Science-Fiction | USA 2022 | Minuten

Regie: Alrick Riley

In der nahen Zukunft, die von Armut, Mangel und Perspektivlosigkeit geprägt ist, verdient eine junge Frau ein Zubrot für sich und ihre Familie mit Virtual-Reality-Spielen. Ein neues Headset, das ihr eine ominöse Tech-Firma für einen Beta-Test schickt, verspricht ein gutes Einkommen. Doch das mit ihm verbundene Spiel führt nicht in eine virtuelle, sondern eine tatsächliche, 70 Jahre in der Zukunft liegende Realität. Die actionreiche Science-Fiction-Serie kürzt die reichhaltigen, ausschweifenden Romanvorlage von William Gibson auf eine geradlinige, mitunter etwas fleischlos wirkende Zukunftsvision herunter, fängt aber deren gegenwartsdiagnostische Motive und Schauwerte durchaus geschickt ein. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PERIPHERAL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Amazon Studios/Big Indie Pict./Kilter Films/Warner Bros. Television
Regie
Alrick Riley · Vincenzo Natali
Buch
Scott B. Smith · Jamie Chan · Greg Plageman
Kamera
Stuart Howell · Roberto Schaefer
Schnitt
Naomi Sunrise Filoramo
Darsteller
Chloë Grace Moretz (Flynne Fisher) · Gary Carr (Wilf Netherton) · Jack Reynor (Burton) · Chris Coy (Jasper) · Louis Herthum (Corbell Pickett)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Science-Fiction | Serie | Thriller

Science-Fiction-Serie nach einer Romanvorlage von William Gibson um eine junge Frau, die 2032 durch ein vermeintliches Spiel mit einer 70 Jahre in der Zukunft liegenden Realität konfrontiert wird.

Diskussion

Etwas stimmt nicht mit dem Spiel, in das Flynn Fisher (Chloë Grace Moretz) eintaucht. Zu wahrhaftig fühlt sich ihr virtueller Körper an, zu lebendig reagiert ihre Umgebung, zu echt ist der Schmerz. Die ihr von einer fremden Stimme eingeflüsterte Mission erfüllt sie dennoch. Was sie dabei nur unterbewusst ahnt: die Beta-Version des von ihr getesteten Spiels simuliert nicht etwa eine futuristische Welt, sie führt direkt in diese Welt. 70 Jahre jenseits von Flynns Gegenwart liegt das London der Zukunft, das Flynn über ein einfaches Headset besucht, das sie mit dem Körper eines robotischen Mannequins verbindet.

Desolate Gegenwart im Jahr 2032

Das Spiel ist also kein wirkliches Spiel. Für Flynn ist es das sowieso nie gewesen. Denn die Ausflüge in virtuelle Welten sind für sie und ihren Bruder Burton (Jack Reynor) ein wichtiger Zuverdienst. In Flynns Gegenwart, dem Jahr 2032, haben sich nicht nur die Gadgets unserer Gegenwart (Virtual-Reality-Brillen, E-Bikes, 3D-Drucker, Drohnen), weiterentwickelt, sondern auch die Zivilisationskrankheiten. Lebensmittel sind teuer, Jobs sind schwer zu finden, die junge Generation ist vom Krieg gezeichnet.

Burton ist als Teil einer Eliteeinheit, die über haptische Tattoos eine quasi-telepathische Verbindung hat, in den nicht näher definierten Krieg gezogen. Im Gegensatz zu seinem Kameraden und Freund Connor (Eli Goree), der bis auf seinen linken Arm alle Gliedmaßen im Krieg verloren hat und seinen Hightech-Rollstuhl/Motorrad-Hybriden nur noch in Richtung der örtlichen Bar bewegt, ist er weitgehend unversehrt zurückgekehrt. Genug Auskommen, um die Schmerzmittel der blinden und bettlägerigen Mutter zu bezahlen, hat er jedoch ebenso wenig wie Flynn. Also tauchen die Geschwister abwechselnd in virtuelle Simulationen ab, um reiche Spieler für ein Entgelt durch schwierige Levels simulierter Weltkriegsszenarien zu begleiten.

