Yves Saint Laurent hat Post bekommen. Von Andy Warhol. »Dear Yves, I love the tuxedo, I love the Mondrian dress ...«. Andy wünscht sich so sehr ein Dosensuppenkleid. Seine hohe, drucklose Stimme tönt aus dem Off, während Saint Laurent in seiner wunderschön leuchtrot ausgekleideten Rive-Gauche-Boutique umhergeht wie in einem prachtvollen Märchenwald, an den Schaufensterpuppen seine von Marlene Dietrich inspirierten Damenanzüge, cool und elegant. Später wird er in seinem Apartment bei Kaviar am Tisch sitzen, seine Bulldogge Moujik neben ihm, an der Wand ein Warhol-Siebdruck mit seinem Porträt. Doch für Alltagsdinge wie Suppendosen hat der Couturier, der weder in einen Supermarkt geht noch eine Glühbirne auswechseln kann, längst den Blick verloren. 1976 präsentiert er seine von den Ballets Russes inspirierte Kollektion, die durch ihre Schönheit und Maßlosigkeit in die Modegeschichte eingeht – zur Außenwelt ist der Kontakt zu diesem Zeitpunkt längst abgerissen.
Das Verhältnis von Mode und Leben bringt Bertrand Bonello in seinem formidablen »unautorisierten« Biopic »Saint Laurent« auf ganz verschiedene Weise in Stellung – der fast zeitgleich entstandene »Yves Saint Laurent«, mit dem Segen des ehemaligen Lebensgefährten, Geschäftsführer und Nachlassverwalter Pierre Bergé entstanden, sieht daneben schrecklich provinziell aus. Einmal konfrontiert der Film mittels Split Screen Nachrichtenbilder von Demonstrationen und militantem Aktivismus mit Bildern von Models, die im feinsten Tuch eine Treppe herabsteigen. Kollektion Frühjahr/Sommer, Herbst/Winter, 1968, 1969... groß kommen die Zahlen ins Bild, verbinden und trennen Zeitgeschichtliches gleichermaßen.
Die konventionellen Biopic-Dramaturgien lässt Bonello links liegen. Kein Hetzen von Station zu Station, kein Verstreichen von Zeit durch die Aneinanderreihung von Höhepunkten und Tiefschlägen. Stattdessen schafft Bonello richtungsoffene Erzählräume. Und er nimmt sich dafür alle Zeit der Welt: für die delirierenden Drogenexzesse und schwulen Orgien mit dem so anziehenden wie verdorbenen Dandy-Geliebten Jacques de Bascher, für den verhätschelten Moujik, für die Näherinnen, die über einem komplizierten Schnittmuster auch schon mal in Tränen ausbrechen. Oder für eine lange, zweisprachige Geschäftskonferenz mit internationalen Partnern.
»Souvenirs de la maison close« – so war Bonellos Bordell-Film »Haus der Sünde«
(fd 41 006) untertitelt. Auch »Saint Laurent« beschreibt im Grunde eine geschlossene Welt. Der Film spielt fast nur in Innenräumen, im künstlichen Licht, Saint Laurent zieht sich immer mehr zurück, in seinem Apartment schafft er sich seine Fantasiewelt – Spiegel an Wänden und Decke, eine goldene Buddha-Statue, Marmortische, gehalten von drei Cobras aus Bronze, er träumt von einem Matisse, einem Mondrian. Einmal, der fragile Meister droht gänzlich in die Selbstzerstörung abzudriften, wird er von Bergé zu Hause eingesperrt. Er muss funktionieren, Bergé schiebt ihm den frisch gespitzten Bleistift hin, die Näherinnen warten auf die Entwürfe. Plötzlich ist der alte, gebrechliche Helmut Berger der alte, gebrechliche Saint Laurent. Er verabschiedet sich von der Modewelt, doch es ist nicht der Schlusspunkt einer Biographie. Der Film springt zurück, springt zwischen den Zeiten, ein ewiger Kreislauf. Maria Callas wird noch viele Jahre in Saint Laurents Reich singen. Gegen Ende hängt ein Mondrian an der Wand.