Der Rosinenberg

Dokumentarfilm | Deutschland 1995 | 86 Minuten

Regie: Trevor Peters

Einst lebten auf dem Rosinenberg, einer kleinen Erhebung in Mecklenburg, die schönsten Mädchen der Gegend; heute sind es drei alleinstehende Künstler. Einfühlsames impressionistisches Porträt eines Ortes und seiner Bewohner, das seine dokumentarische Recherche in das Gewand eines Märchens kleidet. Durch Rückblenden in die Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg gewinnt der Film an politischer wie historischer Tiefenschärfe, ohne seine Orientierung an individuellen Schicksalen aufzugeben. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Der Ochsenkopf
Regie
Trevor Peters
Buch
Trevor Peters
Kamera
Niels Bolbrinker
Schnitt
Margot Neubert-Maric
Länge
86 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Wenn Dokumentarfilme ins Kino wollen, müssen sie mehr bieten als Talking Heads. Der in Neuseeland geboRené Filmemacher Trevor Peters setzt in seiner ruhigen Studie über drei Künstleroriginale aus der ehemaligen DDR auf einen sorgsam arrangierten Soundtrack und melancholisch-ausgewählte Landschaftsbilder aus Mecklenburg. Dort steht auch der titelgebende "Rosinenberg"; eine kleine Erhebung mit drei Bauernhäusern, die ihre Bezeichnung dem Umstand verdankt, daß dort früher einmal die schönsten Mädchen der Gegend zuhause waren. Heute bewohnen drei alleinstehende Männer die Anwesen, ein Maler, ein Fotograf und ein Kunsttischler, allesamt Großstadtflüchtlinge, die Anfang der 80er Jahre Berlin den Rücken kehrten, um in der ländlichen Abgeschiedenheit Ruhe und neue Inspriration zu finden.

Der Film beginnt wie ein Märchen, mit traumhaften Bildern von alten Kastanienalleen, sanften Flötentönen und dem verklärten Hinweis auf die Geschichte des Ortes. Um so krasser muten die Kommentare der Dorfbewohner an, die das Leben der schrulligen Einzelgänger mit schiefem Blick beobachteten und für die Stasi bereitwillig Buch führten: Deutscher Kleingeist, gepaart mit pflichtschuldigem Untertanentum, dem die kunstversessenen Sonderlinge sogleich als "Oppositionelle" erschienen, die es zu überwachen galt. Peters hingegen zeigt mehr Interesse für die Lebenswege der Einsiedler, begleitet sie bei ihrer Arbeit und spürt den Biografien nach, die hinter diesen Lebensentwürfen stehen. Seine impressionistischen Annäherungen erschließen überraschende Perspektiven im frauenlosen Mikrokosmos, lassen aber auch Bruchstellen sichtbar werden wie den Widerstreit zwischen Kreativität und persönlicher Bindung, Kunst und Lebensbewältigung und verschweigen auch Ängste und Einsamkeit der Männer nicht.

Aus den mitunter recht persönlichen Streifzügen durch die Lebensgeschichte der drei entstehen nicht nur locker gesponnene Porträts der kauzigen Bewohner, sondern entwickeln sich eine Reihe weiterer Erzählfäden, die in die Vergangenheit des Ortes zurückblenden: in die Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, als zuerst ein Junker und dann der Kolchosevorsitzende in der Umgebung das Sagen hatte. Im Wechselspiel zwischen Natureindrücken und den von den Wirren der Zeit geprägten menschlichen Schicksalen verdichtet sich der Film immer wieder zu einer Art historischer Vergegenwärtigung, ohne jedoch zum Lehrstück zu werden. Vom Aufstieg der Angestellten zur Gutsherrin erfährt man ebenso beiläufig wie vom erstaunlichen Schicksal einer äußerst humorigen Bäuerin, die als Kriegsflüchtling auf dem Rosinenberg ankam, zehn Kinder großzog und nach dem Tod ihres Mannes endlich ihren Lebenstraum verwirklichen konnte: als vornehmere Dame das Stadtleben zu genießen.

Es läßt sich nicht genau bestimmen, warum dieser Film für sich einnimmt. Zwischen Anekdote und Zeitmosaik findet Peters einen Weg, die privaten Biografien auf den historischen Hintergrund hin durchsichtig zu machen, einen schmalen Pfad, der den Träumen, Sehnsüchten und Abstürzen der Porträtierten ihre individuelle Note beläßt und sie doch ein Stück weit übersteigt. Vielleicht ist es aber auch nur der sympathische Blick des fremden Filmemachers, der in den allzu deutschen Mentalitäten nicht sofort das Trübe und Schwere aufdeckt, sondern sich die Freiheit nimmt, seine Recherche in die Form eines beinahe zeitenthobenen Märchens zu kleiden. Mag er sich dadurch auch mancher politischen Vertiefung beraubt haben, so gewinnt er durch seine gelassene Anteilnahme eine Haltung, die Neues entdecken hilft und zu kreativer Spurensuche anhält.
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