Marie Antoinette (2006)

Historienfilm | USA 2006 | 123 Minuten

Regie: Sofia Coppola

Porträt der französischen Königin Marie Antoinette von ihrer Verlobung mit dem Dauphin und späteren König Ludwig XVI. bis hin zur Flucht des Paars aus Paris während der französischen Revolution. Regisseurin Sofia Coppola blendet soziale und politische Zusammenhänge aus und lässt sich ganz auf die subjektive Sicht ihrer Hauptfigur ein, die sich mit Kauforgien, Partys und einer schalen Affäre aus der Langeweile und der strengen Etikette flüchtet. Ohne selbst in Oberflächlichkeiten zu erstarren, werden dabei konsequent die Grenzen der dekadenten höfischen Welt reflektiert. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MARIE ANTOINETTE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Columbia Pic./American Zoetrope
Regie
Sofia Coppola
Buch
Sofia Coppola
Kamera
Lance Acord
Musik
Jean-Benoît Dunckel · Nicolas Godin · Jean-Philippe Rameau
Schnitt
Sarah Flack
Darsteller
Kirsten Dunst (Marie Antoinette) · Jason Schwartzman (Ludwig XVI.) · Rip Torn (König Ludwig XV.) · Judy Davis (Comtesse de Noailles) · Rose Byrne (Duchesse de Polignac)
Länge
123 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Historienfilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. ein Feature mit zwei im Film nicht verwendeten Szenen (4 Min.).

