Komödie | Deutschland 2022 | Minuten
Regie: Lisa Miller
Filmdaten
- Originaltitel
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2022
- Regie
- Lisa Miller · Simon Ostermann
- Buch
- Johannes Boss
- Kamera
- Claire Jahn
- Musik
- Felix Raffel · Daniel Strohhäcker
- Schnitt
- Ramin Sabeti
- Darsteller
- Mala Emde (Helene) · Edin Hasanovic (Oskar) · Knut Berger (Günther) · Salka Weber (Maike) · Madieu Ulbrich (Jason)
- Länge
- Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie | Serie
Deutsche Sitcom mit Mala Emde als 24-jährige Antiheldin, deren Leben das genaue Gegenteil selbstoptimierter und Instagram-tauglicher Perfektion ist.
Gleich in der ersten Episode fackelt Helene alias Hell (Mala Emde) ein ganzes Wäldchen ab. Nicht aus Absicht, muss man ihr zugutehalten, sondern wegen einer achtlos weggeworfenen Kippe, während Hell – wie so oft – mit dem Kopf woanders war. Mit der Realität im Hier und Jetzt hat die 24-Jährige so ihre Probleme. Was sich immer wieder rächt: Hell ist groß im „Verkacken“, wie sie in einem ihrer Off-Monologe sagt. Mit dem Jurastudium hat es nicht geklappt, und auch den Job in einer Kita, mit dem sie sich am Beginn der Sitcom von Autor Johannes Boss über Wasser hält, ist sie bald wieder los. In dem Call Center, in dem sie danach anheuert (und auch bald wieder gefeuert wird), wird ihre Vorgesetzte ihr sagen, dass das, was Helene am Telefon verzapft, sich eher nach Moderner Kunst als nach einem Verkaufsgespräch anhört.
Spezialistin im Verkacken und Vertuschen
Kurzum: Wenn es statt Instagram eine „Losergram“-Plattform gäbe, wäre das, wie Hell in einem weiteren Monolog mitteilt, genau ihr Ding. Da dem nicht so ist, versucht sie, sich im Zeitalter der Selbstoptimierer, Start-Upper und Social-Media-Selbstdarsteller irgendwie durchzumogeln. Bevorzugt durch Lügen. Die acht Episoden folgen Helene durch einen irrwitzigen Parcours von Verkacken, Vertuschen und Versuchen, auf ihre konfuse Weise doch ein bisschen glücklich zu werden. Das Ergebnis ist eine Serie, deren hinreißend schräge, widersprüchliche Heldin und schwarzhumoriger Charme an britische Vorbilder wie „Fleabag“ oder „Pure“ denken lassen; bei Exkursen in Hells nimmermüde Imagination fühlt man sich zudem an die Kultserie „Scrubs“ erinnert.
Johannes Boss, Autor von „Jerks“, war zuletzt mit „KBV - Keine besonderen Vorkommnisse“ und „Deadlines“ auf der brachial-kalauernden Seite der Comedy unterwegs; mit „Oh Hell“ gelingt ihm dagegen wieder ein Glanzstück. Zwar ist auch hier der Humor schon mal gerne derb, doch bei aller Lust an schrägen Pointen und karikierenden Zuspitzungen behalten Drehbuch, Inszenierung und Darsteller immer einen Sensus für den verletzlich-menschlichen Kern der Figuren.
Lügenmärchen und echte Gefühle
Im Zentrum stehen Hells Beziehungen zu einer Handvoll ihr nahestehender Menschen. Zum Beispiel zu ihrer Kindheitsfreundin Maike (Salka Weber), zu der Hell ein gespaltenes Verhältnis hat: Einerseits ist da eine lang gewachsene Verbundenheit; andererseits ist Maike, die als Influencerin erfolgreich ist und ein unerträglich musterhaftes Leben führt, für Hell ein rotes Tuch, das sie nervt, das sie gleichzeitig aber auch beneidet. Später in der Serie wird Oskar, eine weitere für Hell wichtige Bezugsperson, über Maike treffend sagen, dass sie und ihr Freund wirken, als hätten sie eine Liste, wie man im 21. Jahrhundert alles richtig macht, und würden diese nun brav abarbeiten. Die aufschneiderischen Lügengeschichten, die Hell der Freundin ständig auftischt, flirren zwischen Notwehr, um neben Mrs. Perfect nicht nackt dazustehen, und ironischer Veräppelung von deren eigener Influencer-Poserei.
Ganz anders die Lügen, die Hell ihrem Vater (Knut Berger) erzählt: Die sind vor allem eine zärtliche Schutzmaßnahme, um den Mann, der seit der Scheidung von Hells Mutter aus der Spur ist, vor dem Chaos im Leben seiner Tochter abzuschirmen. Er ahnt denn auch nicht, dass sein „Helenchen“ das Studium abgebrochen hat, und bekommt gleich in der ersten Folge das Märchen serviert, sie hätte ihr Jura-Examen bestanden. Was einen Rattenschwanz weiterer Lügen nach sich zieht, die für urkomische Verwicklungen sorgen, zugleich aber auch etwas sehr Rührendes haben, weil Mala Emde fein das Unbehagen durchblicken lässt, das Hell ihre Unehrlichkeit dem geliebten Vater gegenüber bereitet.
Eulenspiegelin fürs Instagram-Filter-Zeitalter
Interessant gezeichnet ist auch Hells Verhältnis zu Oskar (Edin Hasanovic), ihrem Love Interest: Der Cellolehrer, der von Hell als Objekt der Begierde (und schmückender Begleiter für ein Abendessen mit Maike) sozusagen zwangsrekrutiert wird und knietief in der schrägen Welt der jungen Frau drinsteckt, bevor er überhaupt weiß, wie ihm geschieht, wird zuerst ebenfalls mit einigen strategischen Lügen eingewickelt; dann aber kämpft Hells Hang zur freien Erfindung schnell mit der Sehnsucht, so geliebt zu werden, wie sie ist.
Auch wenn Johannes Boss immer wieder Rückblenden einflicht, die in Helenes Teenagerjahre zurückspulen und um ihr Sich-Abarbeiten an der Trennung der Eltern kreisen, versucht die Serie nicht wirklich, ihr gespaltenes Verhältnis zur Realität zu analysieren oder gar zu pathologisieren (wie es gegen Ende einige der Figuren aus Hells Umfeld machen). Hell, wie die Serie sie sieht, ist kein Fall für den Arzt, sondern eher eine moderne Eulenspiegelin, deren allen Mühen zum Trotz unvertuschbares Neben-der-Spur-Sein der Generation Instagram-Filter lässig den Stinkefinger zeigt.