Monos - Zwischen Himmel und Hölle

Drama | Kolumbien/Argentinien/Niederlande/Dänemark/Schweden/Uruguay/Deutschland/USA 2019 | 103 Minuten

Regie: Alejandro Landes

Filmdaten

Originaltitel
MONOS
Produktionsland
Kolumbien/Argentinien/Niederlande/Dänemark/Schweden/Uruguay/Deutschland/USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Stela Cine/Mutante Cine/Campo Cine/Lemming Film/Snowglobe Film/Film i Väst/Pandora Film/CounterNarrative Films
Regie
Alejandro Landes
Buch
Alejandro Landes · Alexis Dos Santos
Kamera
Jasper Wolf
Musik
Mica Levi
Schnitt
Yorgos Mavropsaridis · Ted Guard · Santiago Otheguy
Darsteller
Sofía Buenaventura (Rambo) · Julián Giraldo (Lobo) · Karen Quintero (Lady) · Moises Arias (Bigfoot) · Julianne Nicholson (Doctora)
Länge
103 Minuten
Kinostart
04.06.2020
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
DCM/Leonine (16:9, 2.35:1, DD5.1 span./dt.)
Verleih Blu-ray
DCM/Leonine (16:9, 2.35:1, dts-HDMA span./dt.)
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Virtuos inszeniertes Drama um acht Kindersoldaten, die in der Einsamkeit der kolumbianischen Bergwelt eine US-Geisel bewachen und sich darüber gegenseitig zerfleischen.

Diskussion

Irgendwann, irgendwo auf der Spitze eines kolumbianischen Bergmassivs. „Ich habe euch Proviant mitgebracht. Und eine neue Rekrutin. Sie heißt Shakira. Shakira ist eine Milchkuh. Ihre Milch ist sehr nahrhaft und vitaminreich. Aber Shakira ist kein Geschenk. Sie ist eine Leihgabe an die Organisation, ein Beitrag zu unserem Kampf.“ Schon diese kryptischen Sätze eines kleinwüchsigen „Boten“ an eine achtköpfigen Kindersoldatentruppe, die sich „Monos“ nennt und mit ironischen Kampfnamen agiert, unterstreichen die obskure Atmosphäre des Films von Alejandro Landes.

Im Zentrum des außergewöhnlichen Hybridfilms, der professionelle Schauspieler wie Julianne Nicholson und Moisés Arias mit Laiendarstellern vereint und zahlreiche Referenzen aus Kriegs- und Abenteuerfilmen zitiert, steht der titelgebende Kindertrupp „Monos“, was im Spanischen sowohl „Affe“ wie „Hampelmann“ bedeutet und sehr gut zur fiebrigen, teilweise auch schwarzhumorigen Grundstimmung des Films passt. Rambo, Schlumpf, Bigfoot, Lady, Lobo, Perro, Sueca und Boom Boom spielen anfangs eine Partie Fußball: mit verbundenen Augen in 4000 Metern Höhe und in einer ebenso mysteriösen wie unwirtlichen Bunkerlandschaft mitten in den Anden.

Die rauen Nachwuchskämpfer halten im Auftrag einer ominösen „Organisation“, die sich nur per Bote oder Funkgerät meldet, eine „Doctora“ in Geiselhaft. Die ausgemergelte US-Amerikanerin, die eigentlich Ingenieurin ist und von Julianne Nicholson überzeugend verkörpert wird, soll Lösegeld einbringen, wird aber schon seit längerem gefangen gehalten. Sie verliert zusehends den Verstand; wortlos verfolgt sie das Geschehen um sie herum, in dem trotz anfänglicher paramilitärischer Hierarchie immer stärkere Spannungen wahrzunehmen sind.

Die Hackordnung wird auf eine Zerreißprobe gestellt

Als ein Teenager sturzbetrunken die „heilige Kuh“ mit einer Bleisalve tötet und ein (Luft-)Angriff aus dem Hinterhalt erfolgt, werden die Monos mitsamt ihrer Geisel zur Flucht in den tiefergelegenen Dschungel gezwungen, was die brüchige Hackordnung innerhalb der Truppe vor eine Zerreißprobe stellt. Als dann auch noch der Geisel die Flucht gelingt und die jüngsten Vergehen des neu ernannten Truppenführers Bigfoot durch den Boten drakonisch geahndet werden sollen, eskaliert die angespannte Gruppendynamik.

Im Wechsel aus kanalisierter Aggression und disziplinarischer Erosion, der in seiner wuchtigen Bildsprache von „Aguirre, der Zorn Gottes“ über „Apocalypse Now“ bis „Beim Sterben ist jeder der Erste“ und „Beau Travail“ beeinflusst ist, lässt sich „Monos“ als dramaturgisch kühne, formalästhetische herausragende Neuadaption von William Goldings „Der Herr der Fliegen“ und Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ interpretieren, die der Regisseur ins Kolumbien der Gegenwart überführt.

Die Grenzen einer utopischen Gesellschaft

Mit radikal ökonomischen Mitteln, starker Stilisierung, visuellem Verve und ohne moralische Wertung reflektiert der in Brasilien geborene Filmemacher die Dysfunktionalität einer Guerillagruppe in Lateinamerika, wo innen- wie außenpolitisch selten klar ist, wer „gut“ und „böse“ oder überhaupt gerade an der Macht ist oder wohin sich der oft Jahrzehnte wuchernde Bürgerkrieg tatsächlich entwickelt. Ende? Offen. Genauso wie das überraschende Finale in „Monos“.

Alejandro Landes lotet die Grenzen einer utopischen Gesellschaft aus, die sich von (Staats-)Terrorismus und sozialer Diskriminierung lossagen will, bis am Ende die große Bombe einschlägt und alle Träumer unter sich begräbt. Die soghafte Bildsprache überführt so metaphernreich wie spannend den sprichwörtlichen „Nebel des Krieges“ (Carl von Clausewitz) auf die höchst fragile Gesamtsituation Kolumbiens, wo sich FARC-Rebellen und Drogenbarone weiterhin mit der Armee und paramilitärischen Milizen um die Bodenschätze bekriegen.

„Monos“ orchestriert das Aufeinandertreffen von adoleszenter Aufmüpfigkeit mit der Barbarei des Krieges mit atemberaubenden Tableaus, die im Zusammenspiel mit dem avantgardistischen Score von Mica Levi gerade in der zweiten Hälfte des Films, die vorwiegend im Urwald spielt, einen fulminanten Bildersturm entfesseln.

In teilweise berstenden Mini-Sequenzen, die kaum Dialoge enthalten und ästhetisch einfallsreich auf Überwältigungsstrategien setzen (Bildgestaltung: Jasper Wolf), gelingt es dem fiebrigen Filmzwitter, arrivierte Genres wie den Abenteuer- oder Kriegsfilm mit visueller Brillanz und wohldosierter Ironie neu auszuloten. Im cleveren Zusammenspiel aus jugendlicher Dynamik, suggestiven Klangmotiven und einer realistisch-dokumentarisch anmutenden Bildgestaltung, die aber auch assoziative Symbolik zulässt, gehört „Monos“ zu den synästhetisch eindrucksvollsten Filmen des aktuellen Kinojahres.

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