Drama | Deutschland 2019 | 81 Minuten

Regie: Sven O. Hill

In den 1980er-Jahren erleichtert ein junger Bankangestellter aus Hamburg seinen Arbeitgeber durch eine bürokratische Sicherheitslücke um über zwei Millionen Mark. Mit seinem besten Freund flieht er nach Australien, schafft es aber nicht, ein Leben im Luxus zu führen, sondern laboriert an der Trennung von Frau und Kind. Eine genre- und gattungsübergreifende Mischung aus Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilm, in der die wahre Geschichte als verschmitzt zurückblickende Erzählung dargeboten wird. Die sympathisch schrullige Tragikomödie erzählt von verpassten Chancen und dem Wunsch, der kleinbürgerlichen Konformität zu entgehen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Salto Film
Regie
Sven O. Hill
Buch
Sven O. Hill
Kamera
Sven O. Hill
Schnitt
Sven O. Hill · Hendrik Maximilian Schmitt
Darsteller
Daniel Michel (Rüdi) · Tomasz Robak (Tobi) · Leonard Kunz (Speedy) · Fabienne Elaine Hollwege (Madame de Junker) · Laurens Walter (Dedel)
Länge
81 Minuten
Kinostart
26.08.2021
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie

Schrullige Tragikomödie um einen jungen Bankangestellten, der in den 1980er-Jahren seinen Arbeitgeber um zwei Millionen Mark beraubt.

Diskussion

Die Schwermut und Freudlosigkeit von Büroangestellten sind eine eigene Kategorie von Traurigkeit, der scheinbar nicht zu entkommen ist. Ob er noch Lust habe auf seinen Job, fragt der Rocker Tobi seinen Kumpel Rüdi einmal spät abends, als sie sich schon an die Kneipentheke klammern müssen, um nicht vom Stuhl zu fallen. Nein, eigentlich nicht. Er mache jeden Tag einen Spagat zwischen Rockergang und Bank-Job, stolpere nicht selten frühmorgens aus der Spelunke, tausche die Kutte gegen den Anzug und gehe in die Arbeit, erzählt er aus dem Off. Er habe nie so richtig dazugehört, sei aber so hoch spezialisiert in seinem Bereich, dass sein Job sicher sei.

Diese Erkenntnis ist der Wendepunkt in dem Regiedebüt von Sven O. Hill. Rüdi beschließt, sich seinem Schicksal nicht zu ergeben, sondern sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wer käme leichter an Geld als ein Bankkaufmann? Was folgt, ist eine der sagenhaftesten Betrugsstorys, die das Kino je gesehen hat. Sagenhaft deshalb, weil sie die deutsche Bürokratie so schön beim Schopf packt und gegen sich selbst richtet. Sagenhaft aber auch, weil sie von vorne bis hinten wahr ist.

„Coup“ ist nämlich kein klassischer Spielfilm, sondern ein schlauer Hybrid aus Dokumentar-, Spiel- und Animationsfilm. Hill stieß mehr oder weniger zufällig auf einen nahezu unbekannten Fall, der in den späten 1980er-Jahren in Hamburg stattfand. Ein 22-jähriger Bankangestellter übersprang beim Entwerten von Aktiencoupons immer wieder einzelne Zettelchen und löste diese später nochmals ein. Mit dieser Methode erleichterte er seine Bank um über zwei Millionen Mark und setzte sich mit seinem Rocker-Kumpel nach Australien ab.

Unbekannt blieb der Fall deshalb, weil die beiden nach ein paar Wochen reumütig wieder heimkehrten, einen Großteil des Geldes zurückgaben und deshalb nur wegen Entwendung von Altpapier verurteilt wurden.

Der Drahtzieher erzählt selbst

Diese Geschichte erzählt der Drahtzieher selbst. Seinen Namen verrät er nicht und bleibt bei den wenigen Szenen, in denen er im Bild zu sehen ist, im Schatten. Hill traf ihn zu mehrstündigen Interviews, ging mit ihm an der Elbe spazieren. Die in breitem Hamburgerisch und mit süffisanter Selbstironie erzählte Tonspur ist die Basis von „Coup“. Hill, bisher als Kameramann tätig und hier Autor, Regisseur, Kameramann und Produzent in Personalunion, bebildert all dies mit Spielszenen. Dort, wo das minimale Budget von 80.000 Euro nicht ausreichte, verwendet er Archivfotos und kurze Animationssequenzen von Xaver Böhm.

Herausgekommen ist eine sympathisch-schrullige Tragikomödie über halbstarke Überheblichkeit, die auf die Sehnsucht nach einem Leben jenseits des konventionellen Alltagstrotts trifft – und auf den Wunsch, das System auszutricksen. Irgendwo zwischen Doku-Fiction und True Crime ist „Coup“ mit Bart Laytons ähnlich zwischen den Gattungen und Genres balancierendem Heist-Thriller American Animalsverschwistert. „Coup“ ist ein Film über verpasste Chancen, der in seiner Ironie an die grau-beige Beamtentraurigkeit in den Filmen von Roy Andersson erinnert und in seiner Lakonie an das philosophische Lamento bei Aki Kaurismäki. Die skandinavische Nüchternheit ersetzt er jedoch mit der selbstironischen Herzlichkeit seines norddeutschen Protagonisten.

Sinn für komödiantische Absurdität

Dessen verschmitzt rückblickende Erzählung verzahnt Hill beinahe nahtlos mit den Spielszenen, bleibt dabei immer auf Augenhöhe mit den Figuren und hat einen Sinn für die komödiantische Absurdität des gesamten Vorhabens. Als die beiden etwa mit einem Strohmann in Luxemburg ein Nummernkonto eröffnen wollen, verweist die diskret-misstrauische Bankangestellte sie auf eine Tochtergesellschaft der Institution, weil diese möglicherweise ihren erhöhten Sicherheitsstandards entsprechen würde. Großkotzig grinsend beteuern sie, ihr Geld sei legal und da habe man ja wohl nichts zu befürchten – und kommen damit durch. In solchen Momenten springt ihre diebische Freude über und lässt bei dieser unsäglichen Frechheit regelrecht mitfiebern.

Das liegt nicht zuletzt an der sensationellen Besetzung der beiden Hauptrollen: Daniel Michel spielt Rüdi mit einer solch einnehmenden Nonchalance und Tomasz Robak seinen Kumpel Tobi so schulterzuckend wurstig, dass ihre kriminelle Energie eher wie ein schelmenhafter Streich wirkt denn wie der Millionenbetrug, der ihr Coup tatsächlich ist. „Einem 22-Jährigen fehlt die sittliche Reife, ein paar Millionen zu klauen“, kommentiert der Erzähler trocken, als er davon erzählt, wie die beiden in Australien plötzlich das Heimweh packt und sich dann auch noch Rüdis Freundin weigert, mit dem gemeinsamen Kind nachzukommen. „Ich hab’ das Geld doch für euch geklaut! Für uns! Was mach’ ich denn jetzt?“, lässt Hill ihn ins Telefon jammern und macht Rüdis tiefsitzende Kleinbürgerlichkeit damit vor allem menschlich.

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