Grace is Gone

- | USA 2007 | 85 Minuten

Regie: James C. Strouse

Als ein Familienvater die Nachricht erhält, dass seine Frau als Soldatin im Irak gefallen ist, bringt er es nicht über sich, seinen kleinen Töchtern davon zu erzählen. Stattdessen bricht er mit ihnen zu einer Reise in einen Vergnügungspark auf. Leises Drama mit Road-Movie-Anklängen um einen schweren Trauerprozess und den Umgang mit Verlust und Enttäuschung, wobei hinter der Familientragödie das Trauma einer ganzen Nation und die Beschädigung des "American Dream" durch den Irak-Krieg reflektiert wird. Visuell wie atmosphärisch dunkel-trist getönt, überzeugt der Film nicht zuletzt auch durch seinen Hauptdarsteller. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GRACE IS GONE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Plum Pic./New Crime Prod./Benedek Films/Hart-Lunsford Pic.
Regie
James C. Strouse
Buch
James C. Strouse
Kamera
Jean-Louis Bompoint
Musik
Clint Eastwood
Schnitt
Joe Klotz
Darsteller
John Cusack (Stanley Philipps) · Shélan O'Keefe (Heidi Philipps) · Gracie Bednarczyk (Dawn Philipps) · Alessandro Nivola (John Philipps) · Doug Dearth (Captain Riggs)
Länge
85 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
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Diskussion
Dass nach dem Verlust eines geliebten Menschen die Hinterbliebenen nicht unbedingt näher zusammenrücken und Halt aneinander finden, sondern dass vielmehr Risse und Brüche im Beziehungsgeflecht zu Tage treten, als wäre in einem Gebäude ein tragender Eckstein verschwunden, haben zahlreiche Filme zum Thema „Tod und Trauer“ eindringlich analysiert: Nanni Morettis „Das Zimmer meines Sohnes“ (fd 35 156) etwa, Todd Fields „In the Bedroom“ (fd 35 378) oder Atom Egoyans „Das süße Jenseits“ (fd 33 033). In James C. Strouses Debütfilm „Grace is Gone“, in dem eine amerikanische Kleinfamilie mit der Ehefrau und Mutter Grace Philipps ihr emotionales Zentrum verliert, kann von der Volksweisheit, dass „geteiltes Leid halbes Leid“ sei, erst recht nicht die Rede sein: Stanley Philipps bringt es gar nicht erst fertig, seinen beiden Töchtern vom Tod der Mutter zu erzählen. Stattdessen packt er die Mädchen ins Auto und bricht zu einer Reise auf, die nach dem Willen seiner Jüngsten zum Vergnügungspark „Enchanted Gardens“ führen soll. Für Stanley hat der Ausflug jedoch vor allem das Ziel, vor der bitteren Wahrheit davonzulaufen, dass Grace von ihrem Einsatz als Soldatin im Irak nicht mehr zurückkehren wird. Der Film beginnt mit einem unangenehm schrillen Piepen, einem alarmierenden akustischen Signal wie von einem Wecker. Es entpuppt sich als Telefongeräusch: Der von Grace besprochene Anrufbeantworter meldet sich und zeichnet eine Nachricht der Mutter auf, die ihren Lieben zu Hause mitteilt, wie sehr sie sie vermisst. Bald darauf ist die Stimme auf dem Anrufbeantworter nur noch eine Geisterstimme. Ein weiteres Klingeln, diesmal an der Haustür, kündigt die Schreckensnachricht von Grace’ Tod an, die zwei Männer in Army-Uniform überbringen. Bis auf solche exponierten Geräusche, die in den wie narkotisiert wirkenden Alltag Stanleys dringen, und die wohldosierte, berührende Musik von Clint Eastwood – beispielsweise eine zaghaft aufsteigende, wie fragende Klavierstimme – ist Strouse’ Film im wörtlichen wie im übertragenen Sinn sehr leise. Melodramatische Paukenschläge und Crescendi versagt er sich. Das Grauen über den Tod manifestiert sich nur indirekt in Bildern der bedrückend leeren Wohnung, in der Stanley nach dem Besuch der Militärs zurückbleibt. John Cusack gelingt dabei, getragen von einer Kamera, die immer wieder geduldig sein Gesicht und seine Gestalt beobachtet, ein schauspielerisches Paradestück. Von dem Mann, dem die amerikanischen Medien den Titel eines „thinking women’s sex symbol“ verpasst haben, dem liebenswerten Underdog aus diversen (romantischen) Komödien, ist in dieser Performance nichts übrig geblieben. Sein Stanley ist ein Klotz von einem Mann: schwerfällig, mit hängenden Schultern, steifem Gang, hässlicher Brille und müder, lebloser Mimik. Niemand, mit dem man sofort mitfühlen würde. Das wird durch seinen wenig feinfühligen Umgang mit seinen Mädchen (einer lebhaften, fröhlichen Achtjährigen und einem schon im geistigen Abnabelungsprozess begriffenen Teenager) nicht besser; auch spricht seine scheinbar gänzlich unkritische Haltung zu dem Krieg, der seiner Frau das Leben gekostet hat, nicht gerade für ihn. Cusack verleiht diesem Charakter jedoch eine In-sich-Gekehrtheit, die einen daran hindert, vorschnell über ihn zu urteilen: Das, was dieser Mann tut und sagt, und das, was in ihm vorgeht, sind nicht dasselbe; seine wirklichen Gefühle artikuliert er nicht. Die emotionale Abschottung zu überwinden, wird für Stanley denn auch zur großen Herausforderung der gemeinsamen Reise. Dabei muss er sich nicht nur dem Verlust an sich stellen, sondern auch dem Gefühl des eigenen Scheiterns als Mann: Eigentlich wollte er einst selbst Soldat werden, schied aber als nicht tauglich aus der Armee aus. Nun die Frau im Krieg zu verlieren und selbst mit den Kindern zurückzubleiben, ist eine Rolle, in die er erst hineinwachsen muss. Dass der Regisseur und Drehbuchautor die Form eines Road Movies, des neben dem Western amerikanischsten aller Genres, gewählt hat, ist konsequent. Geht es doch bei dem in triste Farbtöne getauchten und visuell wie emotional dunkel gestimmten Drama nicht nur um die Katastrophe einer einzigen Familie, sondern auch um den im Irak demolierten „amerikanischen Traum“ an sich, um die Enttäuschung und das Eingeständnis des Scheiterns einer ganzen Nation. Dabei bleibt Strouse, was Urteile und Anklagen angeht, ebenso diskret und zurückhaltend wie in der Beobachtung seines niedergedrückten Protagonisten. Auch wenn der Film schließlich im „Enchanted Gardens“-Park zu lichteren, bunteren Bildern und einer dynamischeren Kameraführung und Montage findet, als sie den Großteil der Handlung prägen, bleibt er vor allem eins: das Dokument einer tiefen Verlorenheit und Verunsicherung. Das schrille, alarmierende Piepen vom Beginn, das gegen Ende noch einmal aufgegriffen wird, signalisiert tatsächlich ein böses Erwachen.
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