Verleih DVD
Sony (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
„Wie heiter im Tuilerienschloß/ Blinken die Spiegelfenster/ Und dennoch dort am hellen Tag/ Gehn um die alten Gespenster./ Es spukt im Pavillon de Flor’/ Maria Antoinette/ Sie hält dort morgens ihr Lever/ Mit strenger Etikette“: Sofia Coppola inszeniert ihre Filmbiografie über die französische Königin, als hätte sie Heinrich Heines Ballade „Marie Antoinette“ (1851) zum Vorbild genommen. Die sozialen und politischen Zusammenhänge im Frankreich des 18. Jahrhunderts blendet sie konsequent aus; ihr Film konzentriert sich ganz auf die Erlebniswelt der Hauptfigur, auf die luxuriöse, in Ritualen erstarrte Welt des französischen Hofes – und die erscheint bei Coppola kaum weniger geisterhaft als bei Heine, auch wenn hier die Handlung in Versailles, nicht in den Tuilerien angesiedelt ist und die Köpfe bis zum Schluss noch fest auf den aristokratischen Hälsen sitzen. Österreich, 1770. Marie Antoinette bekommt von ihrer Mutter Maria Theresia mitgeteilt, dass eine Ehe mit dem Dauphin von Frankreich arrangiert wurde. Das Leben am französischen Hof erweist sich für die Österreicherin als schwierig: Sowohl die strenge Etikette als auch der boshafte Klatsch machen es ihr schwer, in der fremden Umgebung Fuß zu fassen und Kontakte zu schließen. Ihr Bräutigam, der spätere Ludwig XVI., erweist sich als linkischer Tölpel, der ebenso wenig fähig ist, mit seiner Angetrauten die Hochzeitsnacht zu vollziehen, wie nach dem Tod seines Vaters die Geschicke des Landes kompetent zu lenken; die Menschen, die sie umgeben, sind kaum mehr als Chargen – mit Ausnahmen vielleicht der Dubarry, herrlich vulgär verkörpert von Asia Argento, vor deren provozierender Körperlichkeit Marie jedoch wie der Rest der feinen Gesellschaft zurückschauert. Ohne Ambitionen, die über den Wunsch hinausgehen, ein angenehmes Leben zu führen, fügt sich die junge Königin den herrschenden Regeln; emotionale Defizite übertüncht sie durch Kauforgien und ausgelassene Feiern, mehr kleine Schein-Fluchten als wirkliche Ausbrüche. Als es dem Königspaar endlich gelingt, einen Nachfolger zu „produzieren“, nimmt der Druck auf die Monarchin ab; sie zieht sich in die künstliche „Natürlichkeit“ des Petit Trianon, eines Lustschlösschens im Park zurück und flüchtet sich in eine Affäre mit einem schwedischen Offizier. Doch eines Tages lässt sich die Außenwelt nicht mehr aus dem Konkon von Versailles ausschließen. Wie nach anderen Königinnen, deren einzige Aufgabe darin bestand, einen Thronerben zu gebären, würde heute wohl kein Hahn mehr nach Marie Antoinette krähen – wenn sie nicht das Pech gehabt hätte, der französischen Revolution zum Opfer zu fallen: Einerseits bereits von ihren Zeitgenossen stilisiert zur „Madame Defizit“, zur Galionsfigur eines ausbeuterischen Regimes, andererseits durch die öffentliche Hinrichtung mit Tragik aufgeladen, hat sie bis heute einen Platz im kollektiven Gedächtnis. Sofia Coppola vermeidet jedoch gerade diese Aspekte zur Deutung der historischen Figur; statt dessen widmet sie sich ganz der jungen Frau, die im Korsett des Hoflebens wie in einer luxuriösen Gummizelle vor sich hindämmert. Das mit anzusehen, ist anstrengend; gegen Ende sehnt man die Revolution förmlich herbei, um dem blutleeren Treiben ein Ende zu bereiten – und kann doch nicht umhin, das „stupid girl“ Marie Antoinette zu bedauern, das von Kirsten Dunst mit einer Mischung aus kindlicher Naivität, Verspieltheit und still-trauriger Ratlosigkeit ausgestattet wird. Der Film ist trotz seiner aufwändigen Ausstattung weniger ein opulentes historisches Epos, sondern wie die anderen Filme Coppolas eine Studie von Menschen, die voll ungestillter Sehnsucht in einer Welt der Oberflächenreize treiben. Der Filmemacherin deswegen vorzuwerfen, sie verliere sich selbst in Oberflächlichkeit, ist indes ungerecht, weil ihre Filme ästhetisch konsequent stets die Grenzen mitreflektieren, die den Horizont der Figuren einengen, und somit indirekt immer auf das verweisen, was außerhalb dieser Grenzen liegt. In „Marie Antoinette“ sorgt dafür nicht zuletzt die Kameraarbeit von Lance Acord, dem es sogar bei der Darstellung der weiten Parklandschaft von Versailles gelingt, einen Eindruck von Klaustrophobie zu evozieren: Oft werden tief angesetzte Einstellungen verwendet, die keinen Ausblick auf den Himmel eröffnen – besonders auffällig z.B. in einer Sequenz, in der Marie und einige Freunde einen Sonnenaufgang beobachten, die Kamera aber den in dieser Situation fast obligatorischen Blick auf das Naturschauspiel verweigert, sondern unten am Boden bei der Menschengruppe bleibt. Die Massen an buntbedruckten Tapeten, kostbaren Requisiten, prächtigen Kostümen und gepuderten Perücken sind genau den Touch zu perfekt, zu elaboriert und makellos, den es braucht, um ihnen den Anschein des Realen zu nehmen und sie als das zu zeigen, was sie eigentlich sind: Kulissen und Maskeraden. Einzig auf der Ebene der Musik bricht Coppola das Konzept, Versailles als in sich selbst versunkene Inszenierung zu zeigen, indem sie in einen ansonsten historisierenden Soundtrack Popmusik der 1980er-Jahre einflicht, Titel von Air, The Cure oder The Strokes, die die Befindlichkeit der Protagonistin spiegeln. Das mag manchem vielleicht unpassend erscheinen, erleichtert aber den Zugang zum Innenleben der Hauptfigur beträchtlich, die ihre Befindlichkeit kaum je in Worte fasst. Insgesamt bietet der Film eine reizvolle Neuentdeckung einer historischen Figur und ihrer Epoche, die sorgfältig das Spektakel meidet und gerade durch das, was durch die beschränkt-subjektive Perspektive nur angedeutet wird, zur Reflexion anregt.
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