Durch den Quantentunnel

Das Zeitreise-Szenario, in das der Virtual-Reality-Brotverdienst der Fisher-Geschwister mündet, stammt aus der Feder von William Gibson. Dessen Romanvorlage entwirft die „plausibelste“, oder besser: ausgefeilteste Version der Zeitreise, die die jüngere Science-Fiction-Geschichte zu bieten hat. Die Zeit wird nicht physisch, sondern mit Daten durchschritten. Der Quantentunnel, durch den diesen Daten aus der Zukunft in die Vergangenheit gelangen, umgeht das Großvater-Paradoxon („Kann eine zeitreisende Person existieren, wenn sie in den Vergangenheit reist und den eigenen (jungen) Großvater umbringt?). Die Zeit- bzw. Kausalitätsverbindung zwischen Zukunft und Vergangenheit wird mit der Reise durch den Quantentunnel gekappt. Die Zukunft, die Flynn in der Simulation zu sehen bekommt, ist also nicht mehr ihre eigene Zukunft. Dennoch sind die Fragen, die das London, das 70 Jahre in der Zukunft liegt, für sie und die Welt im Allgemeinen aufwirft, mehr als beunruhigend.

Die Straßen des zeitlich fernen Londons sind leer. Die opulente Architektur ist wie ein Teil der noch sichtbaren Bevölkerung nicht echt, sondern eine Augmented-Reality-Illusion. Den Grund dafür enthüllt der nach einer gescheiterten Mission an ihre Seite auftauchende Wilf Netherton (Gary Carr). Zwischen beiden Zeiten liegt Gibsons Version des Armageddon: der „Jackpot“, eine Reihe kataklytischer Ereignisse, die innerhalb weniger Jahrzehnte zum Kollaps der Öko- und Gesellschaftssysteme führen. Wiederaufgebaut wird die Welt von Oligarchen-Clans, den sogenannten „Klepts“. Wilf arbeitet für Lew Zubow (JJ Feild), der ranghohes Mitglied eines Klepts ist und Flynns Talente für seine eigene Agenda zu nutzen gedenkt.

Zeit-Kolonialismus

Der Zeittunnel, der den Oligarchen normalerweise, freilich jenseits aller ethischen Bedenken, dazu dient, die Vergangenheit als unendlichen Datenrohstoff, als Spielwiese für soziale, medizinische und militärische Experimenten zu benutzen, macht Flynns Gegenwart bald zum Schauplatz des Kräftemessens zwischen den Mächten der Zukunft. Geld und Waffen gelangen durch Quantentunnel in die Vergangenheit, wo lokale Drogenbosse, Ex-Militärs und Auftragskiller zu Söldnern des Science-Fiction-Stellvertreterkriegs werden.

Zivilisationskollaps, der Wiederaufbau durch die Kleptokratie, Zeit-Kolonialismus und das nochmals deutliche verschobene und verkomplizierte Verhältnis von Mensch und Technik: All das wird in der Adaption, zusammen mit dem großen Batzen der Gibson’schen Gegenwartsdiagnose (Ausbeutung, Klassenkampf, gesellschaftsgefährdende Algorithmen, eine den Planeten konsumierende Menschheit), recht elegant im Vorbeigehen eingefangen. Doch so ambitioniert das World Building der fernen Zukunft auch sein mag, so fleischlos wirkt die nahe Zukunft, sprich: Flynns Gegenwart. Viele der gesellschaftlichen Leerstellen, die die Katastrophe ankündigen sollen, die das London der Zukunft bereits hinter sich hat, bleiben ein Raunen aus der Ferne, das, sobald Flynn in ihre gemütliche Kleinstadt zurückkehrt, erstmal nicht mehr zu hören ist.

Action und Pulp

„Peripherie“ ist in Serienform eine sichtbar veränderte, deutlich geradlinigere Geschichte, die inhaltliche Ausschweifungen, Komplexitäten und Unschärfen ebenso glättet wie den geradezu frustrierend fluiden Stil der Vorlage. Geblieben ist der Pulp. Drogendealer, die ihre Konkurrenz in SUVs ersticken, um sie anschließend an Kreuzen aufzuhängen, futuristische Waffen aus dem 3D-Drucker, mit denen die Vergangenheit überwältigt wird, und natürlich Flynns Talente, durch virtuelle Welten zu navigieren, die eine Vielzahl von soliden Martial-Arts-Einlagen produzieren. Tatsächlich ist „Peripherie“ ziemlich gut darin, Action und Pulp in Bewegtbild zu fassen.

Schwieriger wird es dort, wo die Idiosynkrasien der Zukunftstechnologie sich nicht in einfache, bekannte Action-Muster übersetzen. Wo sich die Mannequins nicht die Köpfe einschlagen, sondern Daten hin und her fliegen und die Widersacherinnen aus verschiedenen Zeiten dann doch wieder auf das leicht futuristische beziehungsweise das sehr futuristische Keyboard einhacken. Das Spiel, das kein Spiel ist, bleibt faszinierender als die harte Realität, die nicht immer so hart aussieht, wie sie aussehen sollte. Wer möchte, mag auch darin ein Stück Gegenwartsdiagnose erkennen.

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