Fantasy | Großbritannien 2023 | 242 (8 Folgen) Staffel 1 240 (8 Folgen) Staffel 2 Minuten

Regie: Toby MacDonald

Komödiantische Serie um eine junge Frau Mitte zwanzig, die in einer Welt lebt, in der alle Menschen mit ihrer Volljährigkeit über eine Superkraft verfügen. Nur sie wartet mit Mitte zwanzig noch immer auf ihre besondere Gabe. Ihre beiden besten Freunde schicken sie deshalb sogar in eine auf ähnliche Fälle spezialisierte Klinik. Die Sitcom funktioniert außergewöhnlich gut, weil der Stoff auch für visuelle Scherze taugt. Der erzählerische Fokus liegt aber ganz auf den Figuren, die so egoistisch und anstrengend wie menschlich und liebenswert sind. Aus ihren Differenzen, Streitereien und emotionalen Kämpfen schlägt die Serie großartig Funken und lässt den Figuren überdies Raum für überzeugende, authentische Weiterentwicklungen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EXTRAORDINARY
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Sid Gentle Films
Regie
Toby MacDonald · Jennifer Sheridan · Nadira Amrani
Buch
Emma Moran
Kamera
Álvaro Gutiérrez · Carlos Catalán · Luke Bryant · Daniel Stafford-Clark
Schnitt
Adam Moss · Carly Brown · Dan Crinnion · Galina Chakarova
Darsteller
Máiréad Tyers (Jen) · Sofia Oxenham (Carrie) · Bilal Hasna (Kash) · Luke Rollason (Jizzlord) · Shaun Mason (Randall)
Länge
242 (8 Folgen) Staffel 1 240 (8 Folgen) Staffel 2 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Fantasy | Komödie | Science-Fiction | Serie
Externe Links
IMDb | JustWatch

Komödiantische Fantasy- und Coming-of-Age-Serie um eine junge Frau Mitte zwanzig, die in einer Welt, in der alle Menschen mit ihrer Volljährigkeit über eine Superkraft verfügen, noch immer auf ihre besondere Gabe wartet.

Diskussion

Superheld:innen sind im Kino und auf Streaming-Plattformen überall zu finden. Das ist einerseits nervig, weil es dafür sorgt, dass viel zu viele Filme mit bombastischem Gestus und lautem Gedröhne einen Spezialeffekt nach dem anderen abfeuern. Andererseits ist es aber auch erfreulich, weil die schiere Menge an Superkraft-getriebenen Formaten inzwischen geradezu nach Abweichungen vom Schema F des Genres schreit und für Abwechslung und gelegentlich sogar überraschenden Tiefgang sorgt. Während die Filme des „Marvel Cinematic Universe“ sich darum bemühen, zu den Göttermythen der globalen Gegenwart zu werden und die Odyssee und die Edda in eins verquirlen, und das „DC Extended Universe“ vor allem darauf fokussiert scheint, Männer mit Mutterkomplex bei der düsteren Destruktion von Großstädten zuzuschauen, blühen an den Rändern längst ganz andere Geschichten.

In der britischen Sitcom „Extraordinary“ von Toby MacDonald ist die eine Person, die im Zentrum steht, vor allem deshalb so besonders, weil sie im Gegensatz zu allen anderen keine Superkräfte hat. Normalerweise bekommen in dieser Welt alle mit der Volljährigkeit auch Superkräfte. Niemand weiß zwar vorab, welche Kraft das sein wird, und bei manchen dauert es auch etwas länger. Doch Jen (Máiréad Tyers) ist schon Mitte zwanzig und zunehmend verzweifelt. Also versuchen ihre beste Freundin Carrie (Sofia Oxenham) und deren Freund Kash (Bilal Hasna) zu helfen, indem sie sie in besonders stressige Situationen bringen, was das Sich-zeigen von Superkräften triggern kann, oder bei einer Klinik anmelden, die in Fällen wie Jens Abhilfe verspricht.

Die Superkräfte können sehr eigen sein

Wenn alle besonders sind, ist niemand etwas Besonderes. Diesen Zusammenhang entdeckte schon der kleine Superheld Dash in „Die Unglaublichen“. Auf die Menschen in „Extraordinary“ trifft das besonders zu, weil die Superkräfte zum Teil eher doch recht seltsam sind. Die coolen Leute können zwar fliegen, sind schnell oder, wie Jens Schwester Andy (Safia Oakley-Green), superstark. Anderen aber schwebt immerzu eine Wolke über dem Kopf. Einer kann seinen Anus als 3D-Drucker für beliebige Objekte nutzen. Und dann gibt es auch noch den schüchtern-verklemmten Nerd, dessen Berührungen beim Gegenüber sofort einen Orgasmus auslösen.

Schon diese Ideen böten reichlich Stoff für brachialen Humor. Doch die Drehbuchautorin Emma Moran spielt die schrägen Superkräfte eher als Gags im Vorübergehen aus. Sie interessiert sich mehr für die Figuren und ihre langsame, aber stetige Entwicklung. Das macht die Serie so witzig wie überzeugend.

Jen, Carrie und Kash sind das, was man in den 1990er-Jahren „Slacker“ genannt hätte: junge Erwachsene ohne besondere Ambitionen, ganz und gar mit sich selbst beschäftigt. Mehr noch: Jen ist egoistisch, emotional unreif und hat zu alldem eine meist herablassende Meinung. Sie ist jederzeit bereit, die Nachgiebigkeit ihrer besten Freundin für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Carrie, deren Superkraft darin besteht, Verstorbene durch sich sprechen zu lassen, biet ihr nicht zuletzt regelmäßigen Kontakt zu ihrem Vater.

Kash hingegen scheut jede Verantwortung. Er will keinen Job annehmen, sondern lieber eine Gang von Superheld:innen gründen, um die Kriminalität auf den Straßen zu bekämpfen. Das Unterfangen scheitert aber schnell daran, dass der bunte Haufen sich nicht einigen kann, ob sie nur Frauen oder auch Männer beschützen sollen. Überdies stellt sich heraus, dass ihr angeblicher Anführer Kash ein ziemlich großer Angsthase ist. Seine Superkraft, die Zeit um ein paar Momente zurückzudrehen, nutzt er vor allem, um dies vor den anderen geheimzuhalten.

Kleine komische Knallfrösche

Fehlerhaft, unvollkommen, zutiefst menschlich und verunsichert: Aus diesen Charakteren schlägt „Extraordinarity“ mit großer Eleganz witzige Funken und macht sie damit zugleich zutiefst und beglückend menschlich. Zwar möchte man insbesondere Jen und Kash nicht unbedingt als Freund:innen haben, aber man möchte ihnen unbedingt bei ihren Abenteuern zusehen und wünscht ihnen von Herzen, dass sie ihren Weg finden.

Den Gegenpol zu diesen beiden Figuren bilden Carrie, die sich schon mal einen verstorbenen Adeligen in den Körper holt, um mit ihm zum Rendezvous ins Museum zu gehen. Und dann ist da noch Jizzlord (Luke Rollason): Der scheint zunächst eine streunende Katze zu sein, die bei Jen eine Bleibe findet, entpuppt sich dann aber als Gestaltwandler, der urpötzlich in seine menschliche Gestalt zurückfindet und nackt auf Jens Bett und mitten in deren Leben sitzt. Der freundlich-zurückhaltende, gutmeinende und gutaussehende junge Mann kann sich weder an sein früheres Leben noch an grundlegende menschliche Verhaltensweisen erinnern. Das ist ein erzählerisch brillanter Schachzug, denn Jizzlords unschuldige Fragen wirken wie kleine komische Knallfrösche.

„Extraordinary“ bleibt dabei immer eine dichte Erzählung; die jeweils acht Episoden der bislang zwei Staffeln wahren jeweils ihren eigenen Spannungsbogen und haben den Mut, die Figuren tatsächlich bei ihrer persönlichen Entwicklung und durch Veränderungen zu begleiten. Das tut mitunter auch Marvel, das in seinen Serien kleinere, persönlichere Geschichten mit mehr charakterlicher Tiefe als in den Filmen erzählt. So sind von „Daredevil“ und „Jessica Jones“ bis hin zum leichtfüßig-charmanten „Hawkeye“ immer wieder kleine Perlen dabei.

„Extraordinary“ aber interessiert sich nicht für den Glamour der Marvel-Figuren, auch nicht für zynisch verpackte Gesellschaftskritik à la „The Boys“. Die Serie schaut vielmehr mit liebevollem Blick auf fehlerhafte Figuren und füllt den Weg mit abseitigen Ideen und kleinen Exkursen. So ist Platz für eine Halloween- Episode, für einen Besuch in Jens und Carries alter Schule oder ein Superhelden-Musical, das gleichzeitig schlechter und viel besser ist als das bemerkenswerte Avengers-Broadway-Musical aus der „Hawkeye“-Serie.

Viel Raum für authentische Entwicklungen

In der zweiten Staffel müssen Carrie und Kash ihre Beziehung neu definieren und finden, während Jizzlord plötzlich nicht mehr nur eine Familie hat. Die Superkräfte treten auch bei den Gags stärker in den Hintergrund. Stattdessen entwickeln die Figuren noch mehr Innenleben und Gefühle. Bis hin zu einem Hörbuch aller Lügen, die Jen jemals erzählt hat, „read by Derek Jacobi“. Es empfiehlt sich, „Extraordinary“ unbedingt in der englischen Originalversion zu schauen.

Was die Story von Emma Moran daraus destilliert, sind in den abschließenden Episoden furchtbar wahre, auch schmerzhafte Momente über Liebe und Trauer, Verlust und Angst, Eifersucht und Glück und Freundschaft.

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