- | Norwegen 1995 | 90 Minuten

Regie: Bent Hamer

Seit Jahr und Tag leben zwei inzwischen 70jährige Brüder in einem abgelegenen Haus in Norwegen. Ihr ritualisierter Alltag wird unwiederbringlich aus dem Lot gebracht, als der vor mehr als 50 Jahren unehelich in Schweden gezeugte Sohn des einen hinzukommt. Ein präzis organisiertes Spielfilmdebüt, das für eine authentische europäische Kinematografie steht und gerade durch seine Verwurzlung im Lokalen seine universelle Wirkung entfaltet. Der Film erscheint klar und geheimnisvoll zugleich und bietet eine skurril-lakonische Spielart filmischen Humors, die an Jacques Tatis Stil der perfektionierten Absurdität erinnert. (O.m.d.U.; TV-Titel: "Eierkopf") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EGGS
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Bulbul/Norwegisches Filminstitut/Europafilm
Regie
Bent Hamer
Buch
Bent Hamer
Kamera
Erik Poppe
Musik
Fläskkvartetten
Schnitt
Skafti Gudmundsson
Darsteller
Sverre Hansen (Moe) · Kjell Stormoen (Far) · Leif Andrée (Konrad) · Juni Dahr (Cylindia Volund) · Ulf Wengård (Vernon)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Wieder einmal ist es ein kleiner Verleih, dem diese Entdeckung zu verdanken ist. Daraus spricht mindestens zweierlei: zum einen der dringend gebotene Erhalt einer unabhängigen, differenzierten Kinokultur, die dergleichen überhaupt noch möglich macht, zum anderen die Zeitlosigkeit der durch sie protegierten Arbeiten - denn sie sind noch vom inhaltlichen Anliegen her konzipiert, nicht unter dem Aspekt möglichst kurzfristiger und effektiver Gewinnausbeute. Filme wie "Eggs" beweisen, daß es in Europa durchaus (noch) Potentiale authentischer Kinematografie gibt. Ihre universelle Wirkung ziehen dieser und vergleichbare Filme gerade aus der Verwurzelung im Lokalen, was ein nur scheinbares Paradox ist. Konturen werden nur dort sichtbar, wo es auch einen Hintergrund gibt; mit dem Zeitgeist kokettierende Allgemeinplätze bleiben hingegen immer nur Oberfläche, auch wenn sie noch so gut ausgeleuchtet werden.

Moe und Far sind zwei über 70jährige Brüder. Immer schon leben sie zusammen in einem abgelegenen Haus, huldigen ihren Alltagsritualen, lieben und hassen sich, sind aufeinander angewiesen bis in die letzten Fasern ihrer Existenz. Mitten in der stoischen Natur aus Nebel, Schnee und sehr viel Wald werfen sie sich beharrlich ihre spärlichen Verfehlungen vor ("Du sollst kein Leitungswasser trinken!"), lösen Kreuzworträtsel, legen Patiencen. Ein einziges Mal hat Far für wenige Tage diesen Bannkreis verlassen: Während des Krieges fuhr er mit dem Moped ins nachbarliche Småland/Schweden. Ein Ausflug mit späten Folgen. Als das sonst stumme Telefon schrillt, kündigen sich Veränderungen an. Konrad, der uneheliche Sohn Fars, wird angeliefert - ein unförmiger Koloß, im Rollstuhl sitzend. Seine Mutter ist schwer erkrankt und hat sich gerade noch auf den Besucher aus Norwegen vor mehr als 50 Jahren besonnen. Nun steht der Kindsvater mit der Pflege des Kindes in der Pflicht. Das einzige Gepäck des unerwarteten Gastes besteht aus einer merkwürdigen Schatulle voller Eier, die er gedanklich auszubrüten scheint. Die gemeinsam alt gewordenen Brüder bemühen sich durchaus um eine angemessene Aufnahme des nahen Verwandten. Es wird sogar eigens eine Küchenmaschine angeschafft, um Konrad mit seinem obligatorischen Bananen-Shake zu versorgen. Aber nichts bleibt, wie es war. Das Gleichgewicht der Brüderschaft ist irreparabel aus dem Lot. Moe entschließt sich zu einem unglaublichen Schritt.

Es ist kaum zu glauben, daß "Eggs" der erste Spielfilm des 1956 geborenen Bent Hamer ist. Mit sicherer Hand organisiert er das Material seiner Handlung, findet stets originelle szenische Lösungen. So genügen ihm zu Beginn wenige statische Einstellungen, um den Kosmos der Brüder zu umreißen. Das Gerüst alltäglicher Wiederholungen und gegenseitiger Abhängigkeiten wird durch visuelle Leitmotive markiert. Hat Hamer diese einmal installiert, spielt er auch gleich mit ihnen:eine ganze Reihe von Gags ereignen sich akustisch und sogar optisch im Off - einzig die Fantasie des Zuschauers imaginiert das Geschehen. Überhaupt, die Kunst des Weglassens: weder ordnet der Film jedem Detail eine genaue Funktionalität zu noch ergeht er sich in psychoanalytischen Erklärungsversuchen. "Eggs" erscheint gleichzeitig klar und geheimnisvoll, ist urkomisch, denunziert seine Figuren jedoch an keiner Stelle. Eine skurrile wie lakonische Spielart filmischen Humors, die nicht zufällig an Jacques Tatis Stil der perfektionierten Absurdität gemahnt.
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