Helden wie wir

Komödie | Deutschland 1999 | 98 Minuten

Regie: Sebastian Peterson

Ein kleiner Junge aus der DDR steht, obwohl er sich zu Höherem berufen fühlt, immer am Ende der Reihe. Im Schwimmunterricht bringt er es nur zum "Flachschwimmer"; weder Eltern noch Mitschüler nehmen ihn ernst. Knapp zehn Jahre später, der "Held" ist inzwischen zum willfährigen Mitarbeiter der Staatssicherheit geworden, trifft er sein Kindheitsidol wieder - und schöpft aus dieser Begegnung die Kraft zum Aufstand. Glänzende Komödie nach dem gleichnamigen Bestseller von Thomas Brussig, die es hervorragend versteht, sensibel und unterhaltsam die bizarre Charakteristik der ostdeutschen Alltagswelt zu rekonstruieren - und gleichzeitig zu demontieren. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Senator
Regie
Sebastian Peterson
Buch
Thomas Brussig · Sebastian Peterson · Markus Dittrich
Kamera
Peter Przybylski
Musik
Ultra Violet
Schnitt
Petra Jurowski
Darsteller
Daniel Borgwardt (Klaus mit 20) · Adrian Heidenreich (Klaus mit 10) · Xenia Snagowski (Yvonne mit 20) · Luca Lenz (Yvonne mit 10) · Kirsten Block (Mutter)
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
BMG (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Als Thomas Brussigs Wende-Roman „Helden wie wir“ 1995 erschien, hatte niemand mit seinem einschlagenden Erfolg gerechnet. Sogar Wolf Biermann erteilte dem Werk im „Spiegel“ seine Absolution – was überraschte. Denn erstmals wurde die DDR auf humoristische Weise, noch dazu aus der Sicht eines Stasi-Mitläufers beschrieben, politische Akzente blieben indes im Hintergrund. Es war gerade diese Perspektive, die das Buch von der sonstigen Bewältigungs- wie auch der Beschönigungsliteratur unterschied und die ihm eine derart dankbare Aufnahme bescherte. Nach seinem Einzug in die Bestsellerlisten interessierten sich umgehend die Rechtekäufer der Filmbranche für den Stoff (der inzwischen auch für die Bühne dramatisiert wurde). Möglicherweise deshalb, weil der Autor selbst gerade ein Studium der Filmwissenschaften absolvierte, geriet das Buch an kompetente Partner. Mit Senator fand sich ein Produzent, der die filmischen Potenzen erkannte und zudem einen überaus begabten Debütanten mit seiner Realisierung betraute. Das Konzept ist aufgegangen. Für die, die den Roman nicht gelesen haben: Klaus Uhltzscht kommt am 20. August 1968 in einem vogtländischen Gasthof zur Welt – das Dröhnen sowjetischer Panzer auf dem Weg nach Prag leitet die Wehen seiner Mutter ein. Seine Kindheit verbringt er in einem Ostberliner Plattenbau; die Mutter arbeitet bei der Hygieneinspektion, der Vater angeblich im „Außenhandel“. Nachdem er auf dem Titelblatt der „Neuen Berliner Illustrierte“ abgebildet worden war, fühlt sich Klaus zu Höherem berufen, bringt es im Schwimmunterricht aber nur bis zum „Flachschwimmer“. Überhaupt muss er sich immer ganz hinten anstellen; seine Altersgenossen nehmen ihn ebenso wenig ernst wie seine Eltern. Nur gegenüber dem Mädchen Yvonne entwickelt sich so etwas wie eine leise Beziehung. Doch Yvonne zieht nach kurzer Zeit wieder weg, und Klaus ist aufs Neue allein mit sich und seinen Fantasien. Zeitsprung. Zehn Jahre später wohnt Klaus weiterhin in seinem Kinderzimmer. Bis auf seine äußere, scheinbar erwachsene Erscheinung hat sich nichts geändert. Uhltzscht ist ein leichtes Opfer für die Werber der Staatssicherheit, die ihm einen abenteuerlichen Beruf und vor allem eine entscheidende Aufwertung des Selbstbewusstseins versprechen. Er fügt sich nahtlos in den eher banalen Alltag eines ganz normalen MfS-Mitarbeiters. Bis er eines Tages seiner noch immer mythisch verehrten Yvonne wiederbegegnet. Diese Konfrontation mit der eigenen, utopisch besetzten Vergangenheit fällt zusammen mit der Erosion des Lebensraumes DDR. Am 9. November 1989 lässt Klaus Uhltzscht seine Bindungen hinter sich und setzt das Fanal zur Öffnung der Mauer an der Berliner Böse-Brücke.

Im Roman legt der „Held“ Uhltzscht einem amerikanischen Journalisten seine Geschichte dar – ein erzählerischer Rahmen, für den im Film eine an das Kinopublikum gerichtete Off-Stimme bemüht wird. Dieses Vehikel wird dadurch akzeptabel, dass die Bilder den Monolog keineswegs illustrieren, sondern stets wirkungsvolle Kontrapunkte setzen. Überhaupt gelingt es Regisseur Sebastian Peterson, sich gegenüber der prominenten Vorlage zu emanzipieren, indem er respektlos mit ihr umgeht. Die bei Brussig ausführlich zelebrierte Hommage an Philip Roths „Portnoys Beschwerden“ und dessen Masturbationsfantasien tritt zugunsten der Liebesgeschichte in den Hintergrund. Die Zweiteilung der Handlung in die Kindheits- und Erwachsenenebene wird hingegen übernommen, und damit auch ein bereits im Roman angelegter Tempoverlust im letzten Drittel des Plots. Insgesamt ist „Helden wie wir“ jedoch ein sehr filmischer Film geworden: ein eindrucksvolles, kurzweiliges und unbedingt sehenswertes Spielfilmdebüt.

Schon mit den ersten Bildern stellt der Film die Weichen für sein ästhetisches Konzept: In Ermangelung einer üppigen Ausstattung wird der Zeitgeist mittels völlig disparater Quellen rekonstruiert. Super-8-Sequenzen aus Amateurfilmen wechseln mit Ausschnitten aus Propagandamaterial und fließen, durch digitale Nachbearbeitung angeglichen, in das neugedrehte Material ein. Das geht so weit, dass hinter den Fenstern der Uhltzschtschen Neubauwohnung ein Animationsfilm läuft, der die Heldentaten der sozialistischen Bauarbeiter beschwört. Ein durchaus nervöses und grobkörniges optisches Level resultiert aus diesem Quellen-Patchwork; ein Verfahren, das aber greift und seinem Gegenstand gerecht wird. Selbst die tausendfach gesehenen Bilder der Grenzöffnung werden gerade durch das Wissen um ihre Manipulation wieder erträglich.

Es gehört zu den Ungerechtigkeiten der Filmbranche, dass „Helden wie wir“ in der Zuschauergunst vermutlich weniger gut wegkommen wird als die ebenfalls auf einer Brussig-Vorlage beruhende „Sonnenallee“ (fd 33 876). Leander Haußmanns von der Filmkritik aus unerfindlichen Gründen mit Samthandschuhen angefasstes „Filmchen“ bleibt in jeder Hinsicht meilenweit hinter Petersons Debüt zurück. Wo Haußmann ein eitles Nummernprogramm abspult, überrascht Peterson mit Feinheiten und Anspielungen. Werden in „Sonnenallee“ bizarre Dekors wie in einer Museumsvitrine ausgeleuchtet, schwenkt Peter Przybylskis Kamera fast beifällig über sie hinweg – die Wirkung ist viel authentischer. Die ganze Muffigkeit des DDR-Alltags erlebt eine fast unheimliche Auferstehung. Eckig geschnittene Anoraks, Straßenzüge voller „Trabis“, das ewig Miesepetrige der staatstragenden Kleinbürger – alles wird glaubhaft, weil niemals kokett in Szene gesetzt. Bemerkenswert auch die Rekonstruktion kommunikativer Phänomene dieser Gesellschaft, das indirekte Sprechen, die unsinnige Umformung von Begriffen oder die Eskalation des Floskelhaften. Als Uhltzscht seine lange vermisste Ikone Yvonne sucht und in ein Mietshaus voller merkwürdiger Bewohner gerät, wird er von einem offenbar betrunkenen Mann mit den Worten in die Wohnung gebeten: „Ach, komm doch erst mal rein.“ Wir sehen nicht, was Klaus in dieser Wohnung gesehen hat, wir sehen nur sein Gesicht danach: Es muss sehr verwirrend gewesen sein. Durch das Weglassen gelingt Peterson hier eine wunderbare Parodie auf den vielfach beschworenen Gemeinschaftsgeist der Ostdeutschen. Und so gilt es zuletzt doch so etwas wie ein deutsch-deutsches Wunder zu feiern: Während der geborene Ostler und hochdotierte Theaterintendant Haußmann am eigenen biografischen Material künstlerisch scheitert und eine bestenfalls schenkelklopfende Komödie hinlegt, gelingt dem gebürtigen Hamburger Peterson eine ebenso sensible wie unterhaltsame Erstlingsarbeit. Im Jahre Zehn des Mauerfalls verschleifen sich die inhaltlichen Besitzstände, kehren sich sogar um. Offenbar ist die „innere Einheit“ weiter fortgeschritten als bisweilen wahrgenommen wird.
Kommentar verfassen

Kommentieren