Falling Down - Ein ganz normaler Tag

Drama | USA 1992 | 112 Minuten

Regie: Joel Schumacher

Ein (namenloser) Bürger von Los Angeles dreht während eines nicht endenden Autostaus durch und begegnet den Frustrationen des amerikanischen Großstadtalltags mit zorniger Gewalttätigkeit. Realistische Beschreibung von Auswüchsen und Mißständen, die sich in der zunehmend kompromiß- und routinehaften Inszenierung auf unentwirrbare Weise mit rassistischen Elementen und gesellschaftlichen Vorurteilen aller Art vermischt. In seiner vornehmlich emotionalen Argumentation vermag der Film der Fatalität der Zustände weniger abzuhelfen, als daß er sie fördert.
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Filmdaten

Originaltitel
FALLING DOWN
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Warner Bros./Regency/Le Studio Canal Plus
Regie
Joel Schumacher
Buch
Ebbe Roe Smith
Kamera
Andrzej Bartkowiak
Musik
James Newton Howard
Schnitt
Paul Hirsch
Darsteller
Michael Douglas (Autofahrer) · Robert Duvall (Martin Prendergast) · Barbara Hershey (Beth) · Tuesday Weld (Mrs. Prendergast) · Frederic Forrest (Army-Shop-Besitzer)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD2.0 engl./dt.)
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Diskussion
Los Angeles, die Splitterstadt im amerikanischen Südwesten, der noch vor 20 Jahren der Ruf ereignisloser Provinzialität anhaftete, hat in den letzten beiden Jahrzehnten den Anschluß geschafft. Mehr als in allen anderen Bereichen jedoch hat sie mit New York, Detroit und Chicago gleichgezogen im Verlust an Lebensqualität, in der Infiltration durch Gangs und im Anwachsen der Gewalttätigkeit, die inzwischen sogar in die einstmals paradiesischen Enklaven des gehobenen Bürgertums Einzug gehalten hat. Wer in den Grenzen der für Smog und Erdbeben anfälligen 3,5-Millionen-Stadt lebt und arbeitet, verbringt kaum mehr einen Tag ohne Frustration. Mit zusammengebrochenem Verkehr auf den Freeways, mit Fast Food, an deren Vergiftung erst kürzlich wieder die Menschen in Scharen erkrankt sind, mit Schießereien in Schulen und Supermärkten, mit Atemnot, Streß und der Hilflosigkeit, weder mit seiner Hausangestellten noch mit dem Autowäscher kommunizieren zu können (weil die in der Regel kein Englisch sprechen), sinkt die Toleranzschwelle auf ein Mindestmaß herab, das der nicht mehr kontrollierbaren Explosion häufig bedrohlich nahekommt. Einen solchen Fall von Nervenzusammenbruch thematisiert dieser Film.

Der Mann ohne Namen - sein Autonummernschild trägt die beziehungsreichen Buchstaben "D-Fens" ("defense" = Verteidigung) - steckt in einem Stau, eine gewiß schon im Überdruck durchlebte Situation. Doch diesmal bewahrt er nicht die Ruhe, diesmal frißt er die Wut nicht in sich hinein - diesmal dreht er durch. Man erfährt von ihm, daß er ein arbeitsloser Ingenieur ist, geschieden und heute gerade auf dem Weg zur Geburtstagsparty seines Töchterchens, an der teilzunehmen ihm durch Gerichtsverfügung jedoch verboten ist. Die endlose Sinnlosigkeit des Staus, die brütende Hitze, der nicht funktionierende Fensterheber, die ihn begierig umsurrende Fliege sind Kleinigkeiten, die eine seit Jahren aufgebaute Frustration zum Überkochen bringen. Der Mann in weißem Hemd und Krawatte wird zum Verteidiger und Rächer all derer, die unter dem Druck einer Stadt und einer Gesellschaft leiden, deren Ordnungsgefüge eigentlich längst schon zusammengebrochen ist.

