikal Liebende gehören einer anderen Zeit oder anderen Kulturkreisen an - bevölkern Märchen.

Natürlich hätte Malles "Verhängnis" noch weitaus düsterer ausfallen können, Verhängnis ohne einen einzigen Lichtblick. Ein Beispiel für diesen anderen, lustfeindlicheren Standpunkt liefert ironischerweise Drehbuchautor David Hare, der mit seinem eigenen, im direkten Vergleich auch besseren Film "Paris by Night" (fd 28 557) eine ähnliche Geschichte nur weitaus zynischer beschreibt. Malle hingegen beschreibt den schwierigen Balanceakt zwischen Verlangen und Vernunft, wirbt für Verständnis für die unterdrückten Obsessionen und Phantasien. Er läßt in keiner Sekunde Zweifel aufkommen, daß ein Preis zu zahlen sein wird. Wie hoch er letztlich sein wird, das bestimmt jeder einzelne - zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt, von da an nimmt das "Verhängnis" seinen Lauf und nichts und niemand wird ihm Einhalt gebieten können.
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