Wer nicht selbst in amerikanischen Großstädten gelebt hat, wird die Bilder dieses Films vermutlich wie Science Fiction betrachten: "Blade Runner" ohne die technischen Attribute. Doch wer die Situation kennt, dem sind die Modellbilder, an denen sich der Zorn des einsamen Verteidigers der Ohnmächtigen entlädt, nur allzu vertraut: der koreanische Ladenbesitzer, der nur gebrochen Englisch spricht und seine Ware zu überhöhten Preisen anbietet; die "Drive-By Shootings", denen tagtäglich unbeteiligte Passanten zum Opfer fallen; die nicht von der Stelle kommenden Straßenarbeiten, die auf den Verkehr, dem sie dienen sollen, keinerlei Rücksicht nehmen; die Imbißketten, die kalifornische Freundlichkeit längst gegen bizarre Überorganisation des Servicebetriebs eingetauscht haben; die gigantischen Läden mit Militärklamotten, in denen man sich nicht wundert, auf rassistische Neo-Nazis zu stoßen. Der Mann, dem "Falling Down" die Rache des Bürgertums überträgt, bedient sich der Waffen seiner Feinde mit wachsender Routine: vom Baseballschläger bis zu einem wechselnden Arsenal von Schußwaffen. Man könnte ihn als fleischgewordenen Robocop, als Terminator in menschlich unzulänglicher Gestalt oder als aktualisierte Neuauflage des Charles Bronson aus "Ein Mann sieht rot" (fd 19 051) abtun, wären die Zeichen an seinem Weg nicht von so alltäglicher Realistik, wären nicht seine Zornesausbrüche den unausgelebten Rachegedanken von Millionen biederer Bürger so verzweifelt ähnlich. Auch wenn sie für die Filmaufnahmen hingestellt worden sein mögen, die Wohnungs- und Arbeitslosen, der Mann mit dem AIDS-Schild, die Protestler gegen den amerikanischen Sparkassenskandal, sie sind alle zu reale Bestandteile des Großstadtalltags, als daß man die Story in den Bereich der Fiktion verweisen könnte.

Was an "Falling Down" mehr stört, als es das Faktum der Selbstjustiz per se könnte, ist die zu geringe Ernsthaftigkeit seiner Macher, die aus dem schematischen Ablauf der Geschichte deutlich wird. Dieses Sujet hätte den Zugriff eines Scorsese gebraucht, statt dessen wird es nur der konventionellen Routine Joel Schumachers teilhaftig. Bereits vorn Drehbuch benachteiligt, das den Amoklauf des durchdrehenden Duchschnittsbürgers mit der romanhaften privaten Leidensgeschichte eines dem vorzeitigen Ruhestand entgegensehenden Polizeikommissars konterkariert, verliert sich auch die Machart zunehmend in vertraute Stereotype des melodramatischen Actionkinos, bis hin zum Shoot-Out (mit der verkannten Wasserpistole). Es entbehrt aller Logik, den Jedermann dieses Films nach den zur Identifikation einladenden Eingangsszenen partout mit einer detaillierten Vergangenheit versehen zu wollen, die geschiedene Frau, das aufgeschreckte Kind und die ahnungslose Mutter immer wieder als Kronzeugen in die Handlung einbeziehend. Kaum wird nämlich die aus der Allgemeingültigkeit mehr und mehr entlassene Figur zu einem banalen Einzelschicksal, da wandeln sich auch die Modellbilder einer aus den Fugen geratenden Gesellschaftsordnung zu persönlichen Kontrahenten. Solche Individualisierung des Konfliktes mag den Produzenten des Films aus kommerziellen Gründen durchaus recht gewesen sein, die moralische Berechtigung der Story verkehrt sich dadurch jedoch ins Gegenteil. Die anfängliche Artikulation eines gesellschaftsimmanenten Zorngefühls, quasi das Ausleben einer Frustration, die fantastische Umkehrung aufgestauter Ohnmacht in plötzliche Macht, wird genau zu dem, was sie in diesem Zusammenhang nicht sein dürfte: einem privaten Rachefeldzug. Indem der Film beginnt, in Psyche und Vorleben seines Protagonisten herumzustochern, verwandelt er den namenlosen Zorn in eine zufällige Suche nach Motiven und Anlässen. Das Opfer wird psychologisiert, doch die vermeintlichen Schuldigen werden nicht denselben Spielregeln unterworfen. Schumachers soziales Engagement reicht augenscheinlich nur bis zum Vorzimmer seiner Produzenten. Die zornigen Herren in ihren weißen Hemden und adretten Krawatten zu unbequemer Reflexion zu zwingen, ist seine Sache nicht. Es könnte dabei ja herauskommen, daß die Existenz der Gangs, des Rassismus und des umweltbedrohenden Zustands einer ausschließlich Kapitalgesetzen gehorchenden Industriegesellschaft ihre Ursachen in eben diesem politischen und wirtschaftlichen System besitzt, an dem die Herren in den weißen Hemden nicht gerade unschuldig sind. Doch das wären zu unpopuläre Gedanken für einen Hollywood-Film.

Darüber hinaus ist es näheren Hinsehens wert, wer denn eigentlich als Urheber des kollektiven Zorngefühls benannt wird und wer nicht. Obwohl es in Los Angeles mindestens ebensoviele schwarze wie Latino-Gangs gibt, werden vornehmlich Latinos bezichtigt. Man darf es sich ja mit der kommerziell erheblichen Schicht afro-amerikanischer Kinobesucher nicht verderben! Zwischen Schwarzen und Koreanern aber schwelt seit langem eine oft genug mit Gewaltanwendung ausgetragene Animosität. Diese wiederum beutet der Film eilfertig zu seinem (wirtschaftlichen) Vorteil aus. Weiße Negativbilder bleiben auf Extreme wie den Neo-Nazi und zwei schwerreiche Golfspieler begrenzt, völlig außer Acht lassend, daß an etlichen der vorgezeigten Mißstände vorwiegend weiße Wähler und Gesetzgeber schuld sind (z.B. am Zustand der öffentlichen Dienstleistungsbetriebe, an der zu geringen Zahl von Polizisten und Lehrern, an den vielen Schulabbrechern und der wachsenden Jugendkriminalität). Als hätte es die "Reaganomics" nie gegeben, zieht sich "Falling Down" auf eine einseitige Schuldzuweisung zurück, die Mehrheiten nach dem Mund redet, statt die realen Zustände spezifischer zu hinterfragen. Emotional aufgebracht zu sein, ist eine Sache; darüber jede Unterscheidungsfähigkeit zu verlieren, eine andere. Dieser Film jedenfalls macht sich eine weitverbreitete (auch in amerikanischen Radiosendungen von Küste zu Küste multiplizierte) Stimmung zunutze. ohne davor zurückzuschrecken, rassistische und andere gesellschaftliche Vorurteile zu bestätigen. Nicht nur wird ein apokalyptisches Porträt zur kompromißlerischen privaten Krisengeschichte verwässert, sondern die Unerträglichkeit einer gesellschaftlichen Situation wird in unangemessene Polemik umgemünzt, die der Fatalität der Zustände weniger abhilft als sie fördert. In Deutschland, wo Fremdenfeindlichkeit und gewalttätige Ausschreitungen gegen Minderheiten zunehmen, wo im Vorfeld der Gewalt auch die Frage der Verantwortlichkeit für gesellschaftliche Krisenzustände zur Zeit häufig genug mit kurzschlüssigen Schuldzuweisungen beantwortet wird, kann "Falling Down" der rechtsradikalen Szene allenfalls als Bestätigung dienen